Rafael Puente über die Eskalation in Bolivien

»Es war kein Putsch«

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Interview Von

Wann?
Als Morales damit begann, Machterhaltungspolitik zu betreiben, Vertreter der Rechten in Regierungspositionen zu holen, und politische Inhalte in den Hintergrund traten. Viele Entscheidungen, so die Ausweitung der Anbaugrenze für die Landwirtschaft zulasten des Regenwalds, waren Konzessionen an die Agrarindustrie, die im Tiefland von Santa Cruz sitzt. Dabei wurde auch der Einsatz von transgenem Saatgut in Kauf genommen.

Das widerspricht allen politischen Grundsätzen der ersten Regierungsperiode von 2006 bis 2010. Wie kam es dazu?
Die erste Regierungsperiode war exzellent und die beste, die Bolivien je erlebt hat. Damals wurden die bonos, die Sozialprogramme für Rentner und Schwangere, aufgelegt sowie Bildungsvorhaben und die neue progressive Verfassung verabschiedet. Mit der zweiten Regierungsperiode ab 2010, in der Morales eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hatte, begann er, immer weniger Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen – er hat das vivir bien, die Idee vom Leben in Harmonie mit der Natur, verraten und eine sehr konven­tionelle, auf der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen basierende Politik verfolgt.

Vor allem das Erdgas ist der Motor der bolivianischen Ökonomie. Doch die Reserven neigen sich dem Ende zu. Droht der Absturz?
Ja, denn die Verschuldung des Staats ist gestiegen und es wurde in den vergangenen acht, neun Jahren viel Geld ausgegeben für wenig sinnvolle Dinge, von überflüssigen Flughäfen über eine Atomenergiebehörde bis zu Präsidentenlogen auf den Flughäfen des Landes. Wir stehen am Anfang einer ökonomischen Krise.

Wie lassen sich die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft und die wachsende Gewalt auf den Straßen zurückdrängen?
Das ist unmöglich. Die militanten Anhänger von Morales im Chapare, der Kokaregion Boliviens, aber auch in anderen Städten sind mobilisiert. Meine Hoffnung ist, dass Polizei und Armee die Situation unter Kontrolle behalten und die Regierung stützen. Seit Beginn der Proteste gab es bislang 23 Tote. In den ersten beiden Wochen gab es acht gezielte Morde an Oppositionellen. Nach Morales’ Rücktritt und dem blutigen Aufeinandertreffen von Cocaleros (Kokabauern), MAS-Anhängern und Ordnungskräften starben mindestens neun MAS-Anhänger durch Schußwaffeneinsatz. Ich hoffe, dass es nicht mehr werden.