Einschluss in der Keimzelle
Auch vor der Pandemie ackerten Frauen zu Hause jeden Tag durchschnittlich 87 Minuten mehr als Männer – und auch außer Haus sind sie es, die bei der Sorgearbeit ausgebeutet werden, etwa bei Pflegediensten und in Pflegeheimen, wo sie fast 90 Prozent des Personals stellen, wie der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung schon 2017 belegte. Als sogenannte »systemrelevante« Kräfte bekamen sie dafür in den vergangenen Wochen Applaus, aber keine Gehaltserhöhung – so relevant sind ihre Tätigkeiten eben doch nicht.
Viele Alleinerziehende, und das sind in neun von zehn Fällen Frauen, sind schon ohne Infektionsschutzmaßnahmen dauerhaft am Rande ihrer Kräfte. Wegen Kita- und Schulschließungen blieb ihnen nun kaum noch Zeit mehr zur Selbstsorge, während ihre finanziellen Probleme oft wuchsen. Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zeigte gerade erst, dass Frauen in der Coronakrise stärker zur Kurzarbeit verpflichtet werden als Männer und auch häufiger ganz ihre Arbeitsplätze verlieren.Was insbesondere die heterosexuellen Paarbeziehungen anbelangt, stieg die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen, sie wurden geschlagen, geschubst oder zum Sex gedrängt. In Berlin etwa gingen in der Woche vor Ostern 332 Notrufe wegen häuslicher Gewalt ein, doppelt so viele wie im Jahr zuvor.
Wenn man in der Suchmaschine »Singles« und »Corona« eingibt, erscheint als Vorschlag gleich das Wort »einsam« dazu.
Auf die Kontinuität vielfältiger patriarchaler Muster weisen Feministinnen schon jahrelang hin – in der Krise treten diese Muster aber deutlicher zutage., Alltägliche häusliche Gewalt ist eine ihrer extremsten Erscheinungsformen. Diese Muster gehen zurück auf die Aufteilung von Menschen in zwei Gruppen, die sich vermeintlich von Natur aus unterscheiden. Mittlerweile erkennt sogar die deutsche Justiz an, dass es mindestens eine dritte Option braucht, progressive Medizinerinnen und Mediziner weisen nach, dass es eine große Vielfalt an Geschlechtswahrnehmung und sexueller Orientierung gibt und nicht einfach »Frauen« und »Männer«.
Und trotzdem denkt die Mehrheit der Menschen noch innerhalb eines binären Schemas – denn damit geht ein ganzer Gesellschaftsentwurf einher. Das binäre Denken entfaltete sich während der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft, als sich ein Verständnis von Zweigeschlechtlichkeit etablierte, das Formen der sexistischen Arbeitsteilung legitimierte, eine exklusive, heterosexuelle Zweierbeziehung als natürlich erscheinen ließ und die Idee der Kleinfamilie gesamtgesellschaftlich zum Ideal machte. Die bürgerliche Familienform trennte fortan Produktion und Reproduktion, schrieb Frauen zu, die Arbeit zu Hause, die Reproduktionsarbeit (Kochen, Putzen, Waschen, Kinderbetreuung), aus Liebe zu verrichten, sie von Natur aus besser zu beherrschen, während die meisten Männer sich nun außer Haus betätigten und ausbeuten lassen sollten – ihre Ehefrauen durften sie kompensatorisch wie ihren Besitz und ihre Bediensteten zugleich behandeln. Frauen hatten zu Beginn der bürgerlichen Gesellschaft weder das Recht zu wählen, noch etwas ihr Eigen zu nennen.
Die (Arbeits-)Verhältnisse wandelten sich zwar im Lauf des vergangenen Jahrhunderts radikal, und so konnte eine Frau schließlich sogar Kanzlerin werden, während neoliberale Gleichstellungspolitik Frauenquoten in Aufsichtsräten durchsetzte. Wenn eine Frau etwa in den frühen nuller Jahren als Managerin Karriere machen wollte, musste sie außergewöhnlich leistungsstark und konkurrenzfähig sein. Doch zugleich waren Frauen angehalten, vermeintlich männlichen Eigenschaften mit besonderer Eleganz und Sexappeal zu kompensieren und auf jeden Fall auch noch Kinder zu bekommen. Andernfalls galten sie, wie es Angela McRobbie in ihrem Buch »Top Girls« zeigt, als »Mannweib« oder »Emanze« – was als Schimpfwort gedacht war.
Einer neuen Generation von Frauen hatte die zweite Welle des Feminismus einen besseren Zugang zu bestimmten Freiheiten und Möglichkeiten erkämpft, allerdings erhielten sie diesen nur unter der Voraussetzung, dass sie sich vom Feminismus als einer kollektiven politischen Bewegung für radikale gesellschaftliche Veränderung distanzierten. Dieser Postfeminismus passte zum neoliberalen Zeitgeist, der seit den achtziger Jahren immer mehr Menschen vermittelte, strukturelle Diskriminierung gäbe es kaum mehr in den liberalen Gesellschaften. Schließlich könne jede Chefin werden. Während die Mehrheit der Gesellschaft die Gleichberechtigung der Geschlechter also aufgrund formal gleicher Rechte für verwirklicht hielt, konnte ein Bild der Frau als Objekt, das dem Mann gefallen müsse, bestehen bleiben und sogar stärkere Wirkung entfalten.
Und so wird denen, die als Mädchen gelten, immer noch nahegelegt, das Ziel ihres Lebens sei es, einen Partner zu finden (und ihm zu dienen). Das Mädchenaccessoire der nuller Jahre, Prinzessin Lillifee, stand für ein regressives Verständnis von Weiblichkeit, und das Abbild dieser Kinderbuchfigur findet sich noch 20 Jahre später in jeder Spielzeugabteilung: niedlich roter Kussmund, trägt ständig ein rosa Ballettkostüm, pudert sich gern die Nase und backt Kuchen.
Die Art, wie kapitalistische und patriarchale Muster auch heute zusammenwirken, wird noch deutlicher, wenn man das ideologische Konstrukt der Nation berücksichtigt, welche beide zusammenhält. Die patriarchal organisierte Kleinfamilie galt als Keimzelle der modernen Nation – eine Vorstellung, die sich hartnäckig hält und ganz besonders in der rechten, antifeministischen Mobilisierung der vergangenen Jahre zum Ausdruck kommt. Auf einem Wahlplakat der AfD etwa wiegte eine Frau ein Baby im Arm. Diejenigen, die als Frauen gelten, sollen das deutsche Volk reproduzieren und deshalb Kinder kriegen. Dieses heteronormative und hierarchische Geschlechterverhältnis ist weiterhin in den bürgerlichen Staat eingeschrieben, der noch immer die patriarchal organisierte Kleinfamilie mit dem »Ehegattensplitting« im Steuerrecht stärkt – und sich nun in der Coronakrise ganz selbstverständlich darauf verließ, dass es Hausfrauen gibt, die den Laden zusammenhalten, indem sie sich der Familie, dem Mann und deren Wohl widmen.
Die patriarchale Kleinfamilie aus den Träumen der Rechten ist und bleibt gesellschaftliches Ideal. Das führt dazu, dass auch Frauen, die in heterosexuellen Paarbeziehungen mit Kindern die Haupternährerinnen sind, also etwa Vollzeit arbeiten, zu Hause noch »nebenbei« all die unbezahlten Aufgaben übernehmen, wie Sarah Speck und Cornelia Koppetsch (»Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist – Geschlechterkonflikte in Krisenzeiten«) vor fünf Jahren nachwiesen. Diese viel besprochene Doppelbelastung der Mütter in den heterosexuellen Kleinfamilien zeigte sich in der Coronakrise in aller Deutlichkeit.
Eine weitere Konsequenz dessen, dass die Kleinfamilie immer noch als natürlich verklärt wird, ist die Diskriminierung aller anderen Lebensformen, die sich ebenfalls in der Pandemie zuspitzte. In unserer Gesellschaft werden Frauen mit Anfang 30 gefragt, wann sie Kinder wollen, und wenn sie mit Ende 30 noch keine haben, schauen die Verwandten besorgt. Besorgt schaut man auch auf schwule Paare oder gar Trios und Quartette mit Kindern. Und denen, die sich nicht in die binäre Matrix pressen lassen, wird sowieso Verantwortungsbewusstsein abgesprochen. Die symbolische Diskriminierung schlägt sich in der rechtlichen und in der ökonomischen Schlechterstellung aller nieder, die nicht nach der Kleinfamiliennorm leben. Gruppen von Menschen, Wohngemeinschaften oder Freundeskreise können etwa kein Ehegattensplitting beanspruchen. Kündigungsschutz gilt für verheiratete Menschen eher als für jene, die auf dem Papier alleinstehend sind – eine Heirat wird eben noch immer als Basis für die Kleinfamilie, für die Produktion künftiger deutscher Arbeitskräfte gewertet. Und wenn man in der Suchmaschine »Singles« und »Corona« eingibt, erscheint als Vorschlag gleich das Wort »einsam« dazu.
Kleinfamilien sind Festungen, auf welche die Nationalstaaten bauen, das zeigt sich in dieser Krise mehr denn je; traurige Festungen, in die sich die Menschen vor der infektiösen Welt zu retten glauben. Es gibt andere Wege, zusammenzuleben, solidarischere Lebensweisen für alle, solidarischere Formen, die Gesellschaft zu organisieren, wie sie etwa feministische Kämpfe und Streiks seit ein paar Jahren immer lauter fordern. Formen, die ebenso sehr vor Infektionen schützen, dabei aber auch das Patriarchat bekämpfen.