Der Bundestag hat beim Thema Organ­spende die Widerspruchslösung abgelehnt

Umstrittene Spenden

Der Bundestag hat über eine Neuregelung der Organspende abgestimmt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn konnte sich mit seinem Vorschlag nicht durchsetzen.

»Egal, wie Sie ihn tragen, Hauptsache, Sie haben ihn: den Organspendeausweis.« Der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kann man ein mangelndes Engagement zur Steigerung der Organspendefreudigkeit in Deutschland nicht vorwerfen. Immer wieder werden neue Kampagnen auf­gelegt, werben Prominente für die Organspende, sind vielerorts Plakate mit mehr oder weniger pfiffigen Sprüchen zu sehen. Dennoch ist es nicht gelungen, die Bereitschaft zur Organspende signifikant zu steigern.

Eine Organspende ist in Deutschland nur möglich, wenn Ärzte den Hirntod einwandfrei festgestellt haben.

Vergleicht man die Zahlen der acht Länder, die zurzeit der 1969 gegründeten Stiftung Eurotransplant angehören und bei der Organspende kooperieren, lag Deutschland mit 11,3 Spendern auf eine Million Einwohner im Jahr 2018 auf dem letzten Platz. In Kroatien, dem Eurotransplant-Mitglied mit der höchsten Spenderquote, lag diese bei 36,8. Auf dem ersten Platz lag im internationalen Vergleich 2018 Spanien, das nach Angaben des Internationalen ­Registers für Organspenden und Transplantion auf 48 Spender pro einer Mil­lion Einwohner kam. Spanien ist nicht Mitglied von Eurotransplant.

Die niedrige Spendenbereitschaft bereitet Politikern und Medizinern in Deutschland schon seit längerem Kopfzerbrechen. Was kann man tun, um sie zu steigern?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte seit Monaten für eine Neuregelung geworben. Sein Ziel: Jede Person sollte bei einem Hirntod als Spenderin behandelt werden, es sei denn, sie hätte zuvor expli­zit widersprochen. Diese sogenannte Widerspruchsregelung gilt in vielen europäischen Staaten, etwa in sechs von acht Ländern der Stiftung Eurotransplant. Innerhalb der teilnehmenden Länder gespendete Organe werden im niederländischen Leiden erfasst und auf die Patienten verteilt. Für Patienten in Deutschland ist die Teilnahme ein Segen, denn dank der höheren Spendenbereitschaft in den übrigen Teilnehmerländern sind mehr Organe für die Transplantation verfügbar.

Der Bundestag folgte am vergangenen Donnerstag jedoch nicht dem Vorschlag des Bundesgesundheitsministers. Die Abgeordneten stimmten mehrheitlich für eine Beibehaltung der ­Zustimmungsregelung. Das bedeutet, dass man auch künftig einen Organspendeausweis ausfüllen muss, um Spender zu werden. Die Debatte im Bundestag wurde sehr kontrovers und emotional geführt. Die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, betonte, dass der Mensch »nicht dem Staat«, sondern sich selbst gehöre. Spahn plädierte eindringlich für die Widerspruchslösung. »Jeder von uns ist potentieller Organempfänger«, sagte der Bundes­gesundheitsminister.

Durchsetzen konnte er sich nicht. So bleibt fast alles beim Alten. Künftig ­sollen die Bundesbürger regelmäßig auf die Möglichkeit der Organspende aufmerksam gemacht werden. Dies soll etwa bei jeder Beantragung eines ­neuen Ausweisdokuments geschehen. Darüber hinaus soll es möglich sein, sich in einem Online-Register als Spender oder Nichtspender registrieren zu lassen. Bei der Abstimmung war der Fraktionszwang aufgehoben. 432 Abgeordnete stimmten für, 200 gegen den beschlossenen Antrag, den eine Gruppe von 194 Abgeordneten um Baerbock und Karin Maag (CDU) vorgelegt hatte. 37 enthielten sich.

Die Organspende bleibt gesellschaftlich umstritten. Die Beibehaltung der Zustimmungslösung wird die Spendenbereitschaft wahrscheinlich nicht sonderlich erhöhen. Denn an Werbung für die Organspende mangelte es in in den vergangenen Jahren wahrlich nicht. So werden die mehr als 9 000 Menschen, die nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) Ende 2019 für eine Transplantation registriert waren, wohl weiterhin ­Geduld haben müssen. 2019 spendeten der DSO zufolge nur 932 Menschen ­Organe. Im Vorjahr hatte es 955 Spender gegeben.
Über die Gründe für die mangelnde Spendenbereitschaft kann man nur spekulieren. Vielleicht spielen noch die Nachwirkungen des Organspendeskandals von 2010 und 2011 eine Rolle, als es zu Richtlinienverstößen bei der Organvergabe kam. Vielleicht liegt es aber auch an der mangelnden Aufklärung, ab wann und wie man genau Organspender wird. In Deutschland ist dieser Punkt sehr genau und im europäischen Vergleich sehr restriktiv geregelt: Eine Spende ist nur möglich, wenn Ärzte den Hirntod einwandfrei festgestellt haben. Ein Herz- und ­Kreislaufversagen macht eine Spende schon unmöglich. Das ist in vielen ­europäischen Ländern anders. In Spanien beispielsweise können auch nach einem Herzstillstand Organe entnommen werden. Die restriktive ­Regelung in Deutschland verkleinert den Kreis der Spender, denn nur ein kleinerer Prozentsatz der Patienten erleidet zuerst einen Hirntod. Zu den häufigsten Todesursachen zählen immer noch Herz- und Kreislaufversagen.

Wahrscheinlich hat Spahn recht, wenn er sagt, »dass in jeder Familie, in der Nachbarschaft, auf Arbeit, wo Bürger aufeinandertreffen, über diese Frage gesprochen worden ist«. Und manchmal kommen so gesellschaftliche Veränderungen in Gang.