Waldsterben im Klimawandel

Der Wald im Trockenstress

Die heißen Sommer haben den Wäldern sehr zugesetzt. Das Ausmaß des Waldsterbens erfordert weitreichendes Handeln.

In diesem Jahr sind die Zeichen für den miserablem Zustand der Wälder in Deutschland kaum zu übersehen: kahle und braune Fichten- und Kiefernhänge im Harz, im Spessart und in weiten Teilen Ostdeutschlands, deutlich zu wenige Blätter an Eichen und Buchen in den großflächigen Laubwäldern Brandenburgs und Westfalens, im Spessart und im Pfälzerwald. Nach dem jüngsten Waldzustandsbericht der Bundesregierung geht es den hiesigen Wäldern so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht: Nur noch jeder fünfte Baum ist gesund. Bei mehr als einem Drittel der Bäume sind die Kronen deutlich aufgelichtet – ein klares Signale für ernsthaften Trockenstress. Die geschwächten Bäume sind besonders anfällig für Insektenfraß. Dem Statistischem Bundesamt zufolge mussten die Forstbetriebe in Deutschland im Jahre 2019 mit 32 Millionen Kubikmetern fast dreimal so viel Schadholz einschlagen wie im Jahr zuvor. Der Anteil des Schadholzeinschlags an der gesamten Holzernte liegt bei 68 Prozent – vor zehn Jahren waren es nicht einmal 20 Prozent. Das seit 200 Jahren gepflegte Geschäftsmodell »Forst« droht im Klimawandel zu versagen, die Preise für Holz fallen unaufhaltsam. Teures Buchenholz wird zu Brennholz, das oft nur die Hälfte des Preises bringt. Am stärksten verfällt der Preis für die Fichte, die lange als sichere Einnahmequelle galt.

Wälder sind die Klimaanlagen der Landschaft, sie kühlen die Luft und schützen den Boden vor intensiver Sonnenstrahlung und Austrocknung.

Diesmal sind es nicht, wie während der ersten Debatten über das Waldsterben in den achtziger Jahren, giftige Gase aus Schornsteinen und Auspuffrohren, die dem Wald zusetzen. Zu wenig Regen, Stürme, Hitzewellen und lange Dürreperioden schädigen den Wald schon seit vielen Jahren erheblich. Bis vor kurzem waren die Schäden nur für Fachleute zu erkennen, doch die Dürresommer 2018 und 2019 und die langen Trockenperioden dieses Jahres haben das beginnende Waldsterben offensichtlich gemacht. Eichen können zwar noch relativ lange mit ihren tief reichenden Wurzeln das Wasser im Boden erreichen, doch irgendwann kommen auch sie nicht mehr gegen die anhaltende Trockenheit an. Buchen leiden stark unter der langen Dürrezeit, sie haben besonders früh ihre Blätter abgeworfen; einige Waldstücke sind schon vertrocknet. Am härtesten trifft es die Nadelwälder, vor allem die Fichten. Weil deren flache Wurzeln nur einen halben Meter in den Boden reichen, sind sie für Sturmschäden anfällig. Zugleich werden sie, wenn sie großer Trockenheit ausgesetzt sind, leicht zum Opfer von Borkenkäfern.

Die Monate April bis August 2018 sowie der Juni und Juli 2019 waren die wärmsten, sonnenreichsten und regenärmsten Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 130 Jahren. Auch in diesem Jahr dominierten über viele Wochen Hochdruckgebiete das Wetter. Die globale Erwärmung führt zu einer Störung des Jetstreams, eines wetterbestimmenden Starkwindbands, auf der Nordhalbkugel. Im Zuge der Erwärmung der Atmosphäre schwächen sich die Temperaturgefälle zwischen dem Äquator und den Polen ab, wodurch sich die Luftzirkulation ändert. Die Störung des Jetstreams vermindert Wetterwechsel und begünstigt Extremwetter. Die Abfolge von Hoch- und Tiefdruckgebieten wird häufiger als früher von festsitzenden Wetterlagen unterbrochen, die in den vergangenen Sommern in Europa vor allem zu langen Trockenperioden geführt haben. Nur durch eine drastische Reduzierung des Ausstoßes von CO2 und anderen Treibhausgasen wird es möglich sein, diese Folgen des Klimawandels zumindest einzudämmen. Ein Weg, dies zu erreichen, ist die schnelle Dekar­bonisierung der Industriestaaten, also die Umstellung auf eine Wirtschaftsweise, die weniger oder ­keine kohlenstoffhaltigen (Netto-)Emissionen ver­ursacht. Das Pariser Klimaabkommen der UN von 2015 gibt – gegenüber dem Jahr 1990 – eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 Prozent bis zur Jahrhundertmitte vor. So soll die weltweite Temperaturerhöhung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum Temperaturniveau der vorindustriellen Zeit begrenzt werden. Die globale Temperatur liegt heutzutage ein Grad Celsius über diesem Niveau.

Die Klima- und Umweltkrise verursacht also ein Waldsterben, doch gerade um dieser Krise zu begegnen, sind die Wälder besonders wichtig. Sie sind Sauerstoffproduzenten, Wasserspeicher und Luftfilter. Sie sind Klimaanlagen der Landschaft, kühlen die Luft und schützen den Boden vor intensiver Sonnenstrahlung und Austrocknung. Wälder sind Orte der biologischen Vielfalt, hier leben außerordentlich viele Tier- und Pflanzenarten. Zugleich ist der Wald ein wichtiger Rohstofflieferant, er ist Produktionsstätte des nachwachsenden Rohstoffs Holz und damit Ausgangspunkt einer Wertschöpfungskette, die für den Klimaschutz immer wichtiger wird. Auch für das Klima spielen die Wälder eine zentrale Rolle, weil sie – neben den Mooren – die ­einzigen terrestrischen Ökosysteme sind, die Kohlenstoff aus der Atmos­phäre über lange Zeiträume binden können. Sie sind Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs: Bäume und Wälder nehmen durch die Photosynthese das Kohlendioxid aus der Luft auf, so dass Holz zur Hälfte aus Kohlenstoff besteht.

Die internationale Klimaberichterstattung unterscheidet zwischen Quellen und Senken für Treibhaus­gase. Wälder sind CO2-Senken, da sie Kohlenstoff binden und Sauerstoff ­freisetzen. Derzeit bindet jeder Hektar Wald rund 192 Tonnen Kohlenstoff, der so der Atmosphäre entzogen bleibt. Eine Tonne Holz entzieht der Atmosphäre etwa 1,8 Tonnen Kohlendioxid. Somit hängt der Klimaschutz auch von der Langlebigkeit der Bäume und der Speicherung des Kohlenstoffs im Waldboden ab.

Die Nothilfen für Waldbesitzer, Forstbetriebe und Kommunen von Bund und Ländern in Höhe von rund 800 Millionen Euro sind wohl erst der Anfang. Mit weiteren staatlichen Finanzhilfen für große Wiederaufforstungen ist zu rechnen. Waldökologie und Artenvielfalt müssen gestärkt werden und der Anteil klimaresistenter Mischwälder sollte gegenüber den vorherrschenden Monokulturen aus Nadelwald erhöht werden. Da mittlerweile auch die Buchen- und Eichenwälder unter Klimastress leiden, wird es bei den groß angelegten Wiederaufforstungsprogrammen mehr und mehr darauf ankommen, neue klimaresistente Bäume anzupflanzen: andere Eichen­arten etwa, amerikanische Baumarten wie die Douglasie oder die in Deutschland bisher seltene Robinie, die zum Baum des Jahres 2020 gekürt wurde, weil sie Hitze und Dürre gut verträgt.

In vielen Debatten von Fachleuten, Naturschützern und Umweltpolitikern zeigt sich neben dem Erschrecken über das Ausmaß des Waldsterbens eine für die Branche ungewöhnlich große Ratlosigkeit, wie dies alles zu bewältigen sei. Häufiger als früher werden grundsätzliche Fragen gestellt: Was heißt unter der Wucht der Klimakrisenfolgen eigentlich »nachhaltige Waldwirtschaft«, was bedeutet bei diesen riesigen Waldschäden eine »nachhaltige Nutzung des nachwachsenden Rohstoffes Holz«? Anders die für den Wald zuständige Bundesministerin, Julia Klöckner (CDU), die sich jetzt für ein paar staatliche Not- und Schutzprogramme »viele Menschen« wünscht, »die die Ärmel hochkrempeln und zusammenarbeiten«. Sie macht mit ihren gutgelaunten Appellen an die Aktionsbereitschaft aller Betroffenen nicht den Eindruck, auf der Höhe dieser Diskussion zu sein. Die Konzeptlosigkeit der Bundesregierung in dieser Frage ist sehr bedenklich.