Der andere Zustand
Lisa D. ist mit »Klääsch. Zusammenstöße mit Kunst, Mode und anderen Disziplinen 1984–1994« ein Buch gelungen, das Sehnsucht auslöst: nach den Achtzigern, den frühen Neunzigern und der Berliner Subkultur, die sich heute vor Laptop und Latte langweilt. Dass Mode ein provokantes Spiel mit Stilen, Rollen, Hierarchien und Geschlechterbildern sein kann und eher mit Anarchie als mit konsumistischer Anbiederung zu tun hat, machen die lebendigen Schilderungen der Erzählerin deutlich. Lisa D. wollte nicht über sich selbst schreiben, daher hat sie eine Kunstfigur, das verrückte Modell Alice Daddledale, erfunden, die Auskunft über Lisa D. gibt.
Lisa D., die in Graz und New York gelebt hat und seit langem in Berlin zu Hause ist, macht als Modeschöpferin und Performancekünstlerin sowie mit ihrem Atelier in Berlin-Schöneberg von sich reden. In der Boutique mit dem schönen Namen »Bis es mir vom Leibe fällt« kann man alte Klamotten upcyclen und in Workshops die Kunst der langfristig-originellen Zweit-, Dritt- und Viertnutzung erlernen. Und natürlich tolle Unikate kaufen.
»Klääsch« ist ein ungewöhnlicher, semiautobiographischer Bericht über die Mode- und Kunstszene Westberlins vor, während und kurz nach der Wende. Auch die bibliophile Gestaltung des im kleinen, unabhängigen Maro-Verlag erschienen Buches fällt aus dem Rahmen: »Klääsch« stellt selbst eine Art »Leseperformance« dar. Das Buch besteht aus farbigen Doppelseiten, sieben ausgewählte Performances von Lisa D. werden als Bildstrecken gezeigt. Ein Aufkleber auf dem Umschlag des Buchs als »Anleitung zur klääschigen Leseperformance« erklärt, dass man die vielen Doppelseiten erst aufschlitzen müsse, um den auf den Innenseiten gedruckten Text lesen zu können. Ferner erfahren die Leserinnen und Leser: »Geöffnete Seiten bedeuten nicht, dass das Buch beschädigt ist; es befindet sich lediglich in einem anderen Zustand.«
Lisa D.: Klääsch. Zusammenstöße mit Kunst, Mode und anderen Disziplinen 1984–1994. Maro-Verlag, Augsburg 2019, 352 Seiten, 38 Euro