Neonazi-Aufmarsch in Wunsiedel

Wunsiedels braune Plage

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Bei den ersten Gedenkmärschen in Wunsiedel trugen die anwesenden Neonazis denn auch oft Transparente mit dem Ausspruch »Ich bereue nichts« durch den Ort. Die Stadt Wunsiedel wehrte sich gerichtlich gegen die Aufmärsche. Von 1991 bis 2000 verhängte das Landratsamt Wunsiedel an den betreffenden Wochenenden ein generelles Demonstrationsverbot. Der Mobilisierung tat das Verbot nur wenig Abbruch. Die Neonazis wichen unter anderem ins nahegelegene Bayreuth aus. Der Gedenkmarsch entwickelte sich nicht nur für deutsche Neonazis zu einem wichtigen Termin. Immer wieder nahmen Delegationen ausländischer Kameradschaften und anderer rechtsextremer Gruppen, etwa aus Frankreich und Tschechien, an dem Aufmarsch teil.

1992 wichen die Neonazis nach Thüringen aus. Mehr als 2 000 Personen marschierten in Rudolstadt, unter ihnen sollen auch die späteren Mitglieder des »Nationalsozialistischen Untergrunds« Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gewesen sein; der damals 17jährige Tino Brandt soll den Aufmarsch mitorganisiert haben. Brandt wurde 2001 als V-Mann des thüringischen Landesamts für Verfassungsschutz enttarnt. Während seiner Tätigkeit für den Inlandsgeheimdienst soll Brandt regelmäßig Kontakt zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehabt haben.
2001 wurde das Verbot des Gedenkmarschs, den in jenem Jahr der Neo­nazianwalt und NPD-Politiker Jürgen Rieger angemeldet hatte, vom bayerischen Verwaltungsgerichtshof aufgehoben. Die Richter sahen in dem Aufmarsch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Das Urteil war durch die geringe Mobilisierungsfähigkeit von Antifaschistinnen und Antifaschisten begünstigt worden.

Mit der sogenannten Wunsiedel-Entscheidung vom 4. November 2009 sorgte das Bundesverfassungsgericht endgültig für Klarheit, indem es eine Verfassungsbeschwerde Riegers gegen eine 2005 vom Bundestag beschlossenen Strafrechtsnovelle zurückwies. Die auch unter dem Namen »Lex Wunsiedel« bekannte Ergänzung von Paragraph 130 des Strafgesetzbuchs droht demjenigen, der »öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt«, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe.
Die Neonazis fanden jedoch weiterhin nach Wunsiedel. Nachdem Rieger nur wenige Tage vor der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts verstorben war, veranstalteten dessen Gefolgsleute noch im selben Jahr einen »Gedenkmarsch zu Ehren Riegers«. Das Motto »Ewig währt der Toten Tatenruhm«, unter dem rund 850 Neonazis durch Wunsiedel marschierten, machte das eigentliche Vorhaben deutlich: eine Ersatzveranstaltung für die Heß-Gedenkmärsche zu schaffen.