Die Bedeutung der Diversität in Hollywood und anderswo

Schmuggelware aus der Traumfabrik

Anfang September hat die Academy of Motion Picture Arts and Sciences verkündet, dass die Oscar-Nominierung als bester Film an Diversity-Kriterien geknüpft werden soll. Subversion gibt es im Hollywood-Film aber schon weitaus länger, als über die Widersprüche der Diversität diskutiert wird.

I
Diversitäten. »Den Rassismus überwinden, das heißt nicht, dass man sich selbst davon überzeugte, dass die anderen sich nicht von uns unterscheiden, sondern es heißt, die anderen in ihrer Diversität zu verstehen und zu akzeptieren.« So schrieb Umberto Eco. Und das ist schön gesagt für einen Antirassismus der Toleranz. Mehr noch: Dieses Verständnis und die Akzeptanz von Unterschiedlichkeit gäben dem Antirassismus Neugier, Lust und Zärtlichkeit zurück. Unterschiede bilden keine Hierarchien aus, sondern sind Produktivkräfte von Phantasie, Diskurs und eben anthropologischer Demokratie. Seit dem europäischen Merkantilismus ist klar: Diversität ist ein Motor der technisch-ökonomisch-kulturellen Entwicklung. Sie ist gefragt, wenn Änderung erwünscht ist, und sie wird unterbunden, wenn Macht sich dagegen wehrt, von Dynamik in Frage gestellt zu werden. Und kulturelle Blüten sind nicht ohne Diversity zu haben.

Die Diversity unter Hollywood-Schauspielern und die Diversity unter Bauarbeitern sind einander nicht gleich, und Diversity in der Polizei oder in der Armee ändert wenig an der im Kern rassistischen und sexistischen Ausrichtung dieser Institutionen.

Aber er hat auch seine Tücken, dieser Antirassismus im Namen der kulturellen und psychologischen Toleranz. Denn er setzt, paradox genug, für die Akzeptanz von Unterschieden eine primäre soziale, juristische und politische Gleichheit voraus; die Gleichheit der Rechte und Möglichkeiten, die Gleichheit der Verteilung der Güter und des Wissens, die Gleichheit der Narrative und Diskurse und so weiter. Kulturelle oder psychische Differenz ist nur lustvoll und eben »reziprok« zu haben, wenn es zuvor eine soziale und politische Gleichheit gibt. Differenz dürfte demnach nicht Teil des Wesens von Menschen, sondern nur ein kultureller Zusatz, ein Mehrwert sein. Semantisch gesprochen: Die Diversität dürfte kein Syntagma der Geschichte und der Biographien sein, sondern ein Paradigma (etwas, romantisch gesprochen, das man sich gegenseitig zum Geschenk machen kann).

Die Andersartigkeit von Kollegen, Freunden, Nachbarn und Mitstreitern ist nur auf der Basis von zwei Voraussetzungen freundlich und lustvoll zu haben: Erstens einer allgemeinen Übereinkunft von Ästhetik, Moral und Ordnung. Wenn die Andersartigkeit bedeutet, dass eine Grundüberzeugung ihre Gültigkeit verlieren muss, hört der Spaß schnell auf. Dann nämlich entstehen unlösbare Probleme. Als Alltagsbeispiel mag das Schächten von Tieren dienen, durch das ein heilloser Konflikt zwischen Religionsfreiheit und Tierwohlgedanke entsteht. Noch dramatischer wird es, wenn etwa militante Homophobie Teil der Andersartigkeit ist. Die Voraussetzung positiver Diversity wäre demnach eine ethische, humanistische und (in der Tat) sozialistische Universalerzählung.

Die zweite Voraussetzung ist eine Trennung von Diversity und Sozialstatus. Rassismus ist eben nicht nur eine (abscheuliche) Haltung von Subjekten, sondern er ist Teil der ökonomischen und politischen Strukturen, der Legitimationen, der Klassenkämpfe, der Kulturen, der »Erzählungen«. Beide Voraussetzungen für eine allgemeine und positive Diver­sität (die nicht mehr unter Opfern erkämpft, sondern als gemeinsames Ziel erkannt wird; die nicht als Privileg oder moralische Überlegenheit bestimmter Klassen oder Lebenssituationen wirkt, sondern als umfassender gesellschaftlicher Code) sind nicht ohne grundlegende Veränderungen der Gesellschaften zu haben. Unnütz zu sagen: Genau dagegen richtet sich derzeit der populistisch-neoliberale Abwehrkampf.

So wird rasch klar, dass Diversität in bestimmten Segmenten von Ökonomie und Kultur nutzbringend, kreativ und entspannend wirken kann und in anderen mit Wahn und Gewalt verhindert wird. Die linksliberale, weltoffene und progressistische Kultur des tertiären Sektors fordert und fördert Diversity, denn die nicht (oder nur »flach«) hierarchische ­Zusammenarbeit mit people of color (PoC), Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit queeren Lebensentwürfen, Andersbegabten und sonstigen Minderheiten fördert nicht nur die Kreativität, sondern erweitert auch Marktzugänge. Diversity wäre demnach der soziale und kulturelle Ausdruck des positiven Aspekts von Globalisierung.

Um also in den Genuss des Diversity-Konzepts zu kommen, muss man zuerst einmal Teil dieser Kultur werden. Diversity funktioniert nämlich immer nur unter Personen in einer gleichen sozialen Situation. Und es gibt Diversity in den verschiedenen Szenen, Berufen, Klassen und Kulturen, aber nicht zwischen ihnen, wie es scheint. Die Diversity unter Hollywood-Schauspielern und Drehbuchrollen und die Diversity unter Bauarbeitern oder Reinigungskräften sind einander nicht gleich, vielleicht nicht einmal miteinander kongruent, und Diversity in der Polizei oder in der Armee ändert offenbar wenig an der im Kern rassistischen und sexis­tischen Ausrichtung dieser Institutionen.

Diversity als gesamtgesellschaftliches Projekt kann es also unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht geben, und zwar aus zwei sehr unterschiedlichen Gründen. Zum einen sind Rassismus und Sexismus nicht durch ein Bekenntnis zur Toleranz zu überwinden, solange sie Teile der sozialen und ökonomischen Ungleichheiten sind. Rassismus und Sexismus sind Waffen im Verteilungs- und Machtkampf. Zum anderen gibt es die oben erwähnte Produktion einer allgemeinen, verbindlichen politischen, sozialen und kulturellen Moral nicht (mehr). Wie alle sozialen Impulse, so wird auch das Konzept der Diversity zu einem plot point der Spaltungen: Verwirklicht das eine soziale Subsystem mehr Diversity, antwortet das andere mit einer neuen Welle von Rassismus, Sexismus und Gewalt. Verwirklicht das Hollywood-Kino mehr ­Diversity, wie Anfang September von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences bekanntgegeben, antworten die Trump-Medien – und was in europäischen Ländern so deren Wirkmacht entspricht – mit Häme, Verachtung, Hass und Faschisierung. Je diverser der Campus wird, desto rassistischer geht es auf der Straße zu. Diversity und Anti-Diversity sind Teil des vom Neoliberalismus angeheizten Klassen- und Kulturkampfs.

Daher entsteht eine Trialektik aus »Identität«, sozialem Status und Ideologie. So wie man den schwarzen Trump-Anhänger, den schwulen Faschisten und den klassistischen Migranten kennt, so wird Diversity zur reinen Oberfläche, wenn sie sich ausschließlich auf die »Identität« bezieht. »Ein Sozialismus, der sich nicht um Minderheiten kümmert, ist nichts wert«, schreibt Fatma Aydemir. Das ist völlig richtig. Allerdings gilt auch die Umkehrung: Identitätspolitik, die sich nicht um soziale Gerechtigkeit kümmert, ist nichts wert.

Die Frage ist also, ob Diversity in bestimmten sozialen Milieus und in bestimmten Segmenten der Kultur- und Unterhaltungsindustrie tatsächlich ernsthafte Fortschritte ermög­lichen kann oder ob sie nur ein ökonomisch interessantes Mittel der Markt- und Arbeitsorganisation ist.

Diversity ist eine neoliberale ­Variante des Nichtrassismus. Das ist natürlich immer noch besser als eine sich irgendwie links gerierende Form von Rassismus. Vor den Widersprüchen, die sich dabei auftun, darf man freilich die Augen nicht verschließen.

1964 erhielt Sidney Poitier für sein Spiel in dem Film »Lilies of the Field« als erster afroamerikanischer Mann einen Oscar als bester Hauptdarsteller

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II
Diversity als Markenzeichen. Die größte Macke der Diversity ist die, dass sie in den besseren Kreisen gilt. Diversity gibt es in Chefetagen, in Mode- und Unterhaltungsfirmen, im mittleren Management, vielleicht noch in der Sphäre von gehobenen und öffentlich sichtbaren Dienstleistungen. Wie sähe Diversity aber woanders aus? Derart, dass ein paar »Biodeutsche« beim Fleischzerlegen und Gurkenernten eingesetzt werden? Derart, dass Gay-Pride-Buttons unter Minijobbern verteilt werden? Queere Weihnachtsfeste bei Leiharbeitsfirmen? Diversity in deutschen Fernsehunterhaltungsprogrammen hat offensichtlich das Entstehen einer in die Mitte drängenden rassistischen und sexistischen Bewegung nicht verhindert. Eine proletarische Diversity, die sich zum Beispiel im Frankreich der Achtziger unter dem Motto »Touche pas à mon pote« (Rühr meinen Kumpel nicht an) als Bekenntnis zur Klassensolidarität entwickelte, hat es unter dem Ansturm der Rechtspopulisten schwer. Dennoch ist es überaus problematisch, wenn eine privilegierte Klasse, in der Diversity zum guten Ton gehört, mit moralischer Herablassung auf eine weniger privilegierte sieht, in der Anti-Diversity gefähr­liche Sprengkräfte entwickelt. Man müsste also das Konzept der Diver­sity aus seinem sozialen und kulturellen Ghetto befreien. Es müsste eine Frage nach der Verbindlichkeit ­medialer Vor-Bilder gestellt werden und eine Bewegung von Diversity-Solidarität von unten geben, um die verhängnisvolle Spaltung in Diversity hier und Rassismus / Sexismus dort zu überwinden.

Die Frage ist nun: Können Traumfabriken wie Hollywood dazu beitragen?

Diversity hat die Nachfolge der Pop- und Modeglobalisierung aus den siebziger und achtziger Jahren übernommen, für die etwa die Werbekampagnen der Firma Benetton aus Italien standen. Diversity hielt dann Einzug in Kinderbücher, Comics, Fernsehserien und Filme. Der Tag im Jahr 1968, an dem in der nicht ganz zu Unrecht als liberal geltenden Science-Fiction-Serie »Star Trek« der superweiße Captain Kirk die schwarze Bordoffizierin Uhura küsste, ging in die Geschichten der Hoffnungen ein. Mit »Black Panther« bot Marvel endlich einen afrikanischen Comic-Helden, der, anders als sein Kollege Luke Cage, nicht direkt aus dem Blaxploitation-Genre zu stammen schien. Und seine afrikanische ­Heimat ­Wakanda wurde zu einem Traumreich der Identität (das seinerseits nicht ohne Kritik blieb).

Miteinander, nebeneinander oder gegeneinander – diese Optionen schufen auch in der Popmythologie eine keineswegs scharf trennende Codierung, und das galt für Ethno- wie für Gender-Identitäten; dass sich Teams von Cops, von Superhelden oder von Sitcom-Vorstädtern nun »divers« zusammenstellen ließen, war noch keine Lösung, die Fragen wurden nur komplizierter: Wer muss was für oder gegen welches Klischee machen? Wie kombiniert man Gleichberechtigung und Andersartigkeit? Wie kann Diversity im Reich der Schurken und Schurkinnen aussehen, ohne dass Feindbilder der alten, üblen Art entstehen? Wie privat wird berufliche Diversity? Wie viel Ironie verträgt sie? Was ist echte, was Alibi- oder Quoten-Diversity? Spiegelt sich Diversity in den Produkten der Traumfabriken auch in der Produktion selbst oder bleibt die Kreativität der diversen Identitäten ökonomisch und politisch immer noch in den Händen weißer heteronormativer Männer? Hat wirklich eine große Transformation der Popmythologie begonnen oder wurde nur der Traummarkt ausgedehnt?

Es geht also darum, verschiedene Diskurse miteinander zu verbinden. Zum einen geht es um die Veränderung der Narrative und Ikonographien, um angemessene Präsentationen und Repräsentationen, um Geschichten der Repression und des Kampfs gegen diese, um die Sichtbarkeit und um die Identifikationsangebote. Denn die Heldinnen und Helden auf der Leinwand fungieren ja immer auch als Vorbilder und als imaginäre Freunde: Wie viel leichter und schöner kann zum Beispiel der Weg ins Leben für einen schwulen Jungen, ein lesbisches Mädchen sein, wenn es dafür gleichsam Schutz­engel in der Popmythologie gibt, und wie ermutigend mag es wirken, dass nicht jede Disney-Prinzessin weiß sein muss?

Zum Zweiten geht es um die Veränderung der Situation auf dem ­Arbeitsmarkt. Mindestens so wichtig wie schwarze Helden sind die Autoren, Regisseure, Produzenten. Wie weit ist die Traumfabriken noch von Gender-Gerechtigkeit entfernt! Warum sollen schwarze Regisseure nur schwarze Filme, Regisseurinnen nur Frauenfilme machen?

Zum Dritten geht es um eine Veränderung der Organisation des ­öffentlichen Raums (einschließlich der Funktion der Polizei, der Secu­rity und der Justiz). Was nutzt eine Diversity, die an den Toren der Produktionsstätten und Subkulturen endet? (Selbst für den PoC-Fernsehstar in Deutschland gibt es No-go-Areas, und Autorinnen mit Migrationshintergrund werden von den Verlagen freundlich herumgereicht und eher schlecht geschützt.) Nicht das Kino, die Welt muss divers werden. Und zum Vierten geht es um die Veränderung der Macht- und Einflusssphären in Politik, Wirtschaft und Kultur.

Diversity ist als soziale Bewegung nur insoweit nutzbringend, als sie auch nach unten wirkt. Eine auf Diversity gegründete Gesellschaft der ­gehobenen urbanen Mittelschicht, die als Gegenmodell zu einer rassis­tischen, rechten, provinziellen und – nicht nur was die USA anbelangt – zunehmend bigott-fundamentalistisch christlichen mittleren bis unteren Mittelschicht steht, kann nur auf Bilder und Diskurse Einfluss nehmen, wenn sie über die eigene Kultur hinausschaut. Die Diversity der liberalen Zivilgesellschaft und der Rassismus, Sexismus und auch Klassismus der Trump-, Salvini- und AfD-Wähler teilen keine gemeinsame Sprache. Die Popkultur steckt dazwischen fest und produziert nicht nur Gegenmodelle und Kampagnen, zu denen auch #MeToo gehört, sondern auch bizarre Hybride wie etwa die »migrantischen« Deutschrapper, die sich ihren Markt durch betont rassistische und sexistische Konsensverletzungen erobern, oder sie baut ihre Träume um Ambivalenzen auf (nur in Graphic Novels mit eher bescheidener Reichweite wird offengelegt, dass Wonder Woman lesbisch ist, ansonsten könnte man es sich allenfalls denken).

Für den chinesischen Markt produziert. Die Neuverfilmung von »Mulan« (Filmposter rechts in einem Kino in Peking) erfüllt zwar den Diversity-Kodex für eine Oscar-Nominierung, zog aber Kritik auf sich, da im Abspann Sicherheitsbehörden der Provinz Xinjiang gedankt wird, in der Uiguren in Umerziehungs­lagern ­inhaftiert sein sollen

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picture alliance / Mark Schiefelbein

III
Hollywood und der Rest der Welt. Diversity wird nicht zu einem Programm Hollywoods für den einhei­mischen Markt, sondern ist Teil der Globalisierungsstrategie der Traumfabrik. Dass weißer Rassismus (auch in der gewohnten »harmlosen« Form) nicht förderlich ist, wenn man seine Filme in Afrika, in Asien und in Lateinamerika verkaufen will, versteht sich. Das klassische Hollywood verfolgte noch das Geschäftsmodell der Produktion für einen Binnenmarkt, auf dem die Filme mindestens ihre Produktionskosten einspielten; die Exporte generierten willkommene ­Extraprofite (und requirierten nicht zuletzt auch Themen, Stars und Talente aus Europa und dann dem Rest der Welt). Hollywood produzierte letztlich auch Propaganda für den »American way of life«, und der er­öffnete sich meist nur weißen, heterosexuellen Männern. Alles andere war, was Martin Scorsese die »Schmuggelware« nannte: die zweite und dritte Ebene der Lesbarkeit, mehr Kunst und Bewusstsein in einem Film als von der Produktion gefordert.

Diversity wird nicht zu einem Programm Hollywoods für den einheimischen Markt, sondern ist Teil der Globalisierungsstrategie der Traumfabrik.

Eine lange Geschichte ließe sich schreiben, genauer gesagt zwei: eine Geschichte der offenen ikonographischen Kämpfe um die Diversität, mit verschiedenen Kapiteln der Akzeptanz und der Veränderung; und eine Geschichte der verdeckten Botschaften, und zwar in beide Richtungen: eine Geschichte der subversiven ­Rebellionen, der queeren, schwarzen und asiatischen »Infiltrationen« und eine des verdeckten Rassismus und des verdeckten Sexismus (oft genug gerade da, wo es an der Oberfläche so »gut gemeint« schien).

Die Entwicklung der Produktionskosten freilich änderte das Bild. Auch die in den USA beziehungsweise vorwiegend mit US-amerikanischem Kapital produzierte Filme müssen ihre Kosten und den Profit mittlerweile auf dem Weltmarkt einspielen. Während Hollywood also früher vor allem Filme für US-Amerikaner oder für Menschen produzierte, die die USA liebten, verhält es sich nun anders: Man muss Filme für ein Publikum produzieren, das andere Prio­ritäten verfolgt, andere kulturelle Traditionen pflegt, andere soziale Ordnungen hat. Das heißt auch, dass man an einem realistisch-propagandistischen Bild von irgendetwas gar nicht mehr sonderlich interessiert ist, sondern nur an der guten Verteilung von Identifikationsmöglichkeiten überall auf der Welt.

Und nun wiederholt sich in globalem Maßstab, was zu Beginn als Pro­blem der alltäglichen Diversity geschildert wurde: Die eine Diversity bricht sich an der anderen. Will man zum Beispiel Filme in bestimmte Weltregionen exportieren, muss man sie zugleich »ethnisch« öffnen und sexuell verschließen. Hollywood-Filme gehen also auf der einen Seite über die Offenheit der liberalen Gesellschaft hinaus und fallen auf der anderen hinter sie zurück. Auf eine umfassende, kosmopolitische und gendergerechte Diversity wird man daher nicht so schnell rechnen dürfen. Immer noch also wird man sich außer mit der jeweiligen Oberfläche und den Selbstdarstellungen der Traumfabrik (die Oscar-Verleihungen als Inszenierungen der Diversity mit zumindest teilweise appellativen Elementen) mit Subtexten und »Schmuggelwaren« beschäftigen müssen. Die fluide und opportunistische Markt-Diversity der Hollywood-Produktionen versucht, neben den globalisierten Bilderschleudern ­immer auch besonders lukrative Teilmärkte zu erreichen.

Das funktioniert keineswegs immer und überall gleich, wie jüngst das Beispiel »Mulan« zeigte. Die Realverfilmung von Disneys erfolgreichem Zeichentrickabenteuer richtet sich überdeutlich an zwei besondere Zielgruppen, nämlich an die der jungen weiblichen Kino- und Filmfans und an den chinesischen Markt, der auf bestem Weg ist, der wichtigste der Welt zu werden. Wenn nun aber zum Beispiel die Hauptdarstellerin Liu Yifei so eindeutig Propaganda für die chinesische Regierung macht, die wiederum der einstigen US-Demokratie, dem »American way of life« und den US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen widerspricht, und zugleich die Zensur sich an erotischen Konnotationen stört, kehrt sich der Effekt auch um. Diversity ist zugleich Markenzeichen und Risikofaktor.

Man hat gemeint, Hollywood im Besonderen und die Popindustrie im Allgemeinen seien »traditionell« eher liberal und demokratisch eingestellt, im Zweifelsfall sogar ein wenig links, wenngleich ebenso tra­ditionell mindestens ein Hollywood-Star die Rolle des durchgeknallten Rechtsaußen spielen muss. Die liberale Gesinnung der Traumfabrik hat aber einen ökonomischen Unterbau. Sie entspricht dem zahlungskräftigsten und meinungsstärksten Segment des Publikums, und wenn sich der Zeitgeist ändert, hat sich noch allemal auch die Filmproduktion in Hollywood danach gerichtet. Unter Reagan und den Bushs gab es immer auch ein dezidiert rechtes, militarisiertes und im Kern rassistisches Kino, manchmal explizit und programmatisch, etwa als man in der Reagan-Ära auch in Hollywood die Grenzen zwischen Entertainment und Propaganda fließend machte.

Dass es kein explizit »trumpistisches« Kino gibt (wohl aber, auch jenseits von Fernsehpredigern und Fox News, ein explizit trumpistisches Fernsehen), liegt nur zum Teil an der »traditionellen« Liberalität von Hollywood. Es liegt mindestens ebenso daran, dass ein trumpistisches Publikum nicht kinoaffin und nicht zahlreich genug ist, um eine aufwendigere Produktion zu rechtfertigen, wie es seinerzeit bei »Rambo II« und »Der stählerne Adler« der Fall war. Der letztgenannte Film und seine Fortsetzungen waren ­übrigens Teil einer militarisierten Diversity, die bis zu »Pearl Harbor« reicht: militärisches Heldentum als illusorische afroamerikanische Emanzipation. Trumpistisches, also antidiverses Kino, wäre auf dem Weltmarkt derzeit kaum zu verkaufen.

Darin steckt natürlich auch eine Chance. Durch die ökonomische Globalisierung gibt es auch einen kosmopolitischen Blick auf die Produk­tionen der Traumfabriken. Die Filme können gar nicht anders, als tief in ihrem Inneren die Widersprüche der Diversität zu diskutieren. Dabei ließe sich stets im Einzelfall fragen, ob sie sozial avantgardistisch, prophetisch, moderierend, retardierend, reak­tionär, affirmativ oder maskierend wirken.

Manche tun mehreres gleichzeitig. Disney hat nicht nur die Benetton-Diversity als fröhliches Konsumangebot beerbt, sondern verfolgt ein globales Projekt: die Diversity im Kapitalismus umzuformen in eine Kapitalisierung der Diversity. Das wiederum – der Kreis schließt sich – überwindet die sozialen Spannungen weniger, als sie vielmehr zu bestätigen. Auch in der Spielzeugherstellung, in der Kindermode und im Design wird das deutlich: Je höher man in der sozioökonomischen Hierarchie steigt, desto mehr Diversity kann man sich leisten. In einer kapitalistischen Welt kann Diversity nur in Form einer Ware verbreitet werden. Aber Traumwaren stecken manchmal auch voller Schmuggelelemente, Widersprüche und verborgener Hoffnungen. Und die Stimme von Beyoncé wird nicht nur von Besserverdienenden gehört.