Sportsender haben wegen der Absage der meisten Sportveranstaltungen Schwierigkeiten, ihre Sendezeit zu füllen

Sportsender ohne Sport

Bis auf die wieder spielende südkoreanische Baseball-Liga hat der Sportsender ESPN derzeit kaum etwas, womit sich die ganztägige Sendezeit füllen ließe.

Die Welt steht still, und das gilt selbstverständlich auch für die Sportwelt. Manche Groß­ereignisse wie The Masters, die offene US-Meisterschaft im Golf, wurden auf den Herbst verschoben, andere wie die Olympischen Spiele und die Fußball-Europameisterschaft gleich auf den nächsten Sommer. Letzteres hat zur Folge, dass für den Sommer 2021 geplante Fußballveranstaltungen wie die neue Club-Weltmeisterschaft, das Finale der Uefa Nations League und einige Weltmeisterschaftsqualifikationsspiele verlegt werden müssen. Es ist alles eine Frage der Prioritäten: Die Fußball-EM der Frauen, ebenfalls für den Sommer 2021 geplant, soll erst 2022 stattfinden. Im Jahr der kommenden Männer-WM fand sich im fußballerischen Event-Kalender noch ein Platz, weil Katar das Weltturnier der Männer erst im Winter austragen will – was dann doch noch etwas Gutes hat, man muss ja auch für die kleinen Dinge dankbar sein.

Disneys Sportsender ESPN hatte plötzlich nichts mehr zu senden. Und es lässt sich auch nur begrenzte Zeit darüber reden, was denn in der jeweiligen Woche eigentlich hätte stattfinden sollen.

Abgesehen vom Jonglieren mit Terminen passiert im internationalen Sport aber kaum etwas. In den USA wurden die meisten Veranstaltungen nicht verschoben, sondern gleich abgesagt. Die Basketballturniere der in der NCAA zusammengeschlossenen Universitätsteams, bekannt als March Madness, wurden ersatzlos gestrichen. Die neue American-Football-Liga XFL, die den Fans die Wartezeit auf den Auftakt der klas­sischen NFL verkürzen sollte und gerade ihre erste Saison spielte – ge­naugenommen zum zweiten Mal die erste Saison, denn schon 2001 war der Versuch derselben Geldgeber gescheitert, eine Football-Liga mit dem Namen XFL zu etablieren –, unterbrach zunächst die Spielzeit, ­sagte kurz darauf die verbleibenden Spiele ganz ab und meldete Konkurs an. Beim ersten Versuch war es zumindest gelungen, die ­Saison zu Ende zu spielen, auch wenn sich mangels Zuschauern vermutlich kaum jemand daran erinnert, wie sie damals zu Ende gegangen war. Der zweite Versuch war zwar anfänglich erfolgreicher, fiel aber der Covid-­­19-­Pan­demie zum Opfer. Ob diese Liga ansonsten überlebt hätte – man wird es nie erfahren.

Besonders schlimm treffen die Absagen ESPN. Der zum Disney-Konzern gehörende Sender beschäftigt sich mit nichts anderem als Sport. Entweder man zeigt Sport oder man redet über Sport. Ein bisschen wie DSF – halt, nein, das heißt ja inzwischen Sport 1 –, nur eben mit Übertragungsrechten für alle großen und beliebten Sportarten ausgestattet. ESPN hatte nach der Einstellung aller Sportwettbewerbe plötzlich nichts mehr zu senden. Und es lässt sich auch nur begrenzte Zeit darüber reden, was denn in der jeweiligen ­Woche eigentlich hätte stattfinden sollen.

Die Wochen verstrichen und die Programmhöhepunkte ließen sich an einer Hand abzählen, ohne dass man dafür alle Finger hätte benutzen müssen – bis zum NFL-Draft Ende April, die erstmals per Video und ­Telefon ausgetragen wurde. Das Spitzenevent bestach durch Live-Bilder vieler Menschen, die in ganz unterschiedlich dekorierten Räumen saßen, was zu einem optischen ­Kuddelmuddel der Extraklasse führte. Aber immerhin, es passierte etwas. Auch wenn die Qualität der Übertragung fragwürdig war, wurde sie doch durchweg als Highlight wahrgenommen. Dazu gab es eine Do­kumentarserie über Michael Jordan mit neuen ­O-Tönen und bisher noch nie gesendetem Material, die aber keine neuen Erkenntnisse brachte. Die Serie lag zum Glück schon bereit, auch wenn die Ausstrahlung eigentlich erst für den Herbst geplant war.

Und es gab eine ziemlich gruselig anzusehende Dokumentation über den Quarterback der Washington Redskins, Alex Smith. Im November 2018 hatte er sich bei einem Spiel gegen Houston Texas den Unterschenkel gebrochen, die Verletzung war selbst für medizinische Laien sofort als sehr schwer zu erkennen gewesen. Insgesamt wurde Smith danach dreizehnmal operiert, wegen sich bildender Entzündungen stand wochenlang nicht fest, ob sein Bein nicht vielleicht doch amputiert werden muss. Kurze Zeit schwebte der Sportler sogar in Lebensgefahr. Smith hofft mittlerweile, wieder Football spielen zu können.

Zwei Dokumentarfilme und ein Draft füllen die Sendezeit aber nicht. Und so zeigte ESPN Wiederholungen, also Sport aus der Konserve, lange her oder manchmal auch nicht so lange her. Und noch das kleinste Ereignis wurde gigantisch aufgeblasen: So gab es eine dreistündige Abendsendung, als die NFL die Spieltermine für die kommende Saison veröffentlichte. Es ging wohlgemerkt nicht um die Frage, wer gegen wen auswärts oder zu Hause in der Saison spielen wird. Das alles steht schon seit dem letzten Spieltag der vorigen Saison, also etwa seit Neujahr, fest. Es ging nur noch um die Reihenfolge der Spiele. Teambesitzer, Trainer und Manager kamen in der Sendung zu Wort, ebenso Analysten – man muss eben Zeit füllen.

Da verwundert es nicht, dass sich an Tag 53 ohne Live-Sport die Berichterstattung überschlug, als ESPN mitteilte, es sei mit dem Entzug endlich vorbei. Kurz vorher hatte die südkoreanische Baseball-Liga an­gekündigt, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen. ESPN zögerte nicht lange und kaufte die Rechte. Endlich wieder Live-Sport! Baseball! Allerdings handelt es sich um eine bislang außerhalb von Südkorea wenig zugkräftige Liga, weil dort pro Team lediglich drei Spieler zugelassen werden, die Ausländer sind oder einmal in einer anderen Liga gespielt haben. Es fanden sich sogar einige ehemalige US-amerikanische Profis, die von ihrer Zeit im südkoreanischen Baseball zu berichten wussten.

Jede Zeitung, jede Website, die auch nur annähernd etwas mit Sport zu tun hat, berichtet über das Großereignis. Denn endlich gibt es wieder echten Sport – etwas, das wirklich erst stattfindet. Man kann zugucken, ohne vorher zu wissen, wie es ausgeht. Und sogar die Kommentatoren der US-amerikanischen Major League Baseball machen mit, allerdings nicht im Stadion, sondern in ihren Wohnzimmern.

Der südkoreanische Baseball zeichnet sich vor allem durch sehr laute Fans aus. Diese sind das ganze Spiel über sehr rege, klatschen und singen, feiern das Team, egal ob es gerade gut läuft oder eine Niederlage droht. Für jeden Batter, der zum Schlag antritt, gibt es ein eigenes Lied. Nur leider bekommen die unter Entzug leidenden Live-Sport-Junkies das nicht zu sehen, denn auch in Süd­korea herrscht die Pandemie und die lärmenden Zuschauer werden von Stoffbahnen mit aufgemalten Männchen vertreten. Immerhin sorgen vier Cheerleader für Stimmung, selbstverständlich mit Mundschutz. Die südkoreanische Baseballliga besticht jedoch insgesamt mit dem Charme von Fußball in der dritten dänischen Liga zur Jahrtausendwende – nicht erstklassig, aber immerhin live.

Dazu kommt, dass es in den USA Nacht ist, wenn das Großereignis stattfindet. Das Eröffnungsspiel sollte um ein Uhr nachts US-amerikanischer Ostküstenzeit anfangen, wetterbedingt verschob sich der Beginn ­jedoch. Und so kam es, dass ungefähr 170 000 Sportenthusiasten bei ESPN zusahen. Diese Zahl dürfte derjenigen der vorher veröffentlichten Artikel und Sondersendungen zum Thema entsprechen.

Es bleibt dabei: Sportsender und -sendungen haben es in Zeiten einer Pandemie schwer. Um es mit den eröffnenden Worten aus der Radiosendung »The Pat McAfee Show« zu sagen: »Guten Morgen, wunderbare Leute. Es ist Mittwoch, der 6. Mai, auch bekannt als der langsamste Tag der Sportnachrichten in der Geschichte des Sports und der Nachrichten. Es gibt wirklich nichts, über das man heute sprechen könnte. Ich werde zu 100 Prozent ehrlich sein.«

Aber jetzt ist der Live-Sport ja wieder da. Alles wird gut. Und still.