Björn Höcke war mit dem »Flügel« zu Gast im völkischen Zentrum Schnellroda

Unter Beobachtung

Björn Höcke war mit Vertretern seiner AfD-Gruppierung »Der Flügel« zu Gast in Schnellroda, dem Zentrum der völkischen Propaganda. Höckes publizistischer Pate Götz Kubitschek macht sich Sorgen, weil der Verfassungsschutz die Überwachung der AfD verschärfen könnte.

Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten verweigerte Bodo Ramelow (Linkspartei) Björn Höcke im Thüringer Landtag am Mittwoch vergangener Woche demonstrativ den Handschlag. Zwei Tage später empfing man ihn im sachsen-anhaltischen Schnellroda mit offenen Armen: Der thüringische Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD sei dort von seinen Anhängern mit Marschmusik und Fahnenschwenken begrüßt worden, berichtete die Mitteldeutsche Zeitung. Lehnten parteiinterne Kritiker den »exzessiv zur Schau gestellten Personenkult« Höckes nach dem letzten Treffen des völkisch-nationalis­tischen »Flügels« der AfD im Juli 2019 in Leinefelde (Thüringen) in einem »Appell der 100« noch halbherzig ab, ist nun auch diese Empörung leiser geworden. Zu stark ist die schon zu Zeiten des AfD-Mitgründers Bernd Lucke ins Leben gerufene und beim letzten Bundesparteitag in Braunschweig konsolidierte Gruppierung »Der Flügel« geworden. In ihr sammelt sich der rechte Rand der extrem rechten Partei auf informelle Weise. Bei seinen jährlichen Treffen feiert der »Flügel« sich und seine Führer.

Nach den Querelen um den ­»Flügel«-Mitbegründer André Poggenburg sollte das Treffen in Schnellroda einen Neubeginn für den sachsen-anhaltischen AfD-Landesverband bedeuten.

Dass die Gruppierung in Schnellroda gastierte, wo gewöhnlich Götz Kubitscheks »Institut für Staatspolitik« (IfS) in seinen sogenannten Sommer- und Winterakademien den neurechten Nachwuchs schult und der Verlag Antaios rechte Pamphlete veröffentlicht, hat in zweierlei Hinsicht eine symbolische Bedeutung. Einmal nach innen, weil der vom AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland zur »Mitte der Partei« gezählte Höcke und dessen »Flügel« die restliche Partei nun auch offiziell an die völkische Propaganda bindet, von der sich die internen Kritiker Höckes stets distanziert haben, obwohl sie eine Vielzahl seiner Positionen teilen. Zum anderen ist es eine Geste nach außen, weil die AfD damit das völkische Ideologem vom »Großen Austausch« bekräftigt, das auch die Attentäter von Halle und Hanau zu ihren Terroranschlägen mo­tivierte.

Nach den Querelen um ihren ehemaligen Landes- und Fraktionsvorsitzenden der AfD in Sachsen-Anhalt, den »Flügel«-Mitbegründer André Poggenburg, sollte das Treffen in Schnellroda einen Neubeginn für den Landesverband bedeuten. Nach Angaben des Organisators, des Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider, besuchten 180 Gäste die »unterhaltsamen, motivierenden und gehaltvollen Reden« in der Gaststätte »Zum Schäfchen«. Neben Björn Höcke und dem Brandenburgischen Landes- und Fraktionsvorsitzenden der AfD, Andreas Kalbitz, sprachen auch der sachsen-anhaltische Landesvorsitzende Martin Reichardt, der Fraktionsvorsitzende Oliver Kirchner, Tillschneider selbst sowie Götz Kubitschek. Der Mitteldeutschen Zeitung zufolge soll Tillschneider, der als Sympathisant der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) gilt, in seiner Rede unter anderem gerufen haben: »Wir sind die Gemeinschaft der diszipliniertesten Soldaten dieser Partei!« Und: »Wir sind die Preußen der AfD!« Unter den zeitig angereisten Gästen sichteten Beobachter unter anderem IB-Mitglieder aus dem Raum Bochum (Nordrhein-Westfalen).

Gegen die von Tillschneider als »patriotische Feier ersten Ranges« angekündigte Veranstaltung demonstrierten etwa 170 Menschen. Anders als bei den Protesten gegen die IfS-Akademien hielten die Demonstrierenden den Platz vor dem Eingang zum »Schäfchen« spontan eine Stunde lang besetzt, bevor am Abend eine Demonstration durch das Dorf zog. Den Protest hatten antifaschistische, studentische und zivil­gesellschaftliche Gruppen aus dem Umland sowie der Stadtverband Halle/Saale der Linkspartei organisiert. »So nah war der Protest noch nie dran«, sagte Valentin Hacken, Sprecher von »Halle gegen rechts – Bündnis für Zivilcourage«, der Jungle World. Unter den Rednerinnen und Rednern der Protestveranstaltungen war auch Markus Nierth, ein evangelischer Theologe und ehemaliger Bürgermeister des sachsen-anhaltischen Ortes Tröglitz. Er hatte 2015 als Bürgermeister die Aufnahme von Flüchtlingen in seinem Dorf ­gerechtfertigt und gab sein Amt ab, als die NPD mit einer Demons­tration vor seiner Haustür drohte.

Während der Verfassungsschutz den »Flügel« und die AfD-Jugendorganisa­tion »Junge Alternative« bisher nur als »Verdachtsfälle« und die Gesamtpartei als »Prüffall« betrachtete, steht nun offenbar eine offizielle Beobachtung des »Flügels« und eine Einstufung der Gesamtpartei als »Verdachtsfall« kurz bevor. Das berichteten WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung vergangene Woche. Ermöglichte eine Beobachtung als Verdachtsfall lediglich eine »personenbezogene Auswertung und eine Speicherung von personenbezogenen Daten in Dateien und Akten« sowie unter bestimmten Bedingungen auch den Einsatz »nachrichtendienstlicher Mittel«, könnte der Inlandsgeheimdienst den »Flügel« als »Beobachtungsfall« künftig mit Hilfe von V-Männern und abgehörten Telefonaten untersuchen.

Die Anhänger des »Flügels« machen in den östlichen Landesverbänden nach Angaben von Behörden bereits bis zu 40 Prozent der Mitglieder aus, er ist mit Kalbitz, Stephan Brandner und Stephan Protschka im Bundesvorstand vertreten und auch von Jörg Meuthen, Alexander Gauland, Alice Weidel und dem als Co-Parteivorsitzenden neu gewählten Höcke-Protegé Tino Chrupalla akzeptiert. Der »Flügel« ist ein fester Bestandteil der Partei. Auch Hacken sieht keinen substantiellen Unterschied zwischen dem »Flügel« und dem Rest der AfD in Sachsen-Anhalt.

Während es einen solchen Unterschied 2016 noch gegeben habe, als die AfD als zweitstärkste Partei mit über 24 Prozent der Stimmen erstmalig in den Landtag einzog, sei die Situation inzwischen eine völlig andere. »Alle, die nicht auf ›Flü­gel‹-Linie waren, sind entweder nicht mehr Parteimitglieder oder haben keinerlei Bedeutung mehr«, sagte Hacken der Jungle World.

Nach Recherchen der Zeit werden bereits seit Februar die Telefongespräche und der E-Mail-Verkehr von Höcke, Kalbitz und Tillschneider überwacht. Das ist nach einem Urteil des Bundes­gerichtshofs möglich, wenn »Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ab­geordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft«.

Spätestens seit September 2018, als der damalige Bundesvorstand eine interne fünfköpfige »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz« unter Leitung des Juristen Roland Hartwig einsetzte, versucht die Partei, eine Überwachung abzuwenden. Im »Stuttgarter Aufruf« kritisierten dessen Unterzeichner die von Hartwig erarbeiteten Handlungsempfehlungen als parteischädigende »Denk- und Sprech­verbote«.

Auch Kubitschek, der nach Angaben der Spiegel-Redakteurin Melanie Amann einen Entwurf der »Gründungsurkunde« des »Flügels« mitverfasst haben soll, zeigt sich in einer auf der Website seines Magazins Sezession veröffentlichten Stellungnahme besorgt über »die neuerliche Verschärfung der Sprache, die der Verfassungsschutz anschlägt«.