Coronaleugner bedienen sich verballhornter Versatzstücke linker Staatskritik

Staatskritik auf Abwegen

Die Bewegung der Coronaleugner bedient sich nicht nur abwegiger Verschwörungstheorien, sondern auch Versatzstücken einer wichtigen linken Theorietradition.
Kommentar Von

Wie links sind die »Hygienedemos« und andere »Coronaproteste«? Sowohl die parlamentarisch als auch die außerparlamentarisch organisierte Linke haben sich von den Demonstrationen weitgehend ferngehalten. Einzelpersonen wie der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko bilden bisher eher die Ausnahme. Allerdings ist Hunko stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linkspartei.

Umfragen zeigen, dass es vor allem die Wählerschaft der AfD ist, die die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 ablehnt. Die Proteste erhalten aber auch starken Zulauf aus der schon seit ihren Anfängen esoterikaffinen und eher lebensweltlich als politisch orientierten Öko- und Alternativszene.

Vor allem inhaltlich bedienen sich die Impfgegner und Aluhutwahnwichtel verballhornter Versatzstücke einer linken und antifaschistischen Staatskritik. Diese hat ihre Ursprünge bei Franz Neumann, Ernst Fraenkel und Otto Kirchheimer. Diese linken deutsch-jüdischen Juristen standen der Kritischen Theorie und den Gewerkschaften nahe. Den Nationalsozialismus überlebten sie im Exil. Sie wussten auch noch ganz genau, dass die Weimarer Republik nicht nur am berüchtigten »Diktaturartikel« 48 der Reichsverfassung zugrunde gegangen war, sondern auch am Antisemitismus und der Republikfeindschaft vor allem, aber nicht ausschließlich des Bürgertums. All diese Tendenzen vereinigten sich bei einem ihrer Lehrer, dem notorisch faschismusfreundlichen Staatsrechtler und »Kronjuristen des Dritten Reichs«, Carl Schmitt.

Die linke Auseinandersetzung mit Schmitt verbindet sich heutzutage eher mit dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben. Bereits Mitte März wärmte dieser in einem kurzen Beitrag für die NZZ seine Überlegungen zum Ausnahmezustand aus den neunziger und frühen nuller Jahren auf. Das Problem an Agambens Position war von Anfang an, dass sie, anders als die linke Schmitt-Kritik, die politischen Umstände völlig ignorierte, unter denen der Ausnahmezustand verhängt wurde. Diese Auslassung machte bereits sein Buch »Stato di eccezione« (2003) attraktiv für Anhänger von 9/11-Verschwörungstheorien. Agambens Staatskritik, die bezeichnenderweise ohne einen Begriff von Gesellschaft oder deren ökonomischer Basis auskommt, bietet sich nun den Coronaleugnern als Grundlage für ihr Gefasel von der »Merkel-Diktatur« an.

Für die Linke in Deutschland, ob nun parlamentarisch oder außerparlamentarisch, ist die gegenwärtige gesellschaftliche Situation denkbar unerbaulich. Weil man ahnt, dass Pandemiebekämpfung nicht allein auf Freiwilligkeit beruhen und man erst recht dem Kapital in Sachen eigenverantwortlichen Gesundheitsschutzmaßnahmen nicht trauen kann, bleibt Linken wenig übrig, als in dieser Frage fast schon staatstragend aufzutreten. Wo sie die Maßnahmen oder auch nur Aspekte davon in Frage stellen – Letzteres kann unter Umständen durchaus berechtigt sein –, riskieren sie, ins Fahrwasser der Coronaleugner zu geraten oder diese ungewollt zu stärken. Im Vergleich zur Situation von Linken in Ländern wie den USA, Brasilien oder Russland, die von Coronaleugnern beziehungsweise -vertuschern regiert werden, sind das allerdings Luxusprobleme.