Die Forderung einer allgemeinen Maskenpflicht ist Ausdruck eines Wunsches nach Sicherheit und Kontrolle

Gesicht zeigen!

Masken helfen gegen die Verbreitung von Infektionen nur, wenn sie sehr korrekt getragen werden. Die Angst vor dem Virus sollte anders bekämpft werden.

Berlin ist voller Masken: Sie hängen um den Hals oder von einem Ohr, sitzen auf dem Kinn oder auf der Stirn, sie schauen aus Hosen- und Jackentaschen. An der Bushaltestelle oder in der Warteschlange vor dem Supermarkt wird die Maske in die richtige Position geschoben oder schnell aus der Tasche gewurstelt, in der sie dann anschließend wieder verschwindet. Man könnte sich auch ein benutztes Taschentuch vor den Mund binden, das wäre ähnlich hygienisch. Da es weder wünschenswert noch realistisch erscheint, dauernd zu kontrollieren, ob jede einzelne Person ihre Maske richtig trägt, können nur Einsicht und Freiwilligkeit dazu führen, die Masken sachgemäß zu verwenden.

Die Forderung einer allgemeinen Maskenpflicht ist Ausdruck eines Wunsches nach Sicherheit und Kontrolle.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat sich auf einer Pressekonferenz am 30. April gegen eine allgemeine Maskenpflicht ausgesprochen, nachdem diese in allen Bundesländern für den öffentlichen Nahverkehr und beim Einkaufen eingeführt worden war. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister sagte, das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit sei nur unter »ganz, ganz bestimmten Voraussetzungen sinnvoll« und habe ansonsten eher einen »symbolischen Charakter«. Stattdessen warnte der Allgemeinmediziner vor den Risiken: So könnten Alltagsmasken ein falsches Gefühl von Sicherheit erzeugen und zur Missachtung der Abstandsregeln führen. Zudem sei die Versorgung mit Schutzausrüstung immer noch nicht gesichert, so dass das medizinische Personal Vorrang haben sollte.

An dieser Stelle könnte die Diskussion beendet sein. Dass dem nicht so ist, liegt am erwähnten »symbolischen Charakter« der Masken. So wie ein symbolischer Dank, wie etwa das Klatschen für die Pflegekräfte, gut gemeint sein mag, aber keine Gehaltserhöhung ersetzen kann und nicht gegen miese Arbeitsbedingungen hilft, steht das Tragen einer Maske dafür, besorgt zu sein und etwas tun zu wollen, ersetzt aber auf keinen Fall wirksame Maßnahmen, wie etwa das Abstandhalten. Vom Symbol zum Symptom im Sinne der Psychoanalyse ist es bekanntlich nicht weit: Beide stellen Kompromisse dar; das Symptom verweist auf einen unbewussten Konflikt, hierin wird dieser zugleich gezeigt und durch die Entstellung verborgen. Symbol wie Symptom haben so gemeinsam, dass sie auf etwas anderes verweisen. Ein Symbol hat meist eine kulturell geteilte und überlieferte und damit potentiell verständliche Bedeutung, während ein Symptom aufgrund seiner Privatheit zwar für den Einzelnen eine (unbewusste) Bedeutung und damit einen Sinn hat, für alle anderen aber unsinnig erscheint – es sein denn, sie teilen das Symptom, das sich dann symbolisch aufzuladen beginnt.

Die Forderung einer allgemeinen Maskenpflicht ist insofern symptomatisch, als sie Ausdruck eines Wunsches nach Sicherheit und Kontrolle ist. Mit der Maske soll die Angst bekämpft werden: Wenn wir nur alle Masken tragen, dann wird nichts Schlimmeres passieren. Nicht nur im Interesse all derjenigen, für die eine allgemeine Maskenpflicht eine erhebliche Beeinträchtigung bedeuten würde, wie Gehörlose, die schwerer kommunizieren könnten, oder Menschen mit Ängsten, wäre eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum ein Schritt in die falsche Richtung. Gerade in einer Zeit, in der soziale Kontakte eingeschränkt sind und der körperliche Kontakt auf den engsten Kreis beschränkt ist, bliebe dem Menschen als sozialem Wesen immerhin noch das Lesen im Gesicht des anderen.

Menschen sind Subjekte, nicht nur Viren- oder Maskenträger. Die Maskenpflicht, auch im öffentlichen Raum, würde eine Sicht auf Menschen verstetigen, die diese nicht mehr als Individuen betrachtet, sondern lediglich als gefährliche Krankheitsüberträger. Und wer vor der Abschaffung des Kapitalismus kurzfristig etwas gegen die Angst unternommen sehen möchte, sollte sich lieber für die ausreichende Produktion von effektiver Schutz­aus­rüstung einsetzen, damit diese dort vorhanden ist, wo sie sinnvoll eingesetzt werden kann.