Die neue Linke in Japan

Japans neue Linke

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Reportage Von

»Zuerst organisierten wir, eine Gruppe von etwa 20 Leuten, jeden Freitag einfach nur Anti-Atom-Demonstrationen vor dem Sitz des Ministerpräsidenten. Je mehr wir diskutierten, desto mehr dachten wir uns, dass wir ja zusätzlich noch dies und jenes machen könnten. So ist das Ganze von den Aktionsformen und Inhalten her immer vielfältiger geworden«, sagt Takashi Furukawa* von der Gruppe »Den Zorn zeigen« auf einer Demonstration gegen Ministerpräsident Abe Mitte November in Tokio. Es scheint der übliche Werdegang antifaschistischer Gruppen seit der Reaktorkatastrophe zu sein. Der Mittvierziger Furukawa trägt einen Anzug. »Ich bin einfach nur ein normaler Angestellter«, sagt er. Dennoch schwenkt er auf Demonstrationen eine Antifa-Fahne und bezeichnet Shinzō Abe als Faschisten. 

Auch der Ministerpräsident ist bei Linken unbeliebt. Demonstration gegen die rechte Regierung von Shinzō Abe.

Bild:
Rio Akiyama

Etwa 300 Menschen nehmen an der Demonstration direkt vor dem Sitz des Ministerpräsidenten teil, von Müttern mit Kinderwagen über junge Punks bis hin zu Fabrikarbeitern, und brüllen sich die Seele aus dem Leib: »Abe, tritt zurück! Abe, tritt zurück!« Über eine Stunde lang dauert der mit Trommelrhythmen untermalte Sprechchor. Lange, inhaltsschwere Reden gibt es nicht. Diejenigen, die gekommen sind, wissen, worum es geht, die einzigen Passantinnen und Passanten im Regierungsviertel sind Beamtinnen und Beamte, die nach und nach aus den Gebäuden tröpfeln und die Demonstrierenden entweder ignorieren oder belächeln.

Der Aufruf der Demonstration richtet sich zwar nur gegen Abe, auf den Plakaten und Transparenten liest man aber ein Sammelsurium aus gängigen linken Forderungen: Abschaffung der Atomkraft, Antisexismus, Anhebung des Mindestlohns und vieles mehr. Umso merkwürdiger liest sich deswegen im Aufruf, dass neben Rechtsex­tremen und religiösen Gruppen auch »Linksextreme« auf der Demonstra­tion unerwünscht seien. Schließlich tragen selbst die Organisatorinnen und Organisatoren Antifa-Fahnen. Furukawa sagt, dass man sich damit von Organisationen wie der K-Gruppen-Sekte Chūkaku-ha (Nationales Komitee der Revolutionären Kommunistischen Liga Japans) distanzieren wolle. »Die liefern sich sinnlose Kämpfe mit der Polizei, was ein schlechtes Licht auf die linke Bewegung wirft«, so Furukawa. In Japan versuche man, das Image der »Antifa« von derart sinnloser Militanz zu lösen.