Der mutmaßliche Mörder Walter ­Lübckes hatte Verbindungen zu »Combat 18«

Ein dubioses Geständnis

Das Bundesinnenministerium hat »Combat 18« verboten. Der mut­maßliche Mörder Walter Lübckes soll an einem Treffen der militanten Neonazigruppe teilgenommen haben. Mittlerweile bestreitet er, den Kasseler Regierungspräsidenten erschossen zu haben.

Das Bundesinnenministerium (BMI) hat den deutschen Ableger der internationalen militanten Neonaziorganisation »Combat 18« am vergangenen Donnerstag verboten. Die Vereinigung bekenne sich zur NSDAP, weise eine »kämpferisch-aggressive Grundhaltung« auf und sei rassistisch sowie antisemitisch, heißt es auf der Website des BMI. Das Ministerium geht von etwa 20 Mitgliedern in Deutschland aus. Der antifaschistischen Rechercheplattform »Exif« zufolge lässt sich die Mitgliedschaft von etwa 50 Personen belegen.

Der Bundesgerichtshof hält Stephan E., den mutmaßlichen Mörder Walter Lübckes, weiterhin für dringend tatverdächtig.

Das Verbot begleiteten Wohnungsdurchsuchungen in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-­Pfalz und Thüringen. Dabei seien »unter anderem Mobiltelefone, Laptops, Datenträger, Tonträger, waffenrechtlich relevante Gegenstände, Kleidung, NS-Devotionalien und Propagandamittel beschlagnahmt« worden, heißt es in ­einer Pressemitteilung des BMI.

Parteien und Organisationen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) äußerten Zustimmung, manchen kritisierten jedoch, dass das Verbot zu spät erfolgt sei. »Die rechtsextreme Szene musste mit dem Verbot rechnen und hatte genügend Zeit, belastendes Material verschwinden zu lassen und sich neu zu formieren«, sagte der Geschäftsführer der AAS, Timo Reinfrank.

Ob »Combat 18« konkrete Anschläge oder andere Gewalttaten plante, ist nicht bekannt. Kritiker hatten den Behörden wiederholt vorgeworfen, die Organisation zu unterschätzen. Im Juni berichtete das Politmagazin »Monitor« über ein Treffen von Mitgliedern von »Combat 18« und der neonazistischen Vereinigung »Brigade 8« am 23. März 2019, an dem auch Stephan E., der ­mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, teilgenommen haben soll. Allerdings existieren zu dieser anhand von Fotos aufgestellten Behauptung widersprüchliche Gutachten von Sachverständigen.

Im Mordfall Lübcke gibt es neue Entwicklungen. Zunächst sorgte Anfang des Monats ein neues Geständnis des Tatverdächtigen Stephan E. für Auf­sehen. Wie dessen Rechtsanwalt Frank Hannig auf einer Pressekonferenz angab, soll E. dem Ermittlungsrichter gesagt haben, dass nicht er selbst auf Lübcke geschossen habe, sondern Markus H. Dieser war bislang lediglich der Beihilfe zum Mord verdächtig und sitzt deshalb in Untersuchungshaft. Die ­Ermittler vermuten, dass er E. den Kontakt zu einem Waffenhändler vermittelt hat.
Mittlerweile behauptet E., H. habe den CDU-Politiker in der Nacht zum 2. Juni 2019 versehentlich erschossen. Eigentlich hätten die beiden ihn lediglich mit einer Waffe bedrohen und einschüchtern wollen, doch in einem Gerangel sei dann der tödliche Schuss gefallen. ­Medienberichten zufolge gab es bislang keine Hinweise darauf, dass neben E. eine weitere Person direkt am Mord beteiligt war. Nur E.s DNA-Spuren seien am Tatort gefunden worden.

E. und H. kennen sich seit Jahren aus dem Neonazimilieu in Kassel. Sie waren beide im Mai 2009 an einem Angriff auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund beteiligt, sollen gemeinsam an Schießübungen teilgenommen haben und besuchten im Oktober 2015 zusammen die Bürgerversammlung, auf der Lübcke davon sprach, jeder Deutsche könne »jederzeit dieses Land verlassen«, wenn er bestimmte Werte nicht vertrete.

Kurz nach seiner Verhaftung hatte E. ein Geständnis abgelegt: Er habe Lübcke aus Ärger über dessen Asylpolitik erschossen – allein. Dieses Geständnis widerrief er wenige Tage später. E.s derzeitiger Anwalt Hannig sagte auf einer Pressekonferenz, Dirk Waldschmidt, der frühere Anwalt seines Mandanten, habe diesem finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt, wenn er H. nicht erwähne. Waldschmidt dementierte das und kündigte Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung an.

Der Bundesgerichtshof (BGH) veröffentlichte am Montag einen Beschluss vom 15. Januar, dem zufolge E. in Untersuchungshaft bleiben muss. Er sei weiterhin dringend tatverdächtig, Lübcke erschossen zu haben. Dieser Verdacht beruhe insbesondere auf dem Geständnis vom 25. Juni. »Anlass, an dem Wahrheitsgehalt dieser Einlassung zu zweifeln, besteht im derzeitigen Ermittlungsstadium nicht«, schreibt der BGH. Das erste Geständnis werde durch eine DNA-Untersuchung des hessischen Landeskriminalamts (LKA) gestützt. An Lübckes Oberbekleidung habe das LKA eine DNA-Spur gesichert, die eindeutig mit den DNA-Merkmalen von Stephan E. übereinstimme. Zudem liefere das neue Geständnis keine »plausible Erklärung« dafür, warum er sich zunächst anders geäußert hatte.

Neuigkeiten gab es Anfang des Jahres auch über die möglichen Verbindungen E.s zum Verfassungsschutz und zur AfD. Bereits im Oktober war bekannt geworden, dass der ehemalige Verfassungsschützer Andreas Temme dienstlich mit E. befasst war. Temme war am 6. April 2006 in einem Internetcafé in Kassel anwesend, als Halit Yozgat vom rechtsterroristischen NSU ermordet wurde. Er wurde kurz darauf in das seit 2009 von Lübcke geleitete Regierungspräsidium versetzt.

Das »Redaktionsnetzwerk Deutschland« (RND) konnte nach eigenen ­Angaben inzwischen einige Ermittlungsunterlagen des Polizeipräsidiums Mittelfranken einsehen. Darin soll ein Vermerk vom Juni 2006 existieren, in dem ein Mitarbeiter einer Kasseler Sicherheitsfirma angibt, Temme seit 1990 zu kennen und mit ihm an Schießübungen teilgenommen zu haben. »Geübt wurde mit der Dienstwaffe des Sicherheitsmannes – einem Revolver der Marke ›Rossi‹, Modell 27, Kaliber 38 Spezial«, heißt es in dem Bericht des RND. Mit einer Waffe dieser Marke soll auch Lübcke erschossen worden sein. Bereits in den vergangenen Monaten hatte es wiederholt Spekulationen über Kontakte von E. und H. zum Unterstützerkreis des NSU gegeben.

Besser belegt sind E.s Verbindungen zur AfD. Dem NDR zufolge unterstützte E. die Partei unter anderem 2018 im hessischen Landtagswahlkampf, indem er beim Plakatieren half und mehrere Veranstaltungen besuchte. Mitglieder der AfD hätten der Polizei davon berichtet. Der NDR habe entsprechende Unterlagen einsehen können.

Bereits wenige Wochen nach dem Mord an Lübcke war bekannt geworden, dass E. im Dezember 2016 zu Wahlkampfzwecken eine Spende in Höhe von 150 Euro an die AfD überwiesen hatte. Zudem ist er gemeinsam mit H. auf Fotos und Videos zu sehen, die Teilnehmer eines auch von AfD-Politikern angeführten »Trauermarschs« zeigen, der am 1. September 2018 in Chemnitz stattfand (Jungle World 40/2019). Dort hatte es im Sommer 2018 tagelang ­Demonstrationen und Ausschreitungen gegeben, nachdem ein Mann am ­Rande des Stadtfests durch Messerstiche getötet worden war. Das Chemnitzer Landgericht verurteilte im vergangenen August einen Syrer wegen Totschlags. Die Verteidigung legte Revision ein.