Vor knapp fünf Jahren massakrierten Jihadisten im »Bataclan« 89 Besucher

Angriffsziel der Jihadisten

Vor knapp fünf Jahren überfielen Jihadisten den Pariser Club »Bataclan« und ermordeten 89 Konzertbesucher, weitere Kommandos attackierten das Stade de France und Bars. Im Januar 2021 soll der Prozess beginnen.

Der Club war den Bewohnern von Paris und den umliegenden Banlieues schon lange wohlbekannt. Seit nunmehr fast fünf Jahren ist sein Name weltweit ein Begriff: Das »Bataclan«, ein Theatergebäude und Konzertsaal im elften ­Pariser Bezirk, bildet nicht zuletzt wegen seiner farbenprächtigen Fassade in Weiß, Rot und Gelb mit einigen grünen Kontrasten einen Blickfang.

Ursprünglich war das Gebäude einer Pagode nachempfunden und sollte, damals im Zweiten Kaiserreich unter Napoléon III., an einen chinesischen Tempel erinnern. Eröffnet wurde es 1865, ihren Namen erhielt sie nach ­einer Operette von Jacques (geboren Jakob) Offenbach: »Ba-ta-clan«. Das ­bedeutet so viel wie »freudiger Lärm«. Das einstmals berühmte Pagodendach des Bauwerks existiert schon lange nicht mehr; nach einem Brand im Jahr 1933 wurde das »Bataclan« erst in den fünfziger Jahren und nicht vollständig im Originalstil restauriert.

Der »Islamische Staat« verlautbarte, in einem »gesegneten Angriff« sei das »Bataclan« attackiert worden, »wo Hunderte von Götzendienern an einem Fest der Perversität teilnahmen«.

Traurige Berühmtheit erlangte das »Bataclan« am Abend des 13. November 2015, an dem ein Kommando jihadistischer Angreifer mit Kalaschnikows und Sprengstoffwesten dort eindrang und zunächst in der Eingangshalle und kurz darauf im großen Konzertsaal um sich schoss. Ihre Attacke war Teil eines größeren Plans. Ein weiteres Kommando zündete eine Bombe vor dem großen Fußballstadion Stade de France in Saint-Denis bei Paris beim Länderspiel Frankreich–Deutschland, Jihadisten schossen aus mehreren fahrenden Autos auf die Außenterrassen von Restaurants und Bars. Insgesamt 130 Menschen starben, die sieben zu Tode gekommenen Täter nicht mitgerechnet, und 354 Verletzte wurden in Krankenhäusern aufgenommen. 89 Menschen wurden im »Bataclan« erschossen, Hunderte wurden dort verletzt.

Im Namen des »Islamischen Staats« (IS) veröffentlichte dessen Agentur Amaq am folgenden Tag ein Bekennerschreiben. Es trug die Überschrift: »Kommuniqué über den gesegneten Angriff von Paris gegen das kreuz­fahrerische Frankreich«; der letztgenannte Begriff bezog sich auf die mili­tärische Beteiligung Frankreichs an der Koalition gegen den IS, die im August 2014 wegen der Expansion des sogenannten Kalifats in Syrien und im Irak gebildet worden war. In dem Kommu­niqué hieß es: »Acht Brüder, die Sprengstoffgürtel und Sturmgewehre trugen, haben minutiös vorher ausgewählte Orte im Herzen der französischen Hauptstadt attackiert, das Stade de France während des Spiels zwischen den beiden Kreuzfahrerstaaten Frankreich und Deutschland, dem der Dummkopf Frankreichs, François Hollande, beiwohnte, das »Bataclan«, wo Hunderte von Götzendienern an einem Fest der Perversität teilnahmen, sowie andere Ziele im zehnten, elften und 18. Bezirk.«

Im zuletzt genannten Pariser Stadtbezirk war allerdings keine Attacke zu verzeichnen. Dort wurde das Tatfahrzeug, ein schwarzer Renault Clio des 31jährigen französisch-belgischen Jihadisten Salah Abdeslam aufgefunden, der derzeit in Fleury-Mérogis bei Paris inhaftiert ist. Angeblich wollte er seinen Sprengstoffgürtel in der Nähe des Boulevard Barbès zünden. Dieser funk­tionierte jedoch nicht oder wurde nicht ausgelöst. Abdeslam konnte zunächst nach Belgien fliehen, wo er mit seinen Geschwistern aufgewachsen war. Am 18. März 2016 wurde er in Molenbeek (Jungle World 41/2016), einer Gemeinde von Brüssel, aufgegriffen. Vier Tage später wurden im Stadtgebiet und am Flughafen von Brüssel Selbstmord­anschläge mit 32 Toten und 340 Verletzten verübt. Die IS-Zelle, zu der auch Abdeslam gehörte, hatte die seit längerem vorbereiteten Mordanschläge rasch vollzogen, bevor die Zelle völlig enttarnt worden wäre.

Im Zusammenhang mit den Brüsseler Attentaten wurde Abdeslam bereits im April 2018 in Belgien wegen eines Schusswechsels mit der Polizei in Forest kurz vor seiner Verhaftung zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er wohnte der Urteilsverkündung schweigend bei. Nun wartet er in streng überwachter Einzelhaft auf die Eröffnung des Prozesses in Frankreich, die für Januar 2021 angekündigt ist.

Die zuständige Antiterror-Staatsanwaltschaft (PNAT) legte im November 2019 die 562seitige Anklageschrift vor. Zum Prozess werden 1 740 Nebenklägerparteien und mehrere Hundert Anwältinnen und Anwälte erwartet. 14 Tatverdächtige, denen Vorbereitungs- und Beihilfehandlungen vorgeworfen werden, befinden sich in Reichweite der französischen Justiz, elf von ihnen sind in Untersuchungshaft und drei weitere unterliegen Meldeauflagen. Gegen fünf Beschuldigte wird in Abwesenheit verhandelt werden, sie sind mit einiger Wahrscheinlichkeit im ­syrisch-irakischen Grenzgebiet zu Tode gekommen. Unter ihnen sind die Brüder Fabien und Jean-Michel Clain, zwei ­jihadistisch-salafistische Islamkonvertiten, die mutmaßlich im Februar und März 2019 bei Luftangriffen im syrischen IS-Gebiet ums Leben kamen. Sollte ihr Tod bei Prozessbeginn nicht zweifelsfrei bewiesen sein, wird auch gegen sie Anklage erhoben werden.

Dasselbe gilt für den langjährigen belgischen Jihadisten Oussama Atar alias Abu Ahmed. Er spielte mutmaßlich eine zentrale Rolle bei der Planung der Attentate vom syrischen Raqqa aus, wo alle wesentlichen Vorentscheidungen von den höheren Rängen des IS getroffen worden sein dürften. Die nähere Planung der Tatausführung erfolgte mehrere Wochen, vielleicht Monate lang von Belgien aus.

Die drei Attentäter, die am Abend des Massakers ins »Bataclan« eingedrungen waren, sind tot. Es handelt sich um den 28jährigen früheren Busfahrer Samy Amimour, einen Salafisten aus Drancy bei Paris, der sich 2013 dem IS in Syrien angeschlossen hatte; um den vormaligen Hilfsarbeiter und Klein­kriminellen Ismaël Omar Mostefaï (29), der ebenfalls 2013 nach Syrien gegangen war; posthum veröffentlichte der IS im Februar 2016 ein Video, das zeigt, wie er einen Mann köpft. Der Dritte war der 23jährige Foued Mohamed Aggad. Er wuchs im Elsass auf, lebte von ­Leiharbeit und hatte nach seiner Berufsschule vergeblich Aufnahmeprüfungen für einen Eintritt in die französische Polizei und Armee abgelegt; Ende 2013 war er mit seinem Bruder Karim und acht Freunden aus dem Elsass zum ­Jihad in den Nahen Osten gezogen.

Den Einsatzkräften der Polizei gelang es zunächst, kurz nach 22 Uhr, eine knappe halbe Stunde nach Beginn des Angriffs auf das »Bataclan«, Amimour durch gezielte Schüsse zu töten. Die beiden anderen Täter verschanzten sich daraufhin mit Geiseln aus dem Konzertsaal auf der ersten Etage und starben gegen halb ein Uhr früh durch Auslösen ihrer Sprengstoffwesten, als Spezialkräfte der Polizei das Gebäude stürmten, um die Geiseln zu befreien.

Aber warum war das »Bataclan« das Ziel? Der 1 500 Personen fassende ­große Saal des Gebäudes diente seit 1972 zur Veranstaltung von Konzerten, zunächst überwiegend Rock, später wurde – vor allem in den neunziger Jahren – auch Post-Punk dort gespielt. Prominente Bands wie The Cure (mehrfach), Prince und IAM spielten dort, aber auch Sängerinnen und ­Sänger wie Jane Birkin und der Belgier Stromae hatten dort ihren Auftritt. Diese Konzerte stellten in den Augen von Salafisten und Jihadisten schon immer einen Ausweis »satanistischer« Neigungen und kultureller Dekadenz dar, ein Symbol von Sodom und ­Gomorrha.

Bereits Anfang 2011 hatte der Inlandsgeheimdienst DCRI eine Französin ­albanischer Herkunft, Dodi Hoxha, verhört, nachdem sie mutmaßlich an ­einem Attentat des al-Qaida-Ablegers Jaish al-Islam (Armee des Islam) 2009 in Kairo auf junge Franzosen beteiligt war. Bei ihrer Vernehmung sprach sie davon, der gleichzeitig und ebenfalls in Ägypten festgenommene belgische ­Jihadist Farouk Ben Abbes habe Attentatspläne gegen das »Bataclan« gehegt. Ein im Mai 2015 nach Europa eingeschleuster vormaliger IS-Kämpfer, dessen Pseudonym Reda lautet und der, statt zur Tat zu schreiten, für deren ­Begehung er einreisen sollte, zur Polizei gegangen war, sprach in seiner Aussage ebenfalls davon, er sei aufgefordert worden, ein Rockkonzert zum Angriffsziel zu machen. Zeitweilig wurde auch diskutiert, ob das »Bataclan« ebenfalls wegen seines jüdischen Vorbesitzers namens Joël ­Laloux ausgewählt worden sei. Er selbst hat dies allerdings dementiert. Laloux verkauft seine Anteile im September 2015 an den französischen Medien-, Kultur- und Mischkonzern Lagardère. Dieser hielt damals 70 Prozent der ­Anteile am »Bataclan« und erwarb 2018 die übrigen 30 Prozent.

Am Abend des 13. November 2015 spielte dort die US-amerikanische Band Eagles of Death Metal. Dass deren Sänger Jesse Hughes gerade den Song »Kiss the Devil« angestimmt hatte, als gegen 21.40 Uhr die ersten Schüsse aus den Kalaschnikows der Attentäter fielen, dürfte Zufall gewesen sein – die Mörder hatten nach ihrem Eintreffen keine Zeit zum Abwarten und Beobachten.

Das »Bataclan« wurde am 12. November 2016, ein Jahr nach den Morden, wiedereröffnet, mit einem Auftritt von Sting – nicht The Cure, wie sieben ­Monate zuvor erwogen worden war. Erneut wird dort gesungen und getanzt. Den früheren Veranstaltungsrhythmus hat es jedoch nicht wieder aufgenommen. Im gesamten Jahr 2018 fanden lediglich 70 Konzerte dort statt – rund ein Drittel weniger als in der Zeit vor den Attentaten.