Die Bundesregierung verhindert »Coronabonds«, obwohl die Krise die EU bedroht

Ein Weckruf nach deutscher Führung

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Wieder einmal aber konnte sich die von der Bundesrepublik geführte Koalition gegen die Vergemeinschaftung von Schulden durch gemeinsame Anleihen der EU durchsetzen. Dies könnte sich allerdings schneller ändern als erwartet. Denn der Finanzbedarf zur Bewältigung der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen ist zurzeit kaum abschätzbar. Erst kürzlich hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) düstere Prognosen für die europäischen Volkswirtschaften gestellt: Die deutsche Wirtschaftsleistung werde im Vergleich zum Vorjahr sieben Prozent geringer ausfallen, das Bruttoinlandsprodukt in Spanien und Italien gar um acht beziehungsweise neun Prozent sinken. Die Staatsverschuldung könnte deshalb in den beiden letztgenannten Nationen auf 120 beziehungsweise 155 Prozent des BIP steigen, so der IWF. Neue Kreditgeber zu finden, dürfte da teuer oder fast unmöglich werden.

Eine Position wie die des wirtschaftsliberalen Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, der im völligen Widerspruch zur tatsächlichen Lage twitterte, Italien habe »keinen akuten Finanzierungsbedarf«, sondern versuche lediglich, »im Windschatten von Corona zu unbegrenzten Finanzierungsmöglichkeiten für seinen Staatshaushalt zu kommen«, wird selbst hierzulande in Frage gestellt. Neben vielen weiteren Politikern aus SPD, Grünen und selbst der Union hatten sich bereits am 5. März die ehemaligen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und Joseph Fischer (Grüne) in einem im Tagesspiegel veröffentlichten »Weckruf« für gemeinsame europäische Finanzinstrumente ausgesprochen.

Sie treibt die Sorge, die EU, Deutschlands wichtigstes politisches und wirtschaftliches Projekt, könnte sonst »bei dieser größten Bewährungsprobe seit ihrer Entstehung« untergehen. Deutschland müsse »jetzt die Bereitschaft zur Führung in Europa zeigen«. »Tun wir das nicht, wird Europa seine wirtschaftliche Souveränität nicht erreichen, sondern im Zweifel immer von der Politik des Dollar-Raums abhängen«, warnen Gabriel und Fischer. »Krisen können Chancen für Europa sein«, schließt der »Weckruf«, »so wie die Balkan-Kriege der neunziger Jahre, die zum Beginn einer europäischen Außenpolitik führten.«

Hierin sind die beiden mit dem französischen Präsidenten einig. »Wir brauchen Finanztransfers und Solidarität, damit Europa zusammenhält«, gab Emmanuel Macron vor den jüngsten Verhandlungen der Financial Times zu Protokoll. Jetzt sei »der Moment der Wahrheit, in dem es darum geht, ob die Europäische Union ein politisches Projekt ist oder lediglich ein Markt«.

Unterstützung hatte sich Macron sogar von Papst Franziskus geholt. Der Segen und das Gebet, die »der Stellvertreter Gottes« der europäischen Einigkeit zukommen ließ, dürften die Zusammenarbeit innerhalb der EU aber kaum befördern – anders als die deutschen Hegemonialpläne. Die Bereitschaft Merkels, statt Coronabonds einen europäischen Wiederaufbaufonds bis zu 1,5 Billionen Euro auch mit »großzügigen deutschen Beiträgen« aufzufüllen, könnte dafür ein erstes Zeichen sein.