Unterhaltung mit Schwulen über ihren ersten Barbesuch

In der Sub

Für Schwule, vor allem wenn sie in den sechziger Jahren aufgewachsen sind, ist der erste Besuch einer Schwulenbar oder eines Clubs eine ganz besondere, eindrückliche Erfahrung.

Schwule Bars mit Darkroom haben seit einiger Zeit wieder geöffnet – die dunklen Hinterzimmer dienen derzeit aber als Lounges mit Mindestabstand. Und das, nachdem im vergangenen Jahr in Berlin-Schöneberg einige behördliche Beschwerden über Baumängel dazu führten, dass etwa der beliebte Darkroom in »Toms Bar« erst mal schließen musste.

Die Institution des dunklen Hinterzimmers – oder Kellers – ist aus der schwulen Subkultur nicht wegzudenken und wird daher auch die Pandemie überdauern. Sie hat seit ihrer Etablierung Ende der siebziger Jahre ihren Reiz nicht eingebüßt, auch wenn die Zahl der Darkrooms wie die der Bars im Zuge des Kneipensterbens seit der Jahrhundertwende gesunken ist. Die Schuld wird gern den schwulen Dating-Plattformen Grindr und Gayromeo ge­geben, da man mit Hilfe dieser Apps auch in der heterosexuellen Pampa unkompliziert schwul sein kann.

Für manche Schwule der Generation Achtundsechzig wurden Gruppen und Läden zu einem Hort eines gänzlich neuen Selbstbewusstseins. Andere erlebten das Ganze als zu wenig sexuell, zu verbohrt oder elitär.

Die Subkultur, mitsamt den Saunen, Darkrooms sowie den entsprechend umgenutzten Parkanlagen, braucht es immer noch – bundesweit, wenn auch vielleicht nicht im früheren Ausmaß. Das gilt trotzt der Behauptung, die sexuellen und sonstigen sozialen schwulen Orte brauche es nur, weil die Schwulen durch die Diskriminierung ins Versteck ihrer Subkultur getrieben worden seien. Diejenigen, die Bars und Darkrooms aufsuchen, suchen dort nach mehr (oder anderem) als bloß nach Schutz.

Bars und Clubs waren bedeutsame Treffpunkte, schon lange bevor Grindr und Gayromeo mit der analogen Sub­kultur in Konkurrenz traten, noch vor der Verbreitung der Darkrooms sogar, zu der Zeit, als die schwule Subkultur tatsächlich in weit höherem Maß als Schutz vor ­Diskriminierung verstanden werden konnte – und Bar gewordene Wendepunkte in vielen schwulen Lebensgeschichten. Bars mit Namen wie »Hoppla, Sir!« in Berlin ermöglichten in den sechziger Jahren Treffen mit anderen Schwulen – und nicht zuletzt mit dem eigenen Schwulsein.

Maria oder Stefan M. Weber (67), ehemals Westberliner Schwulenaktivist und nach wie vor schwuler Buchhändler, ­erinnert sich im Gespräch mit der Jungle World an seine »erste Schwulenbar« ­namens »Goldener Heinrich«, mitten im Stuttgarter Rotlichtviertel gelegen. Ende der sechziger Jahre – der Paragraph 175 wurde erst 1969 reformiert – landete ­Maria zum ersten Mal zwischen den älteren homosexuellen Stammgästen, die rauchend und biertrinkend Jungspunden wie ihm nachschauten, sowie den Huren vom umliegenden Straßenstrich, die dort ihr günstiges und gutes Essen vom Gasthof gegenüber bei einer Pause zu sich nahmen: »Am späteren Abend stand man auch gerne mal in kleinen Gruppen vor dem Tresen und rieb sich diskret gegenseitig die entblößten Schwänze. Für den kleinen Stefan die große Welt, ganz und gar aufregend, unvergesslich und prägend.«

Wie er dort überhaupt hinkam, daran erinnert er sich nicht, doch den schlechten Ruf der Gegend, in der sich der »Goldene Heinrich« befand, vernahm Maria geradewegs als Anreiz, sie aufzusuchen. Eine Zeitlang bedeutete die Kneipe für ihn »die Welt«: »Ich war nicht allein! Es gab noch andere wie mich!« Der Weg aus der Isolation in einer heterosexuell geprägten Umwelt führte auch zu auf­regendem sexuellen Treiben – wenn auch etwas verdruckst: »Die Schwänze sah man ja kaum, verborgen von Barhockern und dem Tresen.« Auch die erste schwule Beziehung fand Maria in dieser Zeit, aber nicht im »Heinrich«, sondern in der Klappe an der Straßenbahnhaltestelle Charlottenplatz. Solche Klappen, also öffentliche Toiletten, auf denen Männer Sex mit Männern haben, gibt es heute in Deutschland kaum noch. Cruising-Ge­biete in Parks und an Seen und Autobahnraststätten haben sich erhalten.

Erwin Gruhn, ein engagierter Fotosammler zur Geschichte der Schwulenbewegung und in den Siebzigern Mitglied der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW), lernte die ersten anderen Schwulen ebenfalls Ende der sechziger Jahre, aber noch nicht in der Subkultur kennen. Erst dort waren sie offener: »In der Bar war alles klar!« In Essen besuchte er 1974 den beliebten »Club David« – Erwins erster Gang in »die Sub«. Nahe am Hauptbahnhof gelegen, wurde man zunächst durch ein Guckloch observiert, bevor man eintreten durfte; eine Sicherheitsvorkehrung, die in manchen Bars und in vielen Darkroom-Bars bis heute besteht. Auf Arbeit, in der Schule, »gab es so gut wie keine Schwulen, zumindest nicht offen. Von daher war die Sub der beste Ort für uns.« Mit dem »uns« meint ­Erwin die Schwulen insgesamt, die das Schwulwerden als subjektiven Prozess durchlaufen mussten, so seine Einschätzung, und die Angebote wie Kneipen und schwule Buchläden als Hilfe dafür wahrnahmen.

In Buchläden und alternativen Bars wie dem Café »TucTuc« in Hamburg oder dem »Anderen Ufer« in Westberlin waren Kunst, Kultur und Aktivismus anzutreffen. Von Letzterem hatte Maria schnell genug, als ein Wortführer der Schwulengruppe Allgemeine Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft seinetwegen eine außerplanmäßige Mitgliederversammlung einberief: »Ich sollte mich rechtfertigen, weil ich mit einem HAW-Mitglied eine Beziehung führte. Ich verstand nur Bahnhof und mir war das zu blöd.«

Mit den neuen Schwulenläden und den oftmals an sie angebundenen politischen Gruppen versuchten engagierte Homosexuelle vorrangig in Universitätsstädten der BRD in den Siebzigern, eine Alternative zur Subkultur anzubieten. Hier konnte man nicht nur zum ersten Mal andere Schwule treffen, sondern Schwule, die sich für linke Themen interessierten und politisch aktiv sein wollten. So bildete sich eine eigene, eben schwulenpo­litische Subkultur heraus, die wiederum je nach Stadt und je nach linker Strömung ­unterschiedlichen Regeln unterlag. Für manche Schwule der Generation Achtundsechzig wurden diese Gruppen und Läden zu einem Hort eines gänzlich neuen Selbstbewusstseins. Andere erlebten das Ganze als zu wenig sexuell, zu verbohrt oder elitär. Spricht man mit Schwulen dieser Generation über die jeweils aufgesuchten Räume, so eint sie die ­Erfahrung des Neuen. Bis zu einem gewissen Grad ist das so geblieben.

Als Maria in Westberlin ankam – also noch bevor er sich wegen seiner gruppenübergreifenden Beziehung rechtfertigen musste –, wurde »Andreas Kneipe« (bis 2003 in Berlin-Schöneberg in der Ansbacher Straße) zu seinem neuen schwulen Domizil. »Da verbrachte ich Anfang der siebziger Jahre Tage und Nächte, habe etliche One-Night-Stands und Beziehungsversuche nach Hause geschleppt.« Das sei zuvor im Stuttgarter »Heinrich« eher selten vorgekommen, da er trotz aller Faszination, die von der neuen schwulen Welt auf ihn ausging, »noch zu verklemmt und verunsichert« war.

Schwule Kneipen und Clubs waren und sind mehr als bloße Vergnügungsstätten. Das Vergnügen verbindet sich hier traditionsgemäß mit der geteilten Erfahrung, als Mann auf Männer zu stehen. Wenn auch nicht alle Anwesenden auf der Suche nach einem (neuen) Partner sind, so durchzieht doch ein sexuelles Aroma diese Räume. Wer dort hingeht, scheut, ganz abgesehen von seiner bewussten Einstellung dazu, das schwule Klischee nicht und ­eröffnet unversehens auch jenen jungen oder älteren unbedarften Schwulen einen Möglichkeitsraum für die Entdeckung ihres Schwulseins.

Homosexuelle unterschiedlicher Generationen berichten von dem euphorisierenden Gefühl des Neuen, wenn man merkt, dass man nicht allein ist. Womöglich trägt das zu dem behaglichen Gefühl (zumindest einiger) homosexueller Männer bei, wenn sie schwul ausgehen oder »ein schwules Bier« trinken gehen wollen. Auch Grindr und Gayromeo können einem manches davon geben: Man merkt, man ist doch nicht die einzige Husche im Dorf. Oder zumindest im Landkreis. Der Wunsch, als Schwuler leibhaftig und ohne gesonderte Verabredung auf andere Schwule zu treffen, besteht aber weiterhin – auch in der Subkultur, den Kneipen, Clubs und ­Dark­rooms.

Die Generation vor den digitalen Dating-Plattformen und mehr noch jene vor der spürbar einsetzenden Liberalisierung, die sich auf dem Land später vollzog als in den Universitätsstädten, hat entsprechend starke Erinnerungen an ihre ersten Subkulturerlebnisse – an den ersten Gang in die Sub, häufig mit Aufregung und erst nach mehrwöchigem Ausspähen des jeweiligen Ladens, als initiales ­Erlebnis auch des eigenen Schwulseins. Maria besuchte ihre erste schwule Kneipe nochmal: »Vor zwei oder drei Jahren war ich wieder mal da, mit Thomas und Dietmar vom Buchladen Erlkönig. Nichts war mehr so, wie es damals war, und ich war trotzdem den Tränen nahe.«

Eine spannende Frage lautet, wie sich schwule Subkultur nach der Pandemie ändern wird. Das dürfte mehr von den finanziellen Reserven der oftmals traditionsreichen Schwulenbars abhängen und weniger davon, dass die Pandemie und ihre Folgeerscheinung das Schwulsein selbst beeinflussen. Selbst Aids in den achtziger Jahren führte trotz großer ­Auswirkungen auf das Sexualleben schwuler Männer nicht zum Niedergang der Subkultur, wenn auch zu einigen Veränderungen. Insofern bleibt der Wunsch derselbe: andere Schwule zu treffen und das eigene Schwulsein in einem von Heterosexuellem möglichst frei gehaltenen Raum zu erleben.