Die linken Regierungen Lateinamerikas haben sich selbst demontiert

Der Fluch des Reformismus

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Ein Schlüssel zum Verständnis der Beziehungen der Länder liegt im Scheitern und Erbe der jeweiligen linken Regierungen. Viele von diesen wurden von etwas eingeholt, das man den Fluch des Reformismus nennen kann. Angetreten, den Ausgestoßenen, Unterdrückten und Ausgebeuteten Würde und Wohlstand zu bringen, stießen sie bald an die Grenzen der herrschenden Wirtschafts- und Eigentumsverhältnisse und damit an die ihrer gut gemeinten Politik. Keine einzige dieser Regierungen entkam dem Diktat der Produktion von Primärgütern. Die Eigentumsverhältnisse wurden nirgends ernsthaft angetastet, von einigen Verstaatlichungen im Energiesektor abgesehen. Im Argentinien der Kirchners und dem Brasilien des PT war der Sojaexport ein wichtiger Wirtschaftsfaktor; in Morales’ Bolivien und in Ecuador unter Morenos Vorgänger Rafael Correa gewann der Rohstoffabbau wieder stark an Bedeutung für die Wirtschaftsleistung.

Um den Legitimationsverlust, der durch wirtschaftliche Probleme verstärkt wurde, zu kompensieren, griffen viele dieser Regierungen auf autori­täre Maßnahmen zurück. 

Besonders verbreitet ist auch die Eigenart von Präsidenten, sich selbst für unersetzlich zu halten. Das trifft auf Daniel Ortega in Nicaragua ebenso zu wie auf Nicolás Maduro in Venezuela. Vor allem für jene, die an der Spitze einer großen sozialen Bewegung ins Amt gekommen waren, wurden diese Widersprüche zum Problem. Evo Morales wurden sie zum Verhängnis: Es waren zuerst seine einstigen Verbündeten aus der Indigenen- und der Gewerkschaftsbewegung, die ihm wegen seiner Wirtschaftspolitik und autoritärer Allüren die Unterstützung entzogen.
Doch viele dieser Regierungen stärkten auch die Zivilgesellschaft und den Rechtsstaat. In Brasilien waren die Korruptionsermittlungen, die schließlich den PT zu Fall brachten, auch ein Zeichen der gewachsenen Unabhängigkeit der Justiz. Wie fragil diese Erfolge jedoch sind, wurde umgehend vorgeführt: Sérgio Moro, der Bundesrichter, der sich in den Ermittlungen einen Namen gemacht hat und vielerorts als integer galt, wurde Justizminister in Bolsonaros Kabinett.