Auch die deutschen Otto- und Wilhelm-Denkmäler ehren Kolonialisten

Bye-bye, Bismarck

In vielen Ländern werden Statuen von Befürwortern der Sklaverei oder des Kolonialismus umgestürzt. Auch Deutschland war eine Kolonialmacht, doch Ehrungen für deren Vertreter haben bislang nur wenige Menschen irritiert.

Seit Wochen demonstrieren Tausende Menschen weltweit gegen Rassismus und Polizeigewalt. Anlass war der Tod von George Floyd, der am 25. Mai in Minneapolis bei einer Festnahme starb, weil der Polizist Derek Chauvin mehr als acht Minuten lang auf seinem Nacken kniete. In Neuseeland, den USA, Martinique, Südafrika, Belgien, England und Spanien wurden bei den Protesten im Juni zahlreiche Denkmäler von ihren Sockeln gestürzt; eine Praxis, die es bereits seit ein paar Jahren gibt: Columbus, Konföderierte, Menschenhändler und Besitzer von versklavten Afrikanern sowie andere Kolonialisten und Rassisten. Manche wurden mit Farbe besprüht, andere enthauptet. In den meisten Orten haben sich lokale Initiativen, etwa von First Nations und Menschen afrikanischer Herkunft, bereits jahrelang – meist erfolglos – um eine Entfernung von Monumenten bemüht, die Sklaverei und Kolonialismus glori­fizieren. Mittlerweile haben einige Stadtverwaltungen Denkmäler abgebaut, die sonst zu Schaden hätten kommen können, etwa in London die Statue von Robert Milligan, einem schottischen Kaufmann, der im 18. Jahrhundert ­Zuckerplantagen auf Jamaika besaß, auf denen mehr als 500 Afrikaner ­versklavt waren.

Deutschland ist nicht nur eine postnationalsozialistische, sondern auch eine postkoloniale Gesellschaft.

Und in Deutschland? Hierzulande wimmelt es von Wilhelms und Ottos. In Parks und auf Plätzen stehen mehrere Hundert Statuen des preußischen ­Ministerpräsidenten und ersten Kanzlers des wilhelminischen Reichs, Otto Fürst von Bismarck, des Sozialistenverfolgers, preußischen Siegers über Frankreich und Österreich sowie Gastgebers der Berliner Afrika-Konferenz 1884/1885. Das Schlussdokument der Kon­ferenz, die Kongoakte, bildete die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien. Allein in Hamburg gibt es drei Statuen von Bismarck, dazu mehrere Denkmäler und Büsten des einstigen deutschen Kaisers Wilhelm I. In Kirchen hängen koloniale Gedenk­tafeln; in Museen stehen Büsten von Wissenschaftlern und Spendern, die rassistische und koloniale Bestrebungen vorangetrieben haben. Nicht selten waren sie eng verflochten mit dem Aufstieg des antisemitischen Nationalsozialismus. Es finden sich auch Straßennamen, die Akteure des Sklavenhandels ehren, wie Hinrich van der Smissen, Joachim Nettelbeck oder Heinrich Carl Schimmelmann.

Es ist in Deutschland dennoch schwer, all die Ehrungen für Verfechter des Kolonialismus und Rassismus zu entfernen. Es fehlt an Bewusstsein dafür, dass Deutschland nicht nur eine postnationalsozialistische, sondern auch eine postkoloniale Gesellschaft ist. Das Künstlerkollektiv Peng! und die Initia­tive Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) haben Ende Juni eine Landkarte erstellt, die die große Zahl kolonialer Ehrungen deutlich machen soll. Das Projekt ist partizipativ und wird ständig erweitert. Im Deutschlandfunk sagte Simone Dede Ayivi (ISD), es gehe bei der Aktion nicht um das Vergessen oder darum, Geschichte auszulöschen. Es solle vielmehr an die Zeit des Kolonialismus erinnert werden. »Deutschlands Kolonialgeschichte darf nicht aus dem Stadtbild verschwinden. Im ­Gegenteil. Die Grausamkeit des Kolonialismus muss sichtbar gemacht ­werden, der Opfern soll gedacht werden, der antikoloniale Widerstand und der fortwährende Kampf gegen Rassismus sollen geehrt werden«, heißt es auf der Website des Projekts. Gleichwohl stellt sich die Frage nach dem Umgang mit den steinernen Lobpreisungen von Personen. Darf man sie stürzen, beschmieren, demolieren?

Es fallen harsche Worte in diesen Tagen – die Denkmalstürze seien »barbarisch« und »gewalttätig«. Manche sprechen gar von »Zensur« und übersehen, dass es bei der momentanen ­Bewegung nicht um staatliches Handeln geht. Gleichzeitig werden Figuren, die für rassistische Gewalt und Sklaverei stehen, wie Heinrich Graf von Schimmelmann, Vasco da Gama und Christoph Columbus in der Öffentlichkeit mit Monumenten und Straßennamen zelebriert. Was ist dagegen schon die »Gewalt« einer Sprühdose? Ob hingegen die nächtliche Enthauptung einer vielfach als rassistisch stereotypisierend und daher als erniedrigend kritisierten Skulptur in Berlin-Zehlendorf symbolisch geglückt ist, darüber lässt sich streiten. Nicht nur richtet sich dieser Angriff statt gegen eine koloniale Männerfigur gegen das – völlig zu recht umstrittene – Bildnis einer afrikanischen Frau aus den zwanziger Jahren, sie erinnert auch an eine Hinrichtung. Nun soll die Statue in ein Museum kommen.

Der britische Historiker David Olusoga äußerte sich im Guardian über die Versenkung einer Statue des Sklavenhändlers Colston im Hafen von Bristol. Er sah eine »historische Symmetrie«; Colston, von dessen Schiffen auf der Überfahrt verstorbene Sklaven ins Meer geworfen wurden, »schläft mit den Fischen«. Olusoga betonte: »Das war kein Angriff auf Geschichte – das ist Geschichte. Es ist einer jener seltenen historischen Momente, die dazu führen, dass die Dinge nie wieder so sein können, wie sie waren.« Ob diese optimistische Sichtweise auf Veränderung berechtigt ist, wird sich zeigen.

Die Stadt Hamburg lässt gerade ein 34 Meter hohes Bismarck-Denkmal – das weltweit höchste – für viele Millionen Euro herausputzen. Am Sonntag protestierten 120 Menschen dagegen. Die Gruppen »Intervention Bismarck-Denkmal Hamburg« und »Decolonize Bismarck« forderten die Stadt auf, die Sanierung des Denkmals im Alten Elbpark zu beenden und die koloniale Verstrickung Bismarcks zu beleuchten. Auch an anderen Orten scheint es für viele ein Frevel zu sein, an Namen, Ehrenbürgerschaften und Monumenten, die häufig in vordemokratischen Zeiten entstanden sind, auch nur zu rütteln. Es ist an der Zeit, sich ernsthaft und kontrovers mit diesen Hinterlassenschaften zu beschäftigten und sich auch mit der Aussicht anzufreunden, dass viele von ihnen nicht einfach nur mit kontextualisierenden Texttafeln versehen werden können – zumindest wenn man die Auffassung teilt, dass der Kolonialismus ein Menschheitsverbrechen war.

Das ist nun kein Plädoyer für ein hektisches Entfernen derartiger Monumente. Manches braucht Überlegung und Diskussion, und es gibt keine pauschalen Richtlinien: Der Erhalt und die Pflege eines Denkmals der Menschenverachtung kann vielleicht im Kontext einer Gedenkstätte sinnvoll sein. In einer Parkanlage aber muss eine moderne demokratische Gesellschaft den Mut aufbringen, solche ­Monumente zu entfernen oder zumindest umzugestalten. Man kann sie in Depots oder Museen lagern, wenn man sie nicht zerstören will. Denkbar ist auch, die Denkmäler so umzugestalten, dass ihre politische Aussage gebrochen und die Kritik daran deutlich wird – möglicherweise ohne gleich ein ganzes Gegendenkmal errichten zu müssen.

Manche erinnert das Stürzen von Statuen auch an den regime chance von 2003 im Irak, als US-Soldaten beim Einmarsch in Bagdad eine Monumentalstatue des irakischen Diktators Saddam Hussein niederrissen. Dabei geht es in der gegenwärtigen Debatte noch nicht einmal um den Sturz einer Regierungsform oder gar darum, eine Siegerpose einzunehmen – sondern lediglich darum, die Gleichheitsprinzipien, die sich demokratische Gesellschaften selbst in die Verfassung geschrieben haben, im öffentlichen Raum sichtbar werden zu lassen. Oder, mit den Worten der US-Autorin Kimberly Jones, deren Video »How Can We Win?« im Juni viral gegangen war: Man solle doch froh sein und zur Kenntnis nehmen, dass schwarze Menschen keine Rache suchten, sondern lediglich Gleichberechtigung.