Twitter vs. Reality

Twitter vs. Reality

Das Medium Von

Einen #Youthquake werde es geben, waren sich britische Twitter-User am letzten Donnerstag ganz sicher. Junge Menschen stünden nämlich in Massen vor den Wahllokalen Schlange. Fotos zeigten tatsächlich geduldig in lange Reihen wartende offenkundige Erstwähler, und so war der Optimismus unter den Anhängern von Labour groß: Allen Umfragen zum Trotz sei es nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass Jeremy Corbyn am Ende der strahlende Sieger sein werde.

Nun hätte es selbst Hardcore-Optimisten durchaus ein bisschen stutzig machen können, dass die begeisterten Berichte über die unfassbaren Mengen junger Wähler mit fünf immergleichen Fotos illustriert wurden, von denen zwei auch noch ein und dieselbe Warteschlange aus unterschiedlichen Perspektiven zeigten.

Hätte. Aber nicht auf Twitter, wo ein Hashtag, das trendet, wirklicher als die Wirklichkeit ist. Und so schaffte das #Youthquake in Rekordzeit, Gegenstand von Medienberichten über die Jungwähler-Sensation und damit noch wirklicher zu werden. Neue Fotos gab es zwar nicht, aber dafür viele selbsterstellte Umfragen, bei denen Twitter-User darüber abstimmen konnten, ob sie lieber Tories oder Labour wählen würden. Bei den meisten dieser Umfragen entschieden sich rund 80 Prozent für die Partei Corbyns, was ein klarer weiterer Beweis für die bevorstehende Sensation war. Und als dann noch ein paar twitternde Senioren (oder Seniorendarsteller) verkündeten, Labour gewählt zu haben, und das Hashtag #Oldquake in Umlauf brachten, gab es gar kein Halten mehr und man machte sich daran, schon mal Tory-Anhänger zu verspotten.

Man könnte daraus lernen, dass es völlig egal ist, was bei Twitter Top-Trend ist, weil das nicht notwendigerweise irgendwas mit der Realität zu tun hat. Könnte man. Wird man aber wohl auch diesmal nicht.