Small Talk mit Manfred Levy über die Online-Plattform »Stop Antisemitismus«

»Kein Wissen, eher Abwehr«

Die Internet-Plattform »Stop Antisemitismus« (stopantisemitismus.de) zeigt 35 sehr verschiedene Beispiele antisemitischer Aussagen, erklärt Hintergründe, schlägt Reaktionsmöglichkeiten vor und verweist auf Stellen, die Hilfe anbieten. Die »Jungle World« hat mit einem Mitgründer des Projekts, dem Lehrer und Bildungsleiter des Jüdischen Museums Frankfurt, Manfred Levy, über die Plattform und Antisemitismus in der Schule gesprochen.
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Warum haben Sie die Plattform gegründet?

Die Idee kam aus der Praxis, aus der schulischen Realität. Ich gebe Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema Antisemitismus. Neben den Erscheinungsformen war immer die Frage: Was kann man tun? Außer dem Lernort Schule beschreiben wir auch ganz alltägliche Situationen, in denen es zu antisemitischen Äußerungen kommt. Wir haben 35 Fälle ausgesucht und aufgeschrieben, die sensibilisieren sollen. Das Ganze sollte sehr niedrigschwellig angelegt sein. Es gibt genug Untersuchungen zum Thema Antisemitismus, aber sie beinhalten keine Lösungsansätze dafür, wie man pädagogisch mit diesen Äußerungen umgeht. Das wollten wir mit der Plattform ändern.

Die ausgewählten Beispiele zeigen sehr unterschiedliche Formen des Antisemitismus. Wo liegt die Besonderheit bei antisemitischen Äußerungen in Schulen?

»Komm her, du Jude«, das ist eine auf Schulhöfen gängige Beschimpfung geworden. Das Problem ist, dass Schülerinnen und Schülern häufig gar nicht bewusst ist, was sie da eigentlich sagen. Da ist es wichtig, zu dekonstruieren und anzusprechen, nicht in Form von Sanktionen, sondern indem man die Problematik verständlich macht. Für meine Workshops mit Lehrkräften habe ich die 35 Fälle auch auf Karten und lasse sie erst einmal raten, was von wem gesagt worden sein könnte. Und im nächsten Schritt, was daran eigentlich antisemitisch ist. Diese Diskussion darüber finde ich essentiell, damit Antisemitismus nicht normal, nicht unbemerkt bleibt. Für den Fall auf dem Schulhof wäre das Ziel beispielsweise, Sensibilität im Umgang mit Sprache zu entwickeln. Ein anderes Beispiel wäre der verbreitete Glaube, dass Juden keine Steuern zahlen. Das kommt dann so als Tatsache daher, aber ist es auch antisemitisch? Eine Arbeitskollegin hat mich einmal aufgefordert, ihr meine Steuererklärung zu zeigen, damit sie sieht, was ich zahle. Das hat mich wütend gemacht.

Das Beispiel mit der Polizistin, die in einer Fortbildung sagt, sie habe keine Lust, über den Holocaust zu reden, läuft bei Ihnen unter dem Hashtag #keinelustaufholocaust. Was steckt hinter dieser Haltung?

Die erlebe ich eher bei Erwachsenen: In der Schule seien sie ohne Ende mit dem Juden­tum konfrontiert worden, jetzt sei es doch mal genug. Aber wenn ich konkret frage, ist kein Wissen da, eher Abwehr. Das wird noch verstärkt von geschichtsrevisionistischen Aussagen wie: »Wir haben doch auch gelitten.« Die Shoah wurde und wird nicht richtig aufgearbeitet und die Erinnerung und die Verantwortung der Aufarbeitung wird damit an die Juden und Jüdinnen abgegeben. Wir fragen uns, warum wir das jetzt auch noch machen sollen.

Wie ist die Resonanz auf die Plattform?

Wir kriegen sehr positives Feedback und ich präsentiere die Plattform in jeder Fortbildung, die ich mache. Ich würde mir wünschen, dass Lehrkräfte sie mit ihren Schülerinnen und Schülern in der Gruppenarbeit einsetzen. Außerdem wäre es toll, wenn es so etwas auch auf Englisch und für andere von Diskriminierung betroffene Gruppen gäbe. Ich glaube, dass das niedrigschwellige, zugängliche Konzept unserer Seite vielseitig eingesetzt werden kann.