Die Pandemie belastet das Immobilienkapital bislang kaum – anders als Millionen Mieter

Immobilien bleiben immun

Die großen Konzerne der Wohnungswirtschaft blicken der durch die Coronapandemie ausgelösten Rezession gelassen entgegen. Sie fürchten sich eher vor regulatorischen Eingriffen in den Markt.

Die Analysten sind sich einig: Der Ware Wohnraum kann die Covid-19-Pandemie kaum etwas anhaben. Sie gilt als lukrative und sichere Anlage in der sich abzeichnenden Rezession. Zwar warnte das Forschungsinstitut Empirica noch Anfang April vor einem Einbruch der Immobilienpreise in Deutschland um bis zu 25 Prozent. Doch bereits ­einige Wochen später beschwichtigte das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW): »Immobilienbesitzer müssen nicht befürchten, dass die Coronapandemie zu großen Wertverlusten führt.« Selbst im schlechtesten Szenario rechnet das Institut mit einem Preisverfall von lediglich zwölf Prozent. Bereits im nächsten Jahr sollen die Preise wieder auf das Vorkrisenniveau steigen.

Die vier größten Immobilienaktiengesellschaften nutzen die Krise, um ihr ramponiertes Image aufzupolieren.

Der Ende April veröffentlichte F+B-Wohnindex bestätigt die These von ­einem glimpflichen Ausgang der Pandemie für Hausbesitzer. Die durchschnittlichen Preise für Eigentumswohnungen stiegen demnach im ­ersten Quartal 2020 in den 50 größten deutschen Städten um 2,8 Prozent. Die Mietentwicklung ist von der Pandemie bisher noch weniger betroffen als die Preise beim Wohneigentum. Laut F+B zogen die Mieten im Vergleich zum vorigen Quartal bei neuen Verträgen um 0,6 Prozentpunkte an, nachdem sie im vergangenen Jahr stagniert hatten. Die Bestandsmieten erhöhten sich im selben Zeitraum um 0,3 Prozent. Angesichts der gewerkschaftlichen ­Zurückhaltung in der Krise und mittelfristig stagnierender Löhne führen steigende Mieten zu Reallohnverlusten.

 

Die Hoffnung des Immobilienkapitals

Wohnungsmärkte sind im Vergleich zu Aktienmärkten weniger sprunghaft und Immobilien als Sachwerte nicht anfällig für kurzfristige Schocks. Im Gegensatz zur Industrie schöpft der Immobiliensektor keinen Mehrwert aus der Ausbeutung der Ware Arbeit, sondern erwirtschaftet Einnahmen aus Mieten, die mit Löhnen oder Gewerbeeinkünften bezahlt werden. Ökonomische Entwicklungen zeigen sich in der Immobilienwirtschaft daher verzögert. Ihre Abhängigkeit von der gesamtwirtschaftlichen Lage ist nur mittelbar.

Die Gründe für die anhaltende Attraktivität des deutschen Wohnungsmarktes für anlagesuchendes Kapital sind vielfältig. Zum Optimismus der Analysten trägt wesentlich die anhaltende Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank bei. Sie pumpt durch den Ankauf von Staatsanleihen Geld in den Markt. Diese Mittel und weiteres überakkumuliertes Kapital fließen seit der Euro-Krise in großem Maß in Immobilien. Die historisch niedrigen Zinsen für Hypothekendarlehen und staatliche Zuschüsse zur Eigentums­bildung wie das Baukindergeld förderten die Anlage in Wohnraum.

Die derzeitige Offensive von Wirtschaftsvertretern, die pandemiebedingten Einschränkungen zu beenden und den Austausch von Waren und Geld möglichst schnell wieder zu fördern, nährt die Hoffnung des Immo­bilienkapitals, dass sein Geschäft die Krise gut übersteht. Am anhaltenden Missverhältnis von Angebot und Nachfrage auf den Wohnungsmärkten ­ändert die Pandemie ohnehin nichts. Viele Analysten verweisen auf die vor­herige Krise, in deren Folge junge Menschen aus besonders betroffenen Staaten Süd- und Südosteuropas nach Deutschland migrierten und entscheidend zum Bevölkerungswachstum deutscher Großstädte beitrugen. Angesichts der Härte, mit der die Pandemie Staaten wie Italien und Spanien getroffen hat, während Deutschland bislang vergleichsweise glimpflich davongekommen ist, ist ein ähnliches Szenario erneut vorstellbar. Aufgrund der geschlossenen Grenzen klagt die Bauwirtschaft über fehlende Arbeitskräfte aus dem Ausland, die sonst für niedrige Löhne auf deutschen Baustellen schuften. Werden deswegen in diesem Jahr weniger Wohnungen gebaut, dürfte der Wohnungsmarkt bei weiterem Zuzug noch enger werden.

 

Die Konzerngewinne sind sicher

Großes Vertrauen setzt die Wohnungswirtschaft in die Bundesregierung, die versucht, ihre Profite zu schützen. Als Gewinner der Krise ab 2007 kann der deutsche Staat riesige Summen an öffentlichen Mitteln mobilisieren. In der Krise übernimmt der Sozialstaat zeitweise die Kosten der Unterkunft bei Neuanträgen auf Hartz IV. Die Bundesregierung hat die Beantragung von Wohngeld vereinfacht und bezuschusst kleine Selbständige mit Soforthilfen, um den Mietzahlungsfluss sicherzustellen. Kurzarbeitenden helfen diese Maßnahmen jedoch kaum. Bei Einnahmeverlusten drohen Haushalten wachsende Schulden. Im April hatten ­einer Umfrage des Demoskopieunternehmens Civey zufolge fast sieben Prozent der Mieter mit Zahlungsschwierigkeiten zu kämpfen. Hochgerechnet sind das mehr als 1,6 Millionen Betroffene. Rund ein Fünftel der Befragten konnten nicht abschätzen, ob sie in den kommenden Monaten weiter zahlen können.

Während die Bundesregierung bisher die Immobilienwirtschaft nicht an den Kosten beteiligen will, nutzen die vier größten Immobilienaktiengesellschaften die Krise, um ihr ramponiertes Image aufzupolieren. Die Deutsche Wohnen hat einen Hilfsfonds in Höhe von 30 Millionen Euro eingerichtet, um säumige Mieter zu unterstützen. Vonovia SE, LEG Immobilien AG und TAG Immobilien AG verzichten nach eigenen Angaben vorerst darauf, ihre Mieten den ortsüblichen Vergleichswerten anzupassen.

Das alles tangiert das Geschäfts­modell der Konzerne jedoch nur wenig. Mitten in der Krise platzierte Vonovia, der größte Wohnungskonzern Europas, eine Anleihe auf dem Kapitalmarkt. Vonovia und Deutsche Wohnen schütten ihren Aktionären trotz der Pandemie eine gesteigerte Dividende aus; ihre Gewinnprognose für das laufende ­Geschäftsjahr haben sie bislang nicht geändert. Im ersten Quartal 2020 steigerte Vonovia ihr operatives Ergebnis nach

Zinsen und Steuern um 10,5 Prozent. Ihr Vorstandsvorsitzender, Rolf Buch, brachte sein Unternehmen in einem Interview mit der Welt als möglichen Partner für den sozialen Wohnungsbau ins Spiel, sollte die Krise den finanziellen Spielraum für die Kommunen verringern.

Doch die Krise produziert auch in der Immobilienwirtschaft Verlierer. Gerade jene Unternehmen, die vergleichsweise günstig vermieten, wie Genossenschaften oder kommunale Wohnungsbaugesellschaften, dürften aufgrund knapper Kalkulationen bei ­einer steigenden Zahl von zahlungsunfähigen Mietern in Schwierigkeiten geraten. Gleiches gilt für kleine private Vermieter, die mit politisch geförderten Anlagen in Wohneigentum ihre Renten aufbessern wollen.

Viel mehr als die Folgen der Pandemie fürchtet die Wohnungswirtschaft ­weitere regulatorische Eingriffe in den Wohnungsmarkt – allen voran den Berliner »Mietendeckel«. Laut F+B konnte Berlin im Gegensatz zu den anderen deutschen Metropolen einen Rückgang bei den Angebotsmieten um 2,4 Prozent im vergangen Jahr und um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorquartal verzeichnen. Die Deutsche Bank warnt in einer Einschätzung ausdrücklich vor einem »engeren Regelkorsett« für den Häuser- und Wohnungsmarkt. Noch größere Sorgen bereiten ihr Vorschläge von SPD und Linkspartei, Vermögende zu belasten, um die ­öffentlichen Mehrausgaben durch die Coronakrise zu finanzieren. Mit der Warnung vor einer Zwangshypothek, wie sie in Deutschland 1923 und 1948 auf Grundeigentum erhoben wurde, verweist die Deutsche Bank auf ein ­Instrument, das der gesellschaftlichen Linken durchaus nützlich sein könnte in der politischen Auseinandersetzung darum, wer die Kosten der Krise trägt.