Die Polizei nutzt die sozialen Medien zur Imageverbesserung

Dein Freund und Twitterer

Auch die Polizei bedient sich der sozialen Medien. Nicht immer hält sie sich an das Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot.

Kritik an der Polizei steht nicht mehr nur in den USA im Zuge der Proteste nach dem Tod von George Floyd auf der Tagesordnung. Berichte von mutmaßlichem polizeilichen Fehlverhalten erreichen zurzeit auch in Deutschland viele Menschen, die sich von derlei bislang offenbar nicht betroffen wähnten (Jungle World 35/2020). Das liegt wohl auch an Videos von Polizeieinsätzen, die über die sozialen Medien verbreitet und dort diskutiert werden. Gerade aus den vergangenen Wochen wären da Beispiele aus Hamburg, Frankfurt am Main, Ingelheim und Düsseldorf zu nennen. Polizisten sind immer die Guten – diese gesellschaftlich weitverbreitete Grundannahme ist zurzeit ­zumindest leicht erschüttert.

Seit 2016 hat die Polizei jedes Bundeslandes mindestens einen Account auf Facebook, Twitter oder Instagram. Die Behörden weiten ihre Imagearbeit dort stetig aus.

Die Polizei versucht ihrerseits, auf diese aufkommenden Diskussionen mit der Verbreitung ihrer Sicht der Dinge zu reagieren. Viel Kritik gab es in der vorvergangenen Woche an einer Stellungnahme zu einem Video aus Hamburg-Neustadt, die die Polizei Hamburg am 17. August auf ihrer Website veröffentlichte und in den sozialen Medien verlinkte. Auf dem Video ist zu sehen, wie ein Jugendlicher von vier Beamtinnen und Beamten umringt vor einer Mauer steht und anschließend von diesen und weiteren hinzueilenden Polizistinnen und Polizisten gewaltsam zu Boden gebracht wird. Zu hören ist auch die Stimme einer Polizistin, die die filmende Person auffordert, das Filmen zu unterlassen. Die Stellungnahme enthält neben der polizeilichen Darstellung zur Vorgeschichte des Falls auch Interpreta­tionen des Videos selbst. So heißt es beispielsweise: »Das Video zeigt deutlich, dass die Polizisten gewillt waren, den Widerstand mit einfacher körperlicher Gewalt zu beenden und den Jugendlichen zu Boden zu bringen.« Kommentare in den sozialen Medien kritisierten die Stellungnahme als tendenziös, da sie vor Abschluss der internen Ermittlungen ­veröffentlicht worden sei.

Die Hamburger Polizei sieht kein Problem. Auf Nachfrage der Jungle World antwortete die Pressestelle, die Erst­information diene dazu, »Spekulationen zu vermeiden und Unwahrheiten, die sich insbesondere über die Social-Media-Kanäle verselbständigen und verfestigen, von Anfang an entgegenzutreten«. Die Stellungnahme sei ­unabhängig von den Ermittlungen des Dezernats für interne Ermittlungen zu betrachten, die »selbstverständlich weiterhin und umfassend« statt­fänden.

Dass über die Funktion und das Fehlverhalten der Polizei in der Öffent­lichkeit diskutiert wird, ist zwar selbstverständlich, scheint die Polizei jedoch eher zum Versuch zu animieren, die Deutungshoheit über Ereignisse zu gewinnen. »Die Polizei merkte, dass man auch im Netz über sie spricht. Also musste sie da auch hin«, leitete Moderatorin Alexa Brandt im Jahr 2017 eine Diskussion auf der Medienkonferenz »Republica« mit dem Titel »Wir hab’n Polizei – Chancen und Herausforderungen beim Einsatz sozialer Medien« ein. Auch die Polizei Hamburg sieht es so, dass die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit »ohne die Nutzung der sozialen Medien heutzutage nicht denkbar« sei.

Im Vergleich zu den Marketingabteilungen von Unternehmen hat die deutsche Polizei erst spät die sozialen Medien für sich entdeckt. Seit 2016 hat die Polizei jedes Bundeslandes mindestens einen Account auf Facebook, Twitter oder Instagram. Die Behörden weiten dort ihre Imagearbeit stetig aus. Neben den verlinkten Pressemitteilungen geht es zum Beispiel um ­Polizeihundewelpen, gerettete Schwäne und Postkarten mutmaßlicher jugend­licher Polizeifans. Nicht nur hier stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Gebot der Sachlichkeit und Neutralität, das das Bundesverfassungsgericht der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit in mehreren Urteilen allgemein vorgeschrieben hat.

In den Richtlinien vieler Polizeibehörden für die Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien finden sich Verweise auf das Sachlichkeits- und Neutralitätsgebot eher spärlich wieder. Beim Unterpunkt »rechtliche Rahmenbedingungen« geht es im Social-Media-Konzept der Hamburger Polizei beispielsweise lediglich um Fragen des ­Datenschutzes. Verbindliche Regelungen oder Gerichtsurteile zu der Frage, wie genau Informationen und Themen für die Veröffentlichung ausgewählt und aufbereitet werden sollen, gibt es bisher nicht.

Üblicherweise fällt die Aufgabe, polizeiliche Pressemitteilungen einzu­ordnen und zu prüfen, den Medien zu. Diese Kontrolle wurde oft unzureichend ausgeübt, da Medienvertreter die Polizei meist unkritisch als sogenannte »privilegierte Quelle« behandeln, deren Informationen ohne weitere Überprüfung verwenden und die mangelnde Neutralität der Polizei als Beteiligte des Geschehens nicht berücksichtigen. Dies kritisierte im vergangenen Jahr auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) wegen einiger in unsorgfältiger Weise von der Polizei verbreiteter Informationen.

In den sozialen Medien kommentiert die Polizei mittlerweile häufig Ereignisse direkt und gibt Informationen heraus, die von Nutzerinnen und Nutzern unmittelbar weiterverbreitet werden können. So umgeht sie die Presse als zumindest potentielle Kontrollinstanz und erreicht wesentlich mehr Personen als manche Zeitung.

Wie die Verantwortlichen wiederum auf Kommentare antworten, entscheidet das Social-Media-Team der Polizei in Hamburg in Absprache mit den Vorgesetzten und Einsatzleitern. Für die Antworten auf Kommentare würden »unter anderem die Relevanz und die bisherigen Erfahrungen der einzelnen Accounts berücksichtigt«. Die Polizei Hamburg gebe bisweilen auch Kommentare aus den sozialen Medien an die Polizeiorganisation weiter. So würden etwa die Beschwerdestelle und das Dezernat für interne Ermittlungen eingebunden, man nehme auch Kontakt mit Beamten beziehungsweise ­deren Vorgesetzten auf. Die Beschwerdestelle und das Dezernat für interne ­Ermittlungen sind allerdings keine vom sonstigen Polizeiapparat unabhängigen Instanzen, wie es etwa Polizeiforscherinnen und -forscher sowie Organisationen wie Amnesty International schon seit längerem fordern.

So bleibt es wohl weiterhin Aufgabe kritischer Beobachterinnen und Beobachter, zu beurteilen, ob die Auftritte der Polizei in den sozialen Medien der sinnvollen Verbreitung von Informationen dienen und die öffentliche Kontrolle des polizeilichen Vorgehens zulassen – oder lediglich die Außendarstellung verbessern.