Sex Is Just a Three-Letter Word
Ob in der Bravo, in Chatrooms, auf Pornoseiten im Internet oder in von Peinlichkeiten durchzogenen Gesprächen mit Gleichaltrigen – wer kann sich nicht erinnern, als Heranwachsender Antworten gesucht zu haben auf die Frage, wie man »es« denn eigentlich zu machen habe? Auch wenn Kinder keine asexuellen Wesen sind, sondern die von Sigmund Freud beschriebenen Partialtriebe schon früh in Erscheinung treten, muss ihnen die Sexualität der Erwachsenen doch fremd erscheinen. Weil Lust und Begierde sich nicht im luftleeren Raum entwickeln, sondern ihr Auftreten stets davon abhängig ist, welche Werte, Normen und Tabus gelten und wie man sich als Individuum zu diesen verhält, kann Sexualität erst sukzessive zusammen mit der Kultur, die sie hervorbringt, erschlossen werden. Individuelle Vorlieben stehen also immer in Beziehung zur Gesellschaft mit all ihren Konventionen sowie ihren Repressions- und Ausschlussmechanismen. Und auch wenn Tiere unzweifelhaft wissen, wie man kopuliert, unterscheidet sich ihre Form der Sexualität doch fundamental von der menschlichen, da mit ihr keine Wünsche, Vorstellungen und Fetische verbunden sind, ohne die jene nicht denkbar wäre. Das Fehlen von jeglicher Essenz in der menschlichen Sexualität, die Absenz eines Regelwerks für sexuelle Denkmuster und Handlungen jenseits der jeweiligen Kultur, deren Produkt sie ist und auf die sie ihrerseits Einfluss nimmt, hat Jacques Lacan schon vor einem halben Jahrhundert mit der Formel »Il n’ya pas de rapport sexuel« (»Es gibt kein sexuelles Verhältnis«) auf den Punkt gebracht.
Genau wie Lacan ist Zupančič daran gelegen, die Psychoanalyse nicht als abgeriegeltes, partikulares Feld und bereits fertige Handlungsanleitung zu begreifen.
In »Was Ist Sex?«, dem neuen Buch von Alenka Zupančič, diskutiert die slowenische Psychoanalytikerin und Philosophin diese Erkenntnis noch einmal im Rahmen der von ihr mit Slavoj Žižek und Mladen Dolar herausgegebenen Buchserie »Short Circuits«, in der es darum gehen soll, verschiedene Forschungsdisziplinen auf ungewöhnliche Weise miteinander kurzzuschließen. Kurzgeschlossen werden sollen in diesem Fall Psychoanalyse und Philosophie, genauer gesagt: Psychoanalyse und Ontologie, die Lehre vom Seienden und der Wirklichkeit. Das mag insofern überraschend sein, als dass sowohl Freud als auch Lacan, an denen Zupančič sich in ihrer Forschung und Lehre stark orientiert, stets die Unvereinbarkeit der Psychoanalyse mit jeglichen Formen des Essentialismus betonten und stattdessen darauf hinwiesen, dass die Psychoanalyse nicht auf Basis der unveränderlichen Substanz eines puren Seins operiere.
Waren die traditionellen Ontologien und Kosmologien, die vor der Aufklärung auch das westliche philosophische Denken bestimmten und an denen sich Wissenschaften wie die Astronomie orientierten, noch zumeist nach dualistischen Prinzipien strukturiert, die oft auch eine geschlechtliche oder sexuelle Konnotation mit sich führten (etwa Yin/Yang, Erde/Sonne, aktiv/passiv), wurde mit der Begründung der neuzeitlichen Naturwissenschaften nach galileischem Vorbild und spätestens mit Kants Erkenntniskritik nicht nur der Bruch mit den traditionellen Ontologien, sondern auch mit dem ontologischen Prinzip vollzogen. Der Psychoanalyse, die sich nicht gegen die moderne Wissenschaft wendete, sondern sich Anfang des 20. Jahrhunderts gerade aus dieser theoretischen Tradition herausbildete, kann es daher nicht darum gehen, eine vergessene, essentielle Sexualität, die aus einem authentischen Sein entspringt, ans Licht zu holen. Und so verwundert es nicht, dass Lacan die vom »neu-ontologischen« (Adorno) Philosophen Heidegger erhobene Klage über die »Seinsvergessenheit« in seinem Seminar »Die vier grundlegenden Konzepte der Psychoanalyse« beiläufig diskreditierte. Auch wenn Heidegger und Lacan sich zeitweilig persönlich nahestanden und Lacans Denken durchaus nicht frei von Einflüssen Heideggers ist, so ist ihre unterschiedliche Auffassung in diesem Fall doch grundlegend.