Massenproteste im Libanon

Alle heißt alle

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Mariam gehört zu den »Lords of the Ring«, Spitzname einer Gruppe junger Rebellierender, die im Zuge der Proteste zusammengefunden hat. Sie ist ­täglich auf der Straße und geht seit Wochen nicht zur Arbeit, was zu Problemen mit ihrem Chef geführt hat. »Ich demonstriere für die einfachsten, grundlegendsten Dinge, die jeder Mensch haben sollte: Krankenversicherung, Rechtsstaatlichkeit, politische Mitbestimmung. Solange wir zusammenstehen und das nicht erreicht ist, werde ich hier bleiben.« Die Aktivistin Nasrin Shahin ergänzt, dass Angestellte im öffentlichen Sektor nach Qualifi­kation und nicht länger aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit eingestellt werden müssten. Das bakshish (Bestechung) müsse aufhören.

Die Protestierenden genießen große Unterstützung. Cafés und Restaurants versorgen sie mit freien Mahlzeiten. Es gibt eine Kinderbetreuung, Vorlesungen und Diskussionzirkel. Rechtsanwälte vertreten die Rebellen und Rebellinnen kostenlos. Wirtschaftlich geht es allen schlechter als früher, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit.

Die schiitischen Parteien Hizbollah und Amal scheinen überrascht von der Wucht der Revolte, die sich auch gegen sie richtet. Der Generalsekretär der Hizb­ollah, Hassan Nasrallah, sprach sich für eine Fortsetzung der Regierung aus; nur so könnten die notwendigen Reformen implementiert werden. Dementsprechend verärgert war er über Hariris Rücktritt. In seinen Reden zeigte er sich den Protestierenden gegenüber versöhnlich. Erstmals war bei seiner Ansprache eine Libanon- statt einer Hizbollah-Fahne im Hintergrund zu sehen. Er wolle niemandem drohen, fordere jedoch die Rückkehr zur Normalität und dass die Aufständischen die Straßen wieder freigeben, sagte er. Auf den Plätzen könne selbstverständlich weiter demonstriert werden. Nach diesem zwischen Entgegenkommen und Einschüchterung changierenden Gebaren erschienen die Schwarzhemden, die Schläger von Hizbollah und Amal, am Platz der Märtyrer und schlugen alles kurz und klein.