Rafael Puente über die Eskalation in Bolivien

»Es war kein Putsch«

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Interview Von

Morales hat behauptet, er sei in Bolivien seines Lebens nicht mehr sicher. Er hatte sich in seine Herkunftsregion, die Provinz Chapare, zurückgezogen, bevor er nach Mexiko ins Asyl ging. Wurde er wirklich bedroht?
Ich weiß von keinen Drohungen gegen Morales. Ich weiß nur von dem Asylangebot der mexikanischen Regierung. Morales, sein Stellvertreter Álvaro García Linera sowie eine dritte, mir unbekannte Person haben dieses Angebot angenommen – ohne Not.

Morales hat aus dem mexikanischen Exil angeboten, zurückzukehren, um die Lage zu beruhigen, wenn das »Volk« ihn rufe. Hat das einen gegenteiligen Effekt?
Der MAS hat fast 14 Jahre lang regiert, sich unbesiegbar gefühlt und hatte eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, konnte also schalten und walten, wie er wollte. Das ist nun vorbei und genau das ist schwer zu verdauen, weshalb etliche MAS-Anhängerinnen und -Anhänger für die Rückkehr von Morales plädieren und auf die Straße gehen; manche von ihnen mit sehr martialischen Parolen und einige gewaltbereit.

Die Übergangsregierung ist recht einseitig besetzt – von der konservativen Rechten. Ist das eine Konsequenz der Rücktritte der Abgeordneten und Mandatsträger des MAS?
Ja, fast alle Minister des MAS sind zurückgetreten und auch die Vorsitzenden und Vizepräsidenten in beiden Kammern des Parlaments. Es gab also kaum mehr Personal des MAS, das Verantwortung hätte übernehmen können und wollen. Die logische Konsequenz ist, dass diese Übergangsregierung, die jedoch allein das Mandat hat, die Wahlen zu gewährleisten, konservativ gefärbt ist. Das macht mir aber keine großen Sorgen und ist eine Folge der Verweigerungspolitik des MAS.

Rechte Parteien haben in den vergangenen Wochen einen Aufschwung erlebt, allen voran in Santa Cruz, der größten Stadt des Landes. Dort ist der Vorsitzende des rechtskonservativen Bürgerkomitees von Santa Cruz (Comité Cívico de Santa Cruz), Luis Fernando Camacho, zu einem Gesicht des Widerstands geworden. Er ist ein konservativer, bibelfester Anwalt. Droht in Bolivien eine ­weitere Polarisierung?
Die Rechte ist nur dank der Fehler von Evo Morales wieder zu einem Faktor geworden. Die Regierung Morales hat viele Bolivianerinnen und Bolivianer enttäuscht und der Personenkult um Morales hat dazu geführt, dass der MAS zurzeit ohne Kandidaten dasteht. Er ist zu einer Partei ohne Führung geworden, einer Ansammlung von Jasagern, die sich um eine Führerfigur versammelten, die neben sich keine anderen duldete.
Wegen dieser Konstellation denke ich, dass die Rechte beste Chancen hat, die Wahlen zu gewinnen. Ich hoffe allerdings auf die gemäßigte, bürgerliche um Carlos Mesa. Dafür ist Morales persönlich verantwortlich. Er hat sich de facto selbst zum Präsidentschaftskandidaten ernannt, obwohl die Verfassung das verbietet. Das war ein gravierender Fehler. Dem folgte mit dem organisierten Wahlbetrug der zweite Fehler. Wer anders als der MAS war dafür verantwortlich? Das hat der Rechten Auftrieb gegeben, aber die Geschichte beginnt früher.