Trump hat sein Versprechen, die Kohleindustrie wieder zu beleben, nicht gehalten

Vom Präsidenten verkohlt

Donald Trump versprach im Wahl­kampf, verlorene Arbeits­plätze im Kohlebergbau zu­rückzubringen. Dass er den Nie­der­gang der Kohleindustrie nicht aufgehalten hat, könnte ihm bei der Wahl schaden.

Sonnenaufgang über dem Crandall Canyon im US-Bundesstaat Utah an ei­nem Morgen im September 2014: Zwei Reisende aus Deutschland hatten auf den umgeklappten Rücksitzen eines Kleinbusses geschlafen, den sie am Abend zuvor auf dem leeren Parkplatz eines stillgelegten Steinkohleberg­werks inmitten des Manti-La Sal Natio­nal Forest abgestellt hatten. Eben er­wacht, sahen sie einen schnauzbärtigen Mann in blauer Arbeitskleidung mit mächtigen roten Hosenträgern und wei­ßem Schutzhelm breitbeinig auf sie zuschreiten. »Hallo, wir sind deutsche Touristen«, versuchte einer der beiden ihre Anwesenheit zu erklären. Der Mann erreichte den Wagen, streckte ihm seine Rechte entgegen und antwortete laut und bestimmt: »Mein Name ist Roger Anderson. Willkommen in Ame­rika.« Anderson schluckte dabei das »A« von »Amerika«, so dass es klang wie ’mmmerika. Über der linken Brust­tasche seiner Jacke trug er ein Abzeichen der Firma Utah American Energy, Inc. inklusive stars and stripes unter dem Schriftzug. Auf dem Helm prangte ein Aufkleber mit der Aufschrift »Stoppt den Krieg gegen die Kohle, feuert Obama«.

Die Erschließung billigerer Energiequellen wie etwa Erdgas, Wind- und Sonnen­energie verdrängt die Kohle immer mehr vom Energiemarkt, sie ist trotz staatlicher Subven­tionierung kaum noch konkurrenzfähig.

Die Parole »war on coal«, Krieg gegen die Kohle, prägte maßgeblich der US-amerikanische Ingenieur und Großun­ternehmer Robert E. Murray, den Anderson im September 2014 stets nur respektvoll »meinen Boss« nannte. Bis Oktober 2019 war Murray Präsident und Geschäftsführer des Mutterkon­zerns von Utah American, der 1988 von ihm gegründeten Murray Energy Cor­po­ration, deren Vorsitzender er noch heute ist. Der Konzern war 2018 mit etwas mehr als sechs Prozent der jähr­lichen Steinkohleproduktion der viert­größte Kohleproduzent der Vereinigten Staaten und der größte in der Hand ­eines einzelnen Besitzers. Im Gespräch vertrat Anderson die feste Überzeu­gung, das liberale politische Establishment in Washington, D.C., trage wesentliche Schuld am Niedergang der US-amerikanischen Kohleindustrie. Sein Boss dagegen sei ein »großartiger Typ«, der ganz auf der Seite seiner Beschäftigten stehe. Das Bergwerk in Crandall Canyon sei auf Anordnung der US-Regierung geschlossen worden, seitdem beschäftige die Firma ihn, um auf die Anlage aufzupassen.

Erst auf Nachfrage erklärte Anderson, dass das Bergwerk nicht etwa aufgrund von Obamas Klimapolitik schließen musste, sondern wegen eines verheerenden Einsturzes im August 2007, also fast eineinhalb Jahre vor dessen Amtsantritt. Bei dem Unfall kamen neun Menschen zu Tode. Presseberichten zufolge behauptete Murray, während die Bergungsarbeiten noch im Gange waren, ein Erdbeben habe das Unglück verursacht. Seismologen der University of Utah bestritten dies: Das Erdbeben der Stärke 3,9 war nach ihren Messungen eine Folge des Einsturzes, nicht umgekehrt. Die US-Bergbauaufsichtsbehörde MSHA machte 2008 man­gelnde Sicherheitsvorkehrungen und unerlaubte Abbaumethoden für den Einsturz verantwortlich, die Regierung verhängte Bußgelder in Höhe von 1,85 Millionen US-Dollar, die höchsten, die je ein US-amerikanisches Bergbau­unternehmen zahlen musste.

Das alles konnte Andersons Überzeu­gung nicht erschüttern, Obama, die ­Behörden und die Umweltschützer hätten sich verschworen, um ehrliche amerikanische Arbeiter wie ihn in um ihre Arbeitsplätze zu bringen. Wie ­viele andere wollte er vermutlich einfach glauben, dass der einst mächtige Wirtschaftszweig, der zu Bestzeiten vor einem knappen Jahrhundert fast 900 000 Bergarbeiter beschäftigte, einem Komplott zum Opfer gefallen war. Derzeit gibt es noch etwa 44 000 Bergarbeiter.

Donald Trump hatte die Wiederbe­lebung der Kohleindustrie zu einer zentralen Botschaft in seinem Wahlkampf 2016 gemacht und feurige Reden vor behelmten Bergleuten gehalten. Kein Wunder, dass Murray Trump im Ja­nuar 2016 nach Wheeling, West Virginia, einlud. Trump trat als Vorkämpfer der wirtschaftlich gebeutelten Bergbau­gemeinden West Virginias und angrenzender Bundesstaaten auf und behauptete, er werde »die Kohle zurückbringen«. Bergarbeiter würden sich »ihre Ärsche abarbeiten«, versprach Trump unter Jubel im Mai 2016 bei einer vielbeachteten Wahlkampfrede in Charleston, West Virginia. Seine Widersacherin Hillary Clinton machte es ihm leicht, sie als Schurkin im Kohlekrieg darzustellen – dies gilt inzwischen als einer der größten Fehler ihres Wahlkampfes. Im März 2016 hatte sie in einem Rathaus in Ohio gesagt: »Wir werden einer Menge Bergleute und Kohleunternehmen die Geschäftsgrundlage entziehen.«

Murray wurde einer der wichtigsten Geldgeber Trumps. Nach dessen Wahlsieg berichtete Murray, Trump habe sich bei ihm persönlich mit einem Anruf bedankt. »Ich möchte, dass Sie all Ihren Kohlebergleuten und all den wunder­baren Menschen in Wheeling, wo Sie diese Veranstaltung für mich abgehalten haben, sagen, dass ich hinter ihnen stehe und dass ich liefern werde«, zitierte Murray Trump. Angeblich beendete Trump den Anruf mit den Worten: »Ich liebe dich, Mann.« Murray spendete 300 000 US-Dollar zur Finanzierung von Trumps Vereidigungsfeier im Januar 2017, auf der dieser zur Amtseinführung seine berüchtigte »American Carnage«-Rede hielt (siehe Seite 3 - Leichen pflastern seinen Weg).

Zunächst schien Trump tatsächlich sein Versprechen erfüllen zu wollen. Wenige Monate nach der Vereidigung traf Murray sich mit dem damaligen Energieminister Rick Perry und legte einen »Aktionsplan« zur Unterstützung der Kohlewirtschaft vor. Er enthielt 16 Vorschläge, darunter die Annullierung des »Clean Power Plan«, den die US-Umweltbehörde EPA unter Trumps Amtsvorgängers Obama verkündet hatte, und den Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen.

Drei Jahre lang versuchte die Regierung Trumps, die Kohleindustrie zu unterstützen, indem sie Umweltvorschriften zurücknahm und Subventionen für Kohlekraftwerke durchsetzte. Doch sonderlich erfolgreich waren diese Bemühungen letztlich nicht. »Der Krieg gegen die Kohle ist beendet, die Kohle hat verloren«, titelte die britischen Tageszeitung The Guardian bereits im Oktober 2017. Ungeachtet aller Bemühungen setzte sich auch unter Trump die Reihe der Firmenpleiten in der Kohleindustrie fort, Kohlekraftwerke wurden stillgelegt oder ihre Schließung wurde angekündigt.

Schließlich beantragte Oktober 2019 auch die Murray Energy Corporation Insolvenz. Murray kündigte an, er werde zukünftig nicht mehr Eigentümer des Konzerns sein. »Wenn ein privates Unternehmen einen finanziellen Misserfolg hinnehmen muss, ist die erste Person, die alles verliert, der Eigentümer. Und genau das wird passieren«, sagt Murray dem Radiosender NPR. Der 80jährige Murray leidet an einer schweren Lungenkrankheit, von der er sagt, sie komme nicht von der Arbeit im Bergbau, und benötigt künstliche Sauerstoffzufuhr. »Ich kämpfe nicht nur um mein eigenes Leben, sondern auch um das Leben meiner Mitarbeiter – meines Unternehmens«, sagte Murray.

Das klingt heroisch. Doch bestreiten Expertinnen und Experten wie die Klimaforscherin Karin Kirk, dass der besagte »Krieg« stattgefunden habe. Auf den Bedeutungsverlust der Kohleindustrie für die US-Energieversorgung und den Arbeitsmarkt hatten demnach staatliche Eingriffe wie Obamas Klimapolitik kaum Einfluss. Entscheidend für den Rückgang an Arbeitsplätzen sei die fortschreitende Automatisierung gewesen. Außerdem verdränge die Erschließung billigerer Energiequellen wie etwa Erdgas, Wind- und Sonnenenergie die Kohle immer mehr vom Energiemarkt, sie sei trotz staatlicher Subventionierung kaum noch konkurrenzfähig.


So kündigte der Geschäftsführer des staatseigenen Stromversorgers Santee Cooper in South Carolina im August 2019 an, dass der Konzern aus dem Geschäft mit der Kohleverstromung aussteigen werde, denn dieses ergebe »weder wirtschaftlich noch ökologisch Sinn«. Inzwischen hat die Covid-19-Pandemie, die zu einem Rückgang des Energieverbrauchs führte, den Niedergang der Kohleindustrie noch beschleunigt, wie die Financial Times im Mai berichtete. Dadurch seien die wenigen Tausend Arbeitsplätze, die unter Trump in der Kohleindustrie tatsächlich entstanden waren, vernichtet worden.

Der Mythos vom »Krieg gegen die Kohle« bot Trump die Gelegenheit, sich selbst als Retter der Arbeiter vor einer weltfremden liberalen Elite zu inszenieren. Doch während Obama nicht in der Lage gewesen war, den Niedergang der Kohleindustrie nennenswert zu ­beschleunigen, konnte Trump ihn nicht aufhalten. Dies hätte erhebliche Eingriffe in das Marktgeschehen und die Eigentumsverhältnisse erfordert – zugunsten einer sterbenden Industrie, die auch kaum noch Lobbyeinfluss hat.

Trump gilt nicht als langfristig denkender Stratege, vermutlich hat er sich 2016 wenig Gedanken darüber gemacht, welchen Einfluss nicht gehaltene Versprechen auf seine Wiederwahl haben könnten. Nun sorgen seine vergeblichen Bemühungen, eine teilweise errichtete Sperranlage als »Mauer« zu verkaufen, die er »gebaut« habe, bei politischen Gegnern für Spott. Aber für viele seiner Wählerinnen und Wähler war das Versprechen, »die Kohle zurückzubringen«, von viel größerer Bedeutung. Ob diese ihm verzeihen, dass er nicht »geliefert« hat, wird sich im November zeigen.