Die Geschichte der Sexualität nach Michel Foucault

Let’s Talk About Sex

»Die Geständnisse des Fleisches«, der vierte Band von Michel Foucaults Studie »Sexualität und Wahrheit«, ist in diesem Jahr erstmals in Deutschland erschienen. Dieser Band liefert Argumente gegen den postfoucaultianischen Kulturrelativismus.

In einem im Jahr 2016 im Jahrbuch Sexualitäten veröffentlichten Beitrag skizziert die Politologin und Schriftstellerin Ulrike Heider eine Zeitenwende in der Geschichte der sexuellen Emanzipation: »Nur wenige Jahre dauerte der kurze Frühling der ­sexuellen Revolution. Nicht viel länger waren aufklärerische Gewährsleute wie Sigmund Freud, Wilhelm Reich, Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno gefragt. Nicht länger durften die Hippies für den Frieden vögeln und das Leben genießen. Dann kamen schon wieder die Schüler de Sades, um ihrem Herrn der Schmerzlust, des sexuellen Schreckens und der blasphemisch-religiösen Rituale neues Leben einzuhauchen.« Heider konstatiert bereits für einen Zeitpunkt in den frühen sieb­ziger Jahren den Beginn einer Entwicklung, die die sexuelle Revolution der sechziger Jahre revidierte. Und sie versteht Michel Foucault als den theoretischen Stichwortgeber einer in den späten Siebzigern einsetzenden irrationalen Mystifizierung der Sexualität.

Die Positionen im linken Streit über Foucaults Beschäftigung mit ­Sexualität – und um Judith Butlers Anschluss an Foucault – sind bekannt: Während in Queer und Gender Studies Foucault routiniert als ­Gewährsmann für die Behauptung zitiert wird, Sexualität sei irgendwie konstruiert, wird er von kritisch-theoretischer Seite oftmals für seinen schillernden Machtbegriff, seine Fixierung auf den Diskurs und nicht zuletzt für seine aberwitzige Begeisterung für die Islamische Revolution im Iran von 1978/1979 kritisiert. Es fällt dabei auf, dass auf beiden Seiten der erste Band seiner Studie »Sexua­lität und Wahrheit« – »Der Wille zum Wissen«, 1976 erstmals erschienen, auf Deutsch 1983 – breit rezipiert wird, während die beiden Folgebände, »Der Gebrauch der Lüste« und »Die Sorge um sich« – beide 1984 erschienen, auf Deutsch 1986 – kaum eine Rolle spielen. Nun liegt mit einem Abstand von mehr als drei Jahrzehnten der vierte Band des großangelegten sexualitätshistorischen Projekts vor. Dies brachte Foucault kurz vor seinem Tod 1984 in eine zwar weit fortgeschrittene, aber nicht vollendete Form. Über seine Verfügung, dass keine zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlichten Schriften nach seinem Tod publiziert werden dürften, setzte sich eine neue ­Erbengeneration erst 2018 hinweg, die deutsche Übersetzung erschien in diesem Jahr.

Die Geschichte der Sexualität

In einem instruktiven Vorwort informiert der Herausgeber Frédéric Gros über den Verlauf von Foucaults Projekt. Auf den ersten Wurf »Der Wille zum Wissen«, von vielen als eine stark politisch akzentuierte Programmschrift eingeschätzt, folgte eine Bewegung, die Foucault immer weiter in die Vergangenheit zurückblicken ließ und die sein Projekt von der politischen Polemik kleinteiliger Analyse trieb. Hatte sich der erste Band noch hauptsächlich mit der Zeit vom 18. bis 20. Jahrhundert befasst, behandelten die anschließenden Forschungen, die sich in Vorlesungen und kleineren Arbeiten nachlesen lassen, die Zeit seit dem 16. Jahrhundert, so geht Foucault in einem weiteren Schritt auf die Frühzeit des Christentums vom ersten bis zum fünften Jahrhundert und anschließend noch weiter zurück, nämlich in die klassische bis kaiserzeitliche ­Periode der griechisch-römischen Antike (5. Jahrhundert v. u. Z. bis 2. Jahrhundert u. Z.). Die Studie über das frühe Christentum wurde vor den beiden Bänden zur vorchristlichen Antike verfasst, aber im Gegensatz zu diesen nicht mehr in eine druckreife Fassung gebracht.