In der spanischen Exklave Melilla sind Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten

Lost in Melilla

Mehr als 2 000 Migrantinnen und Migranten sitzen in den spanischen Exklaven in Nordafrika in überbelegten Abschiebelagern fest. In Melilla sind Hunderte in den Hungerstreik getreten.
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Schon vor der Covid-19-Pandemie waren die Centros de Estancia Temporal para Inmigrantes (Ceti, Temporäre Aufenthaltszentren für Einwanderer) genannten Auffang- und Abschiebelager für Migrantinnen und Migranten in den spanischen Exklaven in Nordafrika überfüllt. Derzeit sind im Ceti von Melilla knapp 1 700 Menschen untergebracht, in dem von Ceuta rund 500. »Die Lager sind überbelegt, wenn es regnet, füllen sich die Zimmer mit den Fäkalien des Abwassers«, sagt Helena Maleno von der Nichtregierungsorganisation (NGO) Caminando Fronteras/Walking Borders im Gespräch mit der Jungle World. Sie wohnt im marokkanischen Tanger. Amnesty International und auch Francisco Fernández Marugán, der von Senat und Abgeordnetenhaus eingesetzte spanische Volksanwalt, dessen Funktion der eines Ombudsmanns entspricht, kritisierten wiederholt die Bedingungen in den Lagern. Maleno sagt, zu den schlechten Lebensbedingungen geselle sich die permanente Angst, abgeschoben zu werden. Der Plan des sozialdemokratischen Innenministers Fernando Grande-Marlaska, in der Pandemie mehr als 600 tunesische Migranten aus Melilla abzuschieben, sei verantwortungslos und verursache zusätzliches Leid.

»Innenminister Grande-Marlaska muss die Internierten auf ganz Spanien, und damit meine ich das europäische Festland, verteilen.« Helena Maleno, Caminando Fronteras/Walking Borders

Von den knapp 700 Tunesierinnen und Tunesiern, darunter etwa 50 Frauen und 20 Kinder, befindet sich ein Großteil seit Ende April im Hungerstreik, um gegen die geplante Abschiebung zu protestieren. Mindestens sieben Migranten nähten sich die Lippen zu. Die Tunesier sitzen mehrheitlich seit August 2019 in Melilla fest. Sie fordern, auf das europäische Festland Spaniens überstellt zu werden. Über 50 NGOs haben sich in einem Kommuniqué an das Innenministerium gegen die geplante Abschiebung ausgesprochen. Auch das tunesische Forum Tunisien pour les Droits Economiques et Sociaux (FTDES, Tunesisches Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte) protestierte dagegen.

Maleno sagt: »Wenn die Menschen nun mit ihrem durch die Nahrungsverweigerung geschwächten Immunsystem mit dem Coronavirus angesteckt werden, kann man sich die Auswirkungen der Infektion nur zu gut vorstellen.« In Ceuta und Melilla wurden es bislang insgesamt rund 350 Infektionen gemeldet. Sechs Personen starben an Covid-19. »Was die Situation in den restlos überfüllten Ceti in Ceuta und Melilla betrifft, muss Grande-Marlaska eine Lösung finden«, fordert Maleno. »Diese erfordert eine menschenwürdige, weitaus bessere Unterbringung. Er muss die Internierten auf ganz Spanien, und damit meine ich das europäische Festland, verteilen.« Die Menschen könnten in Wohnungen oder in den ohnehin leerstehenden Hotels untergebracht werden, sagt Maleno. Im südspanischen Almeria haben Hoteliers dem Roten Kreuz ihre Zimmer zur Verfügung gestellt. Migranten, die in der Nähe von Plantagen in notdürftigen Behausungen untergebracht waren, in denen es Covid-19-Fälle gab, fanden dort nach negativen Tests eine Unterkunft.

Wer Ceuta oder Melilla erreicht, ist zwar auf EU-Boden angelangt, aber Spanien verwehrt dem Großteil der Ankommenden die Weiterreise über das Mittelmeer oder die Straße von Gibraltar. Die meisten wurden bis zum Inkrafttreten der landesweiten Ausgangssperre am 14. März abgeschoben. José Palazón von der in Melilla ansässigen NGO Prodein sagte Anfang Mai im ­Videochat mit Amnesty International, manche Migranten verbrächten bis zu sechs Jahre in einem der Ceti. Mehr als die Pandemie belaste die Migranten die Ungewissheit über ihre Zukunft. Neben der räumlichen Enge sorge auch die kulturelle Heterogenität der Internierten für mitunter gewaltsame Konflikte.

Der Marokkaner Habib Qadmi sagte der linken Onlinezeitung El Salto vergangene Woche: »Es sind die schlimmsten Gefängnisse der Welt, und die politisch Verantwortlichen meinen noch voller Zynismus, wir wollten nicht raus. Es ist ein Irrsinn, du kannst nichts, aber auch gar nichts machen.« Qadmi ist seit September 2019 im Ceti in Ceuta interniert. Im März trat er in einen 18tägigen Hungerstreik, um auf das europäische Festland Spaniens überstellt zu werden – ohne Erfolg. Gabriel Rufián, ein Abgeordneter der linken, separatistischen Esquerra Republicana de Catalunya (Republikanische Linke Kata­loniens, ERC), sagte kürzlich im spanischen Parlament an Grande-Marlaska gerichtet, wenn die Abschiebelager auf dem europäischen Festland die Vorhölle seien, dann seien die Ceti die Hölle.

Wegen der Pandemie verschlechtert sich die Situation von Migranten offenbar auch in Marokko und Algerien. Maleno berichtet von Razzien gegen Migranten in beiden Ländern. Nahe der an der algerischen Grenze gelegenen marokkanischen Stadt Nador habe es Abschiebungen in beide Richtungen gegeben, obwohl die Grenze seit 1994 geschlossen ist. Bei El Aioún, der Hauptstadt der von Marokko besetzten Westsahara, seien Hunderte Migranten aus dem sub­saharischen Afrika in ein gefängnisgleiches Lager gebracht worden. »Es gab Meutereien und Zusammen­stöße mit der Polizei, etwa bei Protesten vor dem ­senegalesischen Konsulat in der Westsahara«, berichtet Maleno.

Flüchtlingsboote aus Marokko und vor allem aus Algerien setzen weiter nach Spanien über. 116 Menschen kamen am ersten Maiwochenende an der andalusischen Küste an. Inzwischen fahren auch wieder mehr Boote von der Westsahara und Mauretanien aus in Richtung der Kanarischen Inseln. »Die Atlantik-Route ist nach fast einer De­kade wieder stark frequentiert – und eine der gefährlichsten überhaupt«, sagt Maleno.