Kinder deutscher IS-Kämpfer

»Wir brauchen Therapie­programme«

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Interview Von

Eine deutsche Tageszeitung titelte Ende Oktober, dass es in Berlin, so wörtlich, eine »gute Betreuung« für IS-Rückkehrer gebe.
Das halte ich, mit Verlaub, für einen Witz. Der Artikel, von dem Sie sprechen, stand am 31. Oktober im Tagesspiegel und berichtete über den konkreten Fall einer IS-Rückkehrerin, die kürzlich mit ihrer Tochter in Berlin eingetroffen ist. In diesem Kontext wird auch der stellvertretende Neuköllner Bezirksbürgermeister und Stadtrat für Jugend und Gesundheit, Falko Liecke (CDU), mit den Worten zitiert, dass es »keine ausreichenden Kapazitäten in der Traumatherapie für Erwachsene und Kinder« gebe. Stattdessen gebe es teils lange Wartelisten, vor allem wenn arabisch sprechende Therapeuten benötigt würden. Diese Einschätzung ist in meinen Augen sogar noch geschönt. Von den IS-Kindern, die ich persönlich kenne, wird, wie gesagt, kein einziges konsequent therapiert.

Können Sie konkrete Fälle schildern, in denen Kindern eine notwendige Therapie verwehrt bleibt?
Ich kenne zum Beispiel einen achtjährigen Jungen, der noch vor zweieinhalb Jahren mit seinem mittlerweile gefallenen Vater, einem IS-Kämpfer, in Syrien an der Waffe trainiert hat. Inzwischen ist er mit seiner Mutter und seinen vier Geschwistern nach Deutschland zurückgekehrt. Er geht auf eine Grundschule in Niedersachsen. Eine besondere Betreuung oder Therapie, die ihm dabei helfen könnte, seine Kriegserlebnisse zu verarbeiten, bekommt er nicht. Dasselbe gilt für seine Geschwister, die gemeinsam mit ihm in Syrien unter IS-Kämpfern gelebt haben und hier nun in die Grundschule oder in den Kindergarten gehen. Sie alle haben als Kleinkinder Krieg, Gewalt, Flucht und das Leben in einer hochideologischen und radikalisier­ten Gemeinschaft erlebt. Das kann ein regulärer schulischer Rahmen oder normaler Kindergarten nicht auf­fangen.

In den Medien konnte man in den vergangenen Monaten von vergleichbaren Fällen hören.
Richtig. Einer der prominentesten Fälle ist wohl der von Omaima Abdi, der ­Witwe des berüchtigten deutschen IS-Kämpfers und Rappers Denis Cuspert alias Deso Dogg. Die renommierte libanesische Journalistin Jenan Moussa hat für den Dubaier Fernsehkanal al-Aan eine bemerkenswerte Investigativreportage über Abdi gedreht. Diese, eine gebürtige Hamburgerin, ließ sich 2015 in Syrien mit Burka und umgehängtem Maschinengewehr ablichten. Sie lebt mittlerweile wieder mit ihren Kindern in Hamburg. Es gibt Fotos, die Abdis Kinder in Syrien mit Waffen und IS-Fahnen in der Hand zeigen. Nachdem ich Moussas Reportage gesehen hatte, habe ich mich bei den Hamburger Behörden umgehört und in Erfahrung gebracht, dass sich keines von Abdis Kindern in einem Therapieprogramm befindet.

Was muss geschehen?
Ich denke, das liegt auf der Hand. Wir brauchen psychosoziale Betreuungs- und Therapieprogramme für die Kinder von deutschen IS-Rückkehrern, insbesondere für die jüngsten unter ihnen. Diese müssen auf kommunaler Ebene mit Schulen, Kindergärten, Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen koordiniert werden.