Essay - Über die Aktualität des autoritären Charakters

Hass, Identität und Differenz

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Das Verhältnis zwischen dem Universellen und dem Besonderen ­wurde auch in feministischer Theorie und der critical race theory weithin kritisiert. Die Antwort bestand aber oft in einer bloßen Befürwortung marginalisierter Partikularitäten und einer pauschalen Ablehnung des Universellen. Die berechtigte Sorge ums Besondere wird mit Partiku­larismus verwechselt. So haben Teile der Frauen- und Bürgerrechtsbe­wegung Identitätspolitik bedient, die die negativen Kategorisierungen durch die Mehrheitsgesellschaft aufgriffen und politisch aufwerteten – als Bezugspunkte für feste Gruppen­identitäten, die der ungleichen und diskriminierenden Praxis in der Gesellschaft etwas entgegensetzen sollen. Identitätspolitik schafft ein Verständnis von Identität auf der Grundlage kultureller, ethnischer, rassifizierter, geschlechtsspezifischer, sexueller, religiöser und weiterer Besonderheiten, die zunehmend als authentischer Ausdruck marginalisierter Gruppen in radi­kaler Opposition zur Gesellschaft angesehen werden.

Dieser authentische Ausdruck gilt als genuin wertvoll und unbedingter Anerkennung bedürftig, konstatiert etwa Francis Fukuyama in »Identity«.
Identität ist demzufolge nicht mehr an das Individuum gebunden im Sinne eines identischen Subjekts, das in der Lage wäre, eine widersprüch­liche Einheit der Persönlichkeit zu schaffen, die Ambivalenzen aushält, Kritik (auch an sich selbst) üben und reflektiert zu Urteilen gelangen kann, die die unmittelbare Situation transzendieren. In Identitätspolitik liegt der Fokus auf kollektiven oder Gruppenidentitäten, die an spezifischen Situationen oder Positionen gebildet werden, die aber ihrerseits kaum transzendiert werden. Während die individuelle Identität mit der Anerkennung der Würde und Autonomie des inneren Selbst des Menschen verbunden ist, betont die gruppenbasierte Identitätspolitik die Würde partikularer Gemeinschaften und Kollektive.

Francis Fukuyama bezeichnet deshalb die liberal-individuelle Identitätsform als universalistisch in dem Sinn, dass sie die Gleichberechtigung der Würde aller Menschen auf der Grundlage ihres Potentials zur inneren Freiheit zum Gegenstand hat. Dass die Praxis dieses Ideal des Begriffs noch nie eingeholt hat, ist dem Begriff allerdings nicht äußerlich. Auf die in der Praxis eingeschränkte Universalität des individuellen Identitätskonzepts reagiert kollektivistische Identitätspolitik, indem sie auf die Würde einer bestimmten Gruppe fokussiert, die marginalisiert oder missachtet wird. Das innere Selbst, das sichtbar gemacht werden sollte, ist nicht das eines universell verstandenen Menschen, sondern ­einer partikularen Person als Mitglied einer bestimmten Gemeinschaft, sei es Nation, Geschlecht, Ethnie, Race, Sexualität, Religion et cetera. Die Gruppengebundenheit wird in kollektiver Identitätspolitik nicht transzendiert. Deshalb nennt Fukuyama kollektive Identität partikularistisch, individuelle Identität hingegen universalistisch.