Der Streit zwischen Deutschland und den USA über den Pipelinebau Nord Stream 2 eskaliert

Volles Rohr in den Wirtschaftskonflikt

Drei US-Senatoren haben dem deutschen Unternehmen Fährhafen Sassnitz GmbH heftige Sanktionen angedroht. Damit verschärft sich der Konflikt um die im Bau befindliche Pipeline Nord Stream 2 weiter.

Es war ungewöhnliche Post: Am 5. August sandten die US-amerikanischen Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Ron Johnson, allesamt Republikaner, einen Brief an die Fährhafen Sassnitz GmbH. Die im Eigentum der Kleinstadt auf der Insel Rügen und des Landes Mecklenburg-Vorpommern stehende Firma betreibt den Seehafen im Sassnitzer Ortsteil Mukran. In Sassnitz befand sich zu Zeiten der DDR ein bedeutender Fischereihafen. Der Hafen Mukran wurde in den achtziger Jahren für den Güteraustausch mit der Sowjet­union errichtet.

In gewisser Hinsicht verdankt das Unternehmen die Aufmerksamkeit der US-Politiker der Tatsache, dass es an diese Tradition anknüpft. Denn Mukran ist der zentrale deutsche Logistikstützpunkt für den Bau der Pipeline Nord Stream 2, mit der russisches Erdgas über die Ostsee nach Deutschland transportiert werden soll. In dem Hafen lagern Röhren für den Bau der Pipeline, vor allem aber operieren von dort aus die Spezialschiffe, die die Pipeline am Meeresgrund verlegen.

Vertreter aller Bundestagsparteien verurteilten die US-amerikanischen Versuche, den Bau der Pipeline aufzuhalten, als Angriff auf die Souveränität Deutschlands.

Cruz, Cotton und Johnson drohen der Fährhafen Sassnitz GmbH mit »vernichtenden Sanktionen«, sollte der Hafen weiter für den Bau der Pipeline genutzt werden und den russischen Verlegeschiffen »Fortuna« und »Akademik Tscherskij« als Stützpunkt dienen. Die Maßnahmen könnten das Unternehmen samt seines Führungspersonal und seiner Mitarbeiter treffen und es vollständig vom US-amerikanischen Markt abschneiden. Bedrohlich ist für die GmbH insbesondere, dass Banken wegen derartiger Sanktionen die Geschäftsbeziehungen mit dem Hafen einstellen könnten.

Die Sanktionsdrohungen sind ein weiterer Schritt in dem seit Ende vergangenen Jahres stetig intensivierten Bemühen des Kongresses und der Regierung der USA, die Fertigstellung der Pipeline doch noch zu verhindern. Denn von den 2 400 Kilometern der Pipeline fehlen nur noch 160. Deren Installation könnte problematisch werden. Am 20. Dezember 2019 trat mit der Unterzeichnung durch US-Präsident Donald Trump der National Defense Authorization Act für das Haushaltsjahr 2020 in Kraft. Im Kern regelt dieser das Budget des US-Verteidigungsministeriums, daneben enthält das Gesetz aber unter anderem auch Sanktionen gegen Unternehmen, die Schiffe für das Projekt zur Verfügung stellen. Aus Sorge vor derartigen Strafen zog sich die Schweizer Reederei Allseas, deren Schiffen die Rohre bis dahin verlegt hatten, aus den Bauarbeiten zurück. Die russischen Schiffe sollten diese Lücke schließen.

Um dies zu verhindern, drohte der US-amerikanische Außenminister Mike Pompeo Mitte Juli, die Unterstützung des Baus der Pipeline könne unter den Countering America’s Adver­saries Through Sanctions Act (CAATSA) fallen, der Sanktionen gegen Unternehmen und Personen vorsieht, die sich am Bau russischer Pipelines für den Export von Energieträgern mit Waren, Dienstleistungen und Hilfen beteiligen. Wenige Tage spätere verabschiedete der Senat den National Defense Authorization Act für das Jahr 2021, der Sanktionen gegen Unternehmen vorschreibt, die Schiffe für den Bau von Nord Stream 2 bereitstellen oder Dienstleistungen für diese Schiffe erbringen. Solche Sanktionen drohen die US-Senatoren in ihrem Schreiben der Fährhafen Sassnitz GmbH an. Sollte diese nicht mehr für den Bau zur Verfügung stehen, wäre dessen Vollendung ernsthaft gefährdet. In jedem Fall würde sie sich ­erheblich verzögern.

Das verschärfte Vorgehen der USA zeugt von den derzeitigen Entwicklungen im Dreieckskonflikt mit der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation. Als Grund für die Sanktionsdrohungen geben US-amerikanische Politiker an, die EU mache sich mit der Pipeline zu sehr von russischem Gas abhängig, die Profite aus dem Gasgeschäft ermöglichten Russland die laufende Aufrüstung und gefährdeten damit die nationale Sicherheit der USA.

Daneben sind zwei weitere Gründe beachtenswert. Russisches Erdgas, das durch Pipelines nach Mittel- und Westeuropa transportiert wird, dürfte auf absehbare Zeit billiger sein als in Tankern transportiertes Flüssiggas, das in den USA durch Fracking gefördert wird. Den Export von US-Energieressourcen zu fördern, um Arbeitsplätze in den USA zu sichern, ist eines der erklärten Ziele der Sanktionspolitik. Dass die USA versuchen, den Export eines Primärenergieträgers mittels po­litischer Drohungen gegen offizielle Verbündete durchzusetzen, deutet auf verschärfte internationale Konkurrenzkämpfe hin, in denen die US-amerikanische Industrie ihre Interessen nicht mehr wie früher gewohnt verwirklichen kann.

Der zweite Grund ergibt sich aus dem Verlauf der Pipeline, deren Bau 2015 begann, also nach dem Ausbruch des Konflikts mit der Ukraine im Jahr zuvor. Mit Nord Stream 2 könnte die Menge an Erdgas verdoppelt werden, die aus Russland unter Umgehung osteuropäischer Länder wie Polen, der Ukraine und den baltischen Staaten direkt nach Deutschland transportiert werden kann. Damit verlieren diese Staaten nicht nur Durchleitungsgebühren, sondern durch die wegfallende Möglichkeit, den Gasfluss zu unterbrechen, auch ein politisches Druckmittel. Da diese Staaten sich sicherheitspolitisch stark an den USA orientieren, schwächt das Pipeline-Projekt auch die strategische Position der USA gegenüber Deutschland und Russland.

In der Bundesrepublik weiß man wiederum seit der Lieferung von Erdgasröhren an die Sowjetunion in den siebziger Jahren, dass sich mit Russland trotz großer politischer und ideologischer Differenzen zuverlässig Geschäfte machen lassen. Diese könnten nach der Fertigstellung der Pipeline nicht mehr durch die osteuropäischen Staaten gestört werden, die auf ihre Eigenständigkeit gegenüber Deutschland und Russland bedacht sind und sich deshalb auf die militärische Hegemonie der USA zu stützen versuchen.

Zwar stellt die deutsche Presse Nord Stream 2 gerne als persönliches Projekt des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) dar, der ein Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist. Doch welche Bedeutung deutsche Politiker der Pipeline zumessen und wie weit der Konflikt mittlerweile eskaliert ist, lässt sich ­daran ablesen, dass Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien die US-amerikanischen Versuche, den Bau aufzuhalten, als Angriff auf die Souveränität Deutschlands verurteilten.

In der Aufregung ging sogar eine Ankündigung der wenig beliebten und häufig für Empörung sorgenden Deutschen Umwelthilfe unter. Die ­Organisation will gegen die Betriebs­genehmigung für Nord Stream 2 klagen und verwies zur Begründung auf neue Erkenntnisse über den Austritt von Treibhausgasen aus derartigen Pipelines.