­Bücherverbrennungen der Nazis

»An vielen Orten gibt es keine Gedenkstätten«

Jan Schenck, Fotograf, über das Geschichtsprojekt »Verbrannte Orte« und Bücherverbrennungen während des Nationalsozialismus.
Interview Von

Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem Projekt »Verbrannte Orte« gekommen, das sich mit Bücherverbrennungen während des Nationalsozialismus in Deutschland beschäftigt?
Ich bin eine Leseratte, das war eine wichtige Grundvoraussetzung. Ich habe Erich Kästner gelesen, auch die Bücher für Erwachsene, da kommt man irgendwann auf das Thema Bücherverbrennung. Ich habe mich damit beschäftigt und auch »Das Buch der verbrannten Bücher« von Volker Weidermann gelesen. Da tauchen verschie­dene Orte in Hamburg auf, an denen Bücher verbrannt wurden. Zu vielen dieser Orte habe ich einen persönlichen Bezug, weil ich in Hamburg aufgewachsen bin. Da stellte ich fest, dass es an vielen Orten überhaupt keine Gedenkstätten gibt. Mir war wichtig zu zeigen, dass es viele unbekannte und ganz alltägliche Orte sind.

Was ist Ihnen an den Orten aufgefallen?
Die Schwimmhalle in Hamburg, in der ich als Kind schwimmen war, war einer davon. Dort war nichts, das an die Bücherverbrennung erinnerte. Es ist wichtig, dass diese Orte erkennbar sind, ähnlich wie bei den Stolpersteinen (die auf Gehwegen an Verfolgte, Ermordete und Deportierte erinnern, Anm. d. Red.). Was ich spannend fand, war, wie unterschiedlich die Orte sind. Wenn man sich in Greifswald am Marktplatz die historische Bebauung ansieht, kann man sich gut vorstellen, wie das damals ausgesehen hat. In Rostock dagegen steht mittlerweile ein Parkhaus, wo früher ein Park war, in dem Bücher verbrannt wurden.

Gab es noch andere Orte, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Mir bleiben die Orte besonders durch die Hintergründe im Gedächtnis. Es ist ein Kern des Projekts, dass wir die Orte anders betrachten, wenn wir wissen, was dort passiert ist. Einer dieser Orte ist zum Beispiel der Schweriner Pfaffenteich. Dort inszenierten die Nationalsozialisten unter Beteiligung eines Schauspielers des damaligen Stadttheaters die Bücherverbrennung auf große Weise. Sie bauten ein Floß, um den ganzen See herum standen Menschen mit Fackeln, an der Front des Elektrizitätswerks am See war ein großes Hakenkreuz aus Glühbirnen angebracht. Wenn man heutzutage dort steht und sich das vorstellt, hat der Ort plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Genau diese Veränderung des Blicks will ich erreichen.

Woher bekommen Sie die Informationen und wie viel Recherchearbeit steckt in dem Projekt?
Wir haben nicht zu vielen Orten detaillierte Informationen. Es gibt auch Orte, zu denen wir fast gar keine Informationen haben. Da sind wir auf die Mitarbeit von interessierten Menschen mit einem gewissen Fachwissen angewiesen. Ich bin kein Historiker und habe einen anderen Zugang zur Thematik. Vieles kann ich auch gar nicht leisten. Deswegen arbeiten wir viel mit lokalen Akteuren zusammen, seien es Lokalhistoriker, Stadtarchive oder Geschichtswerkstätten. Das wollen wir noch ausbauen. Außerdem wollen wir Material des Deutschen Historischen Museums zu den Bücherverbrennungen nutzen. Ein Grundstock an Informationen kommt aus einer Forschungsarbeit des Moses-Mendelssohn-Zentrums und einem Begleitband dazu, da wurden knapp 90 Orte recherchiert und teils sehr detailliert beschrieben. Mittlerweile haben wir über 110 Orte im Online-Atlas des ­Projekts verzeichnet. Es gibt noch eine hohe Dunkelziffer und es kommt ­immer wieder einmal ein neuer Ort dazu.

 

Haben Sie auch von Orten erfahren, wo es Widerstand gegen die Bücherverbrennungen gab?
Das kann ich nicht sagen. Es gab sehr unterschiedliche Verbrennungen, man kann sie in drei Phasen einteilen. In der ersten Phase, vor dem 10. Mai 1933, waren es hauptsächlich »wilde« Verbrennungen, die im Rahmen von Plünderungen von Parteihäusern, Gewerkschaftshäusern oder von sozialis­tischen, kommunistischen oder jüdischen Buchhandlungen stattfanden. Dagegen gab es sicherlich auch Widerstand. Dann folgten ab dem 10. Mai 1933 die großen studentischen Aktionen mit inszenierten Verbrennungen. In der dritten Phase gab es viele Verbrennungen von sehr unterschiedlichen Akteuren, die auch größer inszeniert waren.

Gab es Fälle, in denen Grundstückseigentümer nicht wollten, dass Sie auf deren Gelände fotografieren?
Das habe ich bislang nicht erlebt. Die meisten Verbrennungen fanden im öffentlichen Raum statt. Auch die studentischen Verbrennungen waren auf Marktplätzen oder auf Universitäts­gelände, das ist heute alles öffentlicher Raum. Einige Orte haben sich so ver­ändert, dass es mittlerweile private Grundstücke sind. Zum Beispiel in Bautzen, da war ein Steinbruch, an dessen Stelle sich heutzutage eine Prüfstelle der Dekra befindet. Aber auch da konnte ich problemlos fotografieren.

Wie lange arbeiten Sie schon an dem Projekt?
Ich arbeite seit 2013 daran. Nach einer längeren Pause habe ich dann – aus­gelöst durch die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen – 2017 gedacht, dass ich das Projekt in irgendeiner Form zu Ende bringen will. Dabei wollte ich dem erinnerungspolitischen Aspekt größeres Gewicht geben. Ich wollte zeigen, dass die Bücherverbrennungen zwar am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft passiert sind, aber deutlich machten, wohin das Ganze geht. Der Plan ist, 2023 eine große Wanderausstellung zu machen, zum Teil auch an den Plätzen selbst. Aber weil immer wieder neue Orte dazukommen, ist das etwas, das uns weiter begleiten wird. Mittlerweile ist es ein ausgewachsenes Gedenkprojekt in Trägerschaft eines gemeinnützigen Vereins. Wir arbeiten alle ehrenamtlich. Wenn uns Menschen Informationen bereitstellen, ist das auch ein wichtiger Teil der ehrenamtlichen Arbeit.

Wo sehen Sie einen aktuellen Bezug zum Thema Bücherverbrennung?
Mit den Bücherverbrennungen machten die Nationalsozialisten ganz früh deutlich, wie sie mit der Meinung derjenigen umgehen, die nicht in ihr Weltbild passen. Derzeit zieht eine rechtsextreme Partei wieder reihenweise in die Parlamente ein. Man kann nur hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Daher finde ich eine aktive Erinnerung wichtig. Das reicht selbstverständlich nicht, es braucht auch Bildungsarbeit und antifaschistisches Engagement. So versteht sich auch unser Projekt.

Was planen Sie langfristig?
Als Nächstes steht eine Leihausstellung an, damit die Arbeit einem breiteren Publikum präsentiert werden kann. Dann steht die Erstellung von Bildungsmaterial für Schüler ganz hoch auf unserer Prioritätenliste. Das werden wir wahrscheinlich nächstes Jahr an­gehen. Je nach Finanzierung kommt danach die Wanderausstellung. Dazu wird es wahrscheinlich einen Begleitband geben. Auch danach soll das Projekt weiter bestehen bleiben. Der Online-Atlas soll weiter im Netz erreichbar sein und gepflegt werden. Das Bildungsmaterial soll ebenfalls immer wieder aktualisiert werden. Damit soll langfristig und kontinuierlich eine Plattform zur Verfügung stehen.