Die Proteste gegen rassistische Polizeigewalt in Frankreich dauern an

Justiz versus Präfektur

An den Demonstrationen wegen des gewaltsamen Todes George Floyds beziehungsweise Adama Traorés entzünden sich in Frankreich neben politischen auch institutionelle Konflikte.

Die Atmosphäre in Paris war am Samstag spannungsgeladen. Kurz bevor der Conseil d’État (Staatsrat), das höchste Verwaltungsgericht in Frankreich, am Nachmittag das seit dem 11. Mai geltende Verbot für Versammlungen von mehr als zehn Personen durch ein Urteil aufhob, versammelten sich auf der Place de la République nach Polizeiangaben über 15 000, tatsächlich wohl mindestens 20 000 Menschen. Ihre seit längerem angekündigte Demonstration zum Gedenken an den Tod von George Floyd beziehungsweise den des Franzosen westafrikanischer Herkunft, Adama Traoré, (George Floyd und Adama Traoré - Trotz des Demonstrationsverbots protestieren in Frankreich Zehntausende gegen Rassismus und Polizeigewalt) und zur Forderung nach Aufklärung dieses Falls schien zunächst toleriert zu werden.

Am Vorabend hatten auch Fernsehsender die Demonstrationsroute bekanntgegeben und die Pariser Polizeipräfektur hatte Geschäfte am Weg zur vorübergehenden Schließung aufgefordert. Innenminister Christophe Castaner hatte am Dienstag voriger Woche gesagt, Demonstrationen gegen Rassismus würden derzeit ohne Sanktionen hingenommen, weil »die Emotion« nach dem Tod von George Floyd – ein Begriff, der es ihm zugleich erlaubte, die Rationalität der Protestierenden und ihres Anliegens zu übergehen – den »juristischen Rahmen« sprenge.

Als Gegenentwurf zu »No justice, no peace« erfanden die demonstrierenden Polizisten »pas de police, pas de paix« (keine Polizei, kein Frieden).

Deswegen wurde auch am Samstag mit einer Duldung gerechnet. Doch gegen 15 Uhr, zu Veranstaltungsbeginn, wurde eine Verbotsverfügung der Polizeipräfektur bekanntgegeben. Ein Wasserwerfer fuhr unmittelbar vor der Spitze des sich formierenden Protestzugs auf. Tausende Menschen besetzten daraufhin für mehrere Stunden den Platz, kamen jedoch nicht vom Fleck, bis es gegen 18 Uhr zu Zusammenstößen mit der Polizei und Tränengaseinsatz kam. Kurzfristig angeheizt wurde die Atmosphäre durch Mitglieder der rechtsextremen Identitären Bewegung, die vom Dachgeschoss eines siebenstöckigen Hauses ein Transparent mit den Aufschriften »Für die Opfer des antiweißen Rassismus« und »White Lives Matter« herabließen.

Das verschaffte den jungen Identitären einen Aufmerksamkeitserfolg in den Medien – auch wenn sie sich an Ort und Stelle eher lächerlich machten, da Anwohner im sechsten Stock ihr Transparent mit Scheren zerschnitten hatten, noch bevor Antifaschisten das Dach enterten. Zwölf Identitäre wurden in einem Polizeifahrzeug abtransportiert. Medien meldeten ihre Festnahme, während beispielsweise der Journalist und Aktivist Taha Bouafs eher von einer »Exfiltration« – einem Eskortieren unter sicherem Geleit – sprach. Die Rechtsextremen machten jedenfalls Fotos von sich in triumphierender Pose aus dem Polizeifahrzeug und verschickten sie über die sozialen Medien.

Am Vortag hatten in Paris und anderen Städten wie Marseille und Bordeaux insgesamt mehrere Tausend Polizisten zusammen mit Polizeigewerkschaften wie der konservativ geprägten Alliance Police nationale protestiert. Sie warfen ihre Handschellen zu Boden und verkündeten ihren Slogan: Als Gegenentwurf zu »No justice, no peace« (auf Französisch: pas de justice, pas de paix) skandierten sie »pas de police, pas de paix« (keine Polizei, kein Frieden). Sie wehren sich gegen eine »Pauschalverdächtigung« der Polizei als rassistisch und dagegen, dass die Festnahmepraxis des Würgegriffs abgeschafft werden soll; das hatte Innenminister Castaner Anfang voriger Woche zwar angekündigt, doch unter dem Druck protestierender Polizisten relativiert.

Angestachelt werden die protestierenden Polizisten durch politische Kräfte, die diese Situation nutzen wollen. Zu ihnen zählt der als Hardliner bekannte konservative Abgeordnete Eric Ciotti, aber in erster Linie der rechtsextreme Rassemblement National (RN), der lautstark beklagt, dass die Polizei verraten werde. Die Vorsitzende Marine Le Pen besuchte am Freitagvormittag vergangener Woche eine Polizeistation in Villeneuve-la-Garenne bei Paris und verließ diese im Blitzlichtgewitter. Ihr zufolge gibt es in Frankreich »eigentlich gar kein Problem mit Polizeigewalt«. Am Montag behauptete sie ferner, dass es rassistische Diskriminierung in Frankreich »nicht gibt».

Marion Maréchal, Nichte und mitunter Rivalin der Vorsitzenden des RN, verkündete, sie werde sich »nicht dafür entschuldigen, Weiße zu sein«, was allerdings auch niemand von ihr gefordert hatte, und behauptete, nach Statuen des britischen Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol und US-amerikanischer Südstaaten-Offiziere wolle man nun auch »Napoleon und Charles de Gaulle vom Sockel stürzen«. Ein früherer Spitzenpolitiker des FN, der in die Jahre gekommene Bruno Gollnisch, wollte bereits vor Tagen zu Beginn der Proteste die daran Teilnehmenden »in ihre Herkunftsländer zurückkehren« sehen. Allerdings sind die Demonstranten in ihrer überwiegenden Mehrheit französische Staatsbürger. In der innenpolitischen Polarisierung hat die Protestbewegung, die von den USA ausgegangen war, nun ihre rechten Widersacher gefunden.