Antifaschismus als Staatsziel in der Verfassung ist nicht viel mehr als Symbolpolitik

Antifaschismus als Symbolpolitik

Sachsen-Anhalt hat sich den Kampf gegen nationalsozialistische Bestrebungen in die Verfassung geschrieben. Der Sinn dieser progressiv klingenden Bestimmung ist zweifelhaft.

»Sachsen-Anhalt ist nun offiziell ein antifaschistisches Land«, jubelte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am 28. Februar. An diesem Tag beschloss der Magdeburger Landtag eine Verfassungsreform, nach der künftig unter anderem ein Artikel 37a gilt, der bestimmt: »Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.« Angesichts der Auseinandersetzungen um die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten hob das RND erfreut hervor: »Dafür haben sogar CDU und Linke zusammengearbeitet.«

Dass die Freude über die Zusammenarbeit von Linkspartei und CDU zum Wohle des Antifaschismus in Sachsen-Anhalt deutlich gedämpft werden muss, machte wenig später die Landtagsabgeordnete Henriette Quade (Linkspartei) deutlich. In einem Interview mit Radio Corax aus Halle sagte sie am 3. März, dass, um die notwendige Zweidrittelmehrheit für die von den Regierungsparteien CDU, SPD und Grünen angestrebte Verfassungsreform zu erreichen, die demokratischen Parteien sich auf einen Kompromiss geeinigt hätten, in dessen Rahmen die Linkspartei die Einführung dieses Artikels durchsetzen konnte, die ihr ein »sehr, sehr großes Anliegen« gewesen sei.

Der praktische Nutzen sogenannter Staatszielbestimmungen ist gering. Die Einschränkung von Grundrechten kann auf sie nicht gestützt werden.

Tatsächlich war und ist die Einführung sogenannter Antifaschismusklauseln in die Verfassungen von Bund und Ländern seit den neunziger Jahren ein zentrales rechtspolitisches Ziel der PDS und der aus ihr hervorgegangenen Linkspartei. Nach dem Scheitern des Realsozialismus und der damit einhergehenden umfassenden Delegitimierung kommunistischer respektive staatssozialistischer Parteien war es für die PDS nach 1990 nicht einfach, positive Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit ihrer Vorgängerorganisationen SED und KPD zu finden. Fast zwangsläufig fiel die Wahl auf den Antifaschismus und die Geschichte des linken Widerstands gegen den Nationalsozialismus, die auch in den bürgerlichen Gesellschaften Westeuropas eine gewisse Anerkennung genossen hatten.

Durch die rechtsextreme Gewaltwelle der neunziger Jahre gewann die antifaschistische Selbstverortung der Partei zudem tagesaktuelle Relevanz. Zur gleichen Zeit wurde die PDS unter Berufung auf die Totalitarismusdoktrin und die Gleichsetzung von DDR und nationalsozialistischer Herrschaft weitgehend aus dem deutschen Politikbetrieb ausgegrenzt. In dieser Situation adaptierte die PDS einen rechtstheoretischen Ansatz, der in der alten Bundesrepublik bereits seit den siebziger Jahren von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und ihrem Umfeld vertreten worden war. Danach wäre dem Grundgesetz eine antifaschistische Wertordnung eingeschrieben, die nur noch in die Verfassungspraxis überführt werden müsse. Diese Annahme war zwar rechtswissenschaftlich kaum haltbar und beruhte auf dem bewusstem Ignorieren der postfaschistischen Konstitution der bundesdeutschen Gesellschaft. Für die PDS war sie jedoch aus einem einfachen Grund attraktiv. Wenn das Grundgesetz eine antifaschistische Verfassung wäre, dann würde eine antifaschistische Partei ganz selbstverständlich zum »Verfassungsbogen« der demokratischen, die verfassungsmäßige Ordnung tragenden Parteien gehören; ihre Gleichsetzung mit Rechtsextremen und der Ausschluss aus dem politischen Betrieb wären nicht mehr länger legitimierbar.

Allerdings wollten sich dieser Interpretation des Grundgesetzes weder die Rechtsprechung noch andere Parteien anschließen. Deswegen versuchte die PDS ab 2001 antifaschistische Bestimmungen in den Verfassungen von Bund und Ländern zu verankern. Damit scheiterte sie zwar 2001 auf Bundesebene und in Sachsen und 2005 in Thüringen. Zur gleichen Zeit gewann jedoch das Konzept eines verfassungsrechtlich verankerten Antifaschismus für die PDS / Linkspartei in der Auseinandersetzung mit der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) an zusätzlicher Relevanz, nachdem 2001 ein Verbotsantrag gegen diese vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war und die NPD ab 2004 in den ostdeutschen Bundesländern bedeutende Wahlerfolge erzielte. Vor allem sah man in einer antifaschistischen Klarstellung in den Verfassungen die Möglichkeit, der NPD die Berufung auf Grundrechte wie beispielsweise die Versammlungsfreiheit zu erschweren. Dies strebten auch Personen und Organisationen an, die nicht organisatorisch oder personell mit der PDS / Linkspartei verbunden waren.

So gelang es der Partei schließlich 2007 in Mecklenburg-Vorpommern und 2012 in Brandenburg Verfassungsänderungen zu initiieren, die ein »NPD-Verbot light« in den Landesverfassungen verankern sollten. Allerdings mussten die entsprechenden Regeln im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens, vor allem im Ringen um die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten, deutlich abgeschwächt werden. In Mecklenburg-Vorpommern wurde die Verfassung so um die Erklärung ergänzt: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker oder der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns zu stören und insbesondere darauf gerichtet sind, rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut zu verbreiten, sind verfassungswidrig.« Die entsprechende Bestimmung in Brandenburg lautete: »Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.«

Derartige Regeln, wie auch die neue Bestimmung in der Verfassung Sachsen-Anhalts, werden in der Rechtswissenschaft als Staatszielbestimmungen bezeichnet. Ihr praktischer Nutzen ist gering. Die Einschränkung von grundgesetzlich garantierten Rechten wie der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, um Rechtsextreme an der Verbreitung ihrer Ideen zu hindern, kann auf sie nicht gestützt werden. Sie bewirken noch nicht einmal eine Haushaltsgarantie, die den Gesetzgeber verpflichten würde, Aktivitäten gegen den Rechtsextremismus in bedarfsgerechter Höhe zu finanzieren. Es handelt sich bei ihrer Einführung also um reine Symbolpolitik.
Diese Symbolpolitik könnte dennoch politische Wirkung entfalten. Dann nämlich, wenn sie Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse wäre, zum Beispiel, wenn die Verfassungsänderungen von einer starken antifaschistischen Bewegung oder einer Bürgerrechtsbewegung rassistisch ausgegrenzter Bewohnerinnen und Bewohner des Landes erzwungen worden wären und die entsprechenden Bestimmungen ein Zeichen der politischen Anerkennung dieser Bewegungen darstellen würden. Sachsen-Anhalt, das Bundesland, indem Oury Jalloh mutmaßlich von Polizisten aus rassistischen Motiven auf barbarische Art und Weise getötet wurde und in dem CDU, SPD und Grüne durch das Verhindern der effektiven Aufklärung dieser Tat die Täter decken; das Land, das sich der parlamentarischen Untersuchung des NSU verweigert hat, in dem bis vor kurzem Synagogen staatlicherseits nicht vor antisemitischen Angriffen geschützt wurden, und in dem CDU-Politiker »das Soziale mit dem Nationalen« versöhnen wollen, um nur ein paar aktuelle Beispiele zu nennen – dieses Land ist von derartigen Verhältnissen so weit entfernt, wie nur eben denkbar.

Der sozialdemokratische Richter am Bundesverwaltungsgericht und Jura­professor Uwe Berlit sagte bereits 2013 in einem Vortrag zum Thema »Rechtsextremismus und Recht« in Erfurt: »Verfassungspolitisch bergen solche Extremismusklauseln die Gefahr einer Entwertung der Normativität der jeweiligen Landesverfassung. Sie können in der Bürgerschaft und bei Angehörigen staatlicher Instanzen Erwartungen zu den Handlungsmöglichkeiten wecken, die nicht erfüllt werden können.« Entsprechende Desillusionierungserlebnisse sind nun in Sachsen-Anhalt zu erwarten. Zudem wird sich eine Gefahr realisieren, die der Sozialdemokrat Berlit nicht sah: Eine antifaschistische Symbolpolitik, bei der sich das Land mit einer scheinbar progressiven Verfassungsbestimmung schmückt, während sich an den Lebensbedingungen der vom rechten Terror Betroffenen real nichts ändert, entwertet tatsächlich den Gehalt des Begriffs »Antifaschismus«.