Gentrifizierungsgegner bekämpfen die Ansiedlung des Konzerns Amazon in Berlin

Lieber Kiezleben als Webtech-Urbanismus

Nach Google hat auch Amazon große Pläne für eine Ansiedlung in Berlin bekannt gemacht. Gentrifizierungsgegner wollen das verhindern – sie fürchten Mietsteigerungen.

»Google ist kein guter Nachbar.« Unter diesem Motto kämpften Gentrifizierungskritiker erfolgreich gegen die Ansiedlung des Konzerns in Berlin-Kreuzberg – zumindest vorerst. Einige hoffen, einen solchen Erfolg im Kampf gegen das Unternehmen Amazon zu wiederholen. Dieses will 28 Etagen des 35stöckigen Edge-Towers beziehen, der in Berlin-Friedrichshain in der Nähe des S-Bahnhofs Warschauer Straße entstehen soll. Nach bisheriger Planung soll das 140 Meter hohe Gebäude bis 2023 fertiggestellt werden.

Der Versuch des Baustadtrats von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), mit baurechtlichen Mitteln noch in die Planung einzugreifen, scheint wenig erfolgversprechend. Coen van Oostrom, der Gründer des niederländischen Unternehmens Edge Technologies, das das in Immobilienkreisen als »Edge East Side Berlin« beworbene Projekt entwickelt, beruft sich auf gültige Verträge. Auch der rot-rot-grüne Senat scheint diesen Standpunkt einzunehmen. Wie der Tagesspiegel berichtete, fehlt es nach Angaben der zuständigen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher »für eine nachträgliche Entziehung des Baurechts an einer einschlägigen Rechtsgrundlage«.

Die Konzerne fürchten schlechte Presse und geben ihre Standortpläne oft wieder auf, wenn sich Widerstand regt

 »Wie bei vielen anderen Nobelprojekten hat der Berliner Senat in den vergangenen 20 Jahren in den unterschiedlichen politischen Konstellationen auch hier den Investoren den roten Teppich ausgerollt«, sagte kürzlich ein Vertreter der Initiative »Make Amazon Pay« auf einem Treffen von Kritikern des Konzerns. Die Gruppe hatte sich vor einigen Jahren gegründet, um Amazon-Beschäftigte bei ihrem Kampf um einen Tarifvertrag zu unterstützen. Sie beabsichtigt allerdings nicht, in ­einer möglichen Amazon-Niederlassung in Friedrichshain die Beschäftigten zu organisieren.

Vielmehr will sie das Vorhaben verhindern. »In dem Tower würden vor allem gut bezahlte Entwickler beschäftigt, die dann in der Nähe zu ­ihren Arbeitsplätzen teure Lofts bezögen, was zu einer weiteren Aufwertung des Stadtteils beitragen könnte«, so die Befürchtung des Amazon-Kritikers. Aufwertung bedeute vor allem weitere Mietsteigerungen. Der Sprecher der Initiative verwies auf das Beispiel New York City, wo ein Bündnis aus Stadtteilaktivisten, außerparlamentarischen linken Gruppen und Beteiligten aus der etablierten Politik eine Amazon-Ansiedlung verhindert hatte.

Konstantin Sergiou von der Kreuzberger Stadtteilinitiative »Bizim Kiez« bezeichnete auf dem Treffen das Vorgehen von Konzernen wie Amazon als »Webtech-Urbanismus«. Gemeint ist damit auch eine enge Zusammenarbeit von Politikern und Tech-Konzernen, die sich als modern, divers und ökologisch präsentieren. Die Konzerne fürchten schlechte Presse und geben ihre Standortpläne oft wieder auf, wenn sich Widerstand regt. Das fällt ihnen auch deshalb leicht, weil Digitalkonzerne schneller auf einen anderen Standort ausweichen können als fordistische Konzerne mit einem großen Maschinenpark und Beschäftigten, die weniger flexibel sind.

Nach den theoretischen Beiträgen teilten sich die Amazon-Kritiker bei ­ihrem Treffen in Arbeitsgruppen auf und begannen mit Protestplanungen. Am 21. Dezember soll rund um den Bahnhof Warschauer Straße ein erster Aktionstag stattfinden. Dann dürfte sich zeigen, ob das Motto »Berlin versus Amazon«, mit dem auf Facebook geworben wird, auch nur annähernd realistisch ist. Denn ein Selbstläufer wird der Widerstand keineswegs.

Anders als beim vorerst verhinderten Google-Campus liegt der geplante ­Büroturm nicht in einem Wohnviertel mit politisch engagierten Organisa­tionen, sondern im Niemandsland an der Warschauer Brücke. In der Umgebung sind in den vergangenen Jahren mit dem Universal-Gebäude, der Mehrzweckhalle, die derzeit »Mercedes-Benz-Arena« heißt, der Eastside-Mall und anderen bereits zahlreiche Projekte entstanden, die der Vorstellung eines solidarischen Stadtteils entgegenstehen.

Auch große Teile der Clubszene auf dem nahen RAW-Gelände mit seinem subkulturellen Flair passen sich diesen Gegebenheiten an. Das Vorhaben, den größten Teil der Gebäude auf dem Areal zugunsten von Hochhäusern abzureißen, wurde von einigen der dort angesiedelten Clubs heftig bekämpft. Mittlerweile sind aber keine politischen Plakate mehr auf dem Gelände zu sehen. Dafür sorgen nach Informationen der Initiative »RAW Kulturensemble« ­Beschäftigte der Kurth-Gruppe, der ein großer Teil des Areals gehört, aber auch Mitarbeiter des auf dem Gelände befindlichen Clubs Astra.

Im Friedrichshainer Nordkiez steht das von dem Immobilienkonzern CG-Gruppe entwickelte Carré Sama-Riga mit Gewerbe- und Wohnräumen kurz vor der Fertigstellung. Einer Anwohnerinitiative, die über Jahre gegen das Projekt protestierte, war es nicht gelungen, größere Teile der Berliner Linken zu mobi­lisieren. Dabei ­bietet Christoph Gröner, der Gründer und Vorstandsvorsitzende der CG-Gruppe, genügend politische Angriffsfläche. So ersteigerte Gröner vor einigen Monaten für 750 000 Euro ein Bild des bekannten Leipziger Malers Neo Rauch mit dem Titel »Der Anbräuner«.

Damit hatte der Maler auf einen Artikel des Kunstkritikers Wolfgang Ullrich in der Wochenzeitung Die Zeit reagiert, in dem dieser einige Motive rechten Denkens bei Neo Rauch konstatierte hatte. Mit den Initialen »W. U.« in dem Bild machte Rauch deutlich, dass es sich gegen den kritischen Journalisten richtet. Doch Jeff Bezos, der Gründer und Leiter von Amazon, könnte als Feindbild möglicherweise bedeutend mehr Gegner auf die Straße bringen als der betont konservativ auftretende Gröner.