Für und Wider von Synchronisation und Untertitelung

Glotzen ohne Verluste

Originalfassungen von Filmen sind was für Snobs. Synchronisationen brauchen nur faule Leute. Oder?

Den Witz retten

Endlich Feierabend. Ich freue mich auf einen entspannten Abend mit Rotwein, Chips und Serien, die mich in eine andere Welt befördern und unterhalten. Meine Wahl fällt auf »Die ­Nanny«, die US-amerikanische Sitcom aus den neunziger Jahren, in der Fran Drescher das laute, liebenswerte Kindermädchen Fran Fine spielt. Als Jugend­liche habe ich die Serie rauf und runter geschaut und immer das Gefühl gehabt, irgendwie dabei zu sein. Doch jetzt muss ich erschrocken feststellen, dass es »Die Nanny« auf sämtlichen mir zugänglichen Streaming-Portalen nur in der deutschen Synchronisation gibt. Zack, mein Abend ist gelaufen. Ich dachte, wir haben das Internet, damit wir uns nicht alles auf Deutsch anschauen müssen. Die Nanny prägte meine ­Liebe zu Serien: Fran Fine aus Flushing, Queens, New York heuert eher zufällig als Kindermädchen für die drei blonden Kinder eines wohlhabenden bri­tischen Broadway-Produzenten auf der Upper East Side an. Sie ist exzentrisch, witzig, laut und passt erst einmal so gar nicht in das schicke Setting. Aber um das alles mitzukriegen, brauchte ich das Original mit Untertiteln auf DVD. Den unmittelbaren Vergleich hatte ich damals, die Serie lief eine ganze Weile synchronisiert im Fern­sehen. Ich konnte also nachvollziehen, welche Witze kaputtgemacht wurden, wie veränderte Tonlagen zu anderen Bedeutungen führten, welche Effekte die unterschiedlichen Stimmen hatten. Hintergründige Referenzen wurden häufig durch platte Witze ersetzt und so dem hiesigen Publikum vorenthalten. Sprachlich entfiel mindestens eine wichtige kulturelle Ebene – das Jiddische. Tochter, Mutter und Großmutter Fine beziehungsweise Rosenberg verwenden jiddische Redewendungen. Für mich war das ein faszinierender Einblick in das jüdische Leben New Yorks, dessen Kern nicht die Religion war, sondern eine bestimmte Kultur. Diese Selbstverständlichkeit kannte ich von hier nicht – ich habe es geliebt.

Ganz ehrlich, welche Serien schauen wir für das visuelle Erlebnis?   

Einige gängige Argumente gegen das Synchronisieren von Filmen und ­Serien überzeugen nicht. Das gilt insbesondere für die Behauptung, in ­Ländern, in denen Filme in Originalsprache gesendet werden, verstünden und sprächen die Menschen besser Englisch. Diese Länder geben allerdings zufällig auch viel Geld für ihre Schulen aus, in denen junge Menschen im ­Unterricht, in Austauschprogrammen und durch Projekte sprachlich gefördert werden. Daran, dass sie den ganzen Tag Serien im Original mit Untertiteln gucken, liegt das gute Englisch vermutlich eher nicht. Das Interesse an der Sprache könnte es vielleicht trotzdem fördern. Nicht an Grammatik und ­Regeln, vielmehr an dem Ton, der Wirkung und daran, was in anderen ­Sprachen möglich ist, was das Deutsche nicht zu können scheint: witzig und lässig sein zum Beispiel. Wenn Synchronisation hingegen verteidigt wird, dann gerne mit dem Argument eines ansonsten verlorengehenden cineastischen Erlebnisses. Das Mitlesen von Untertiteln führe dazu, dass die Aufmerksamkeit für die Bilder verlorengehe und wir all die wichtigen Kniffe und Details verpassen, um die sich die Regie so bemüht habe. Aber ganz ehrlich, welche Serien schauen wir für das visuelle Erlebnis? Wo führt das Mitlesen dazu, dass wir wichtige Details im Bild verpassen, die uns um die Schönheit der Serie bringen? Und sind die Mono- und Dialoge in Serien nicht mindestens genauso wichtig und verlieren an Aussagekraft, wenn wir ihre Sprache ändern?

Am Ende ist es schön, den Luxus der Entscheidung zu haben, Sprachen und Untertitel ein- und ausschalten zu können, je nach Bedürfnis (und Sprachangebot). Ich bin dankbar dafür, nicht mehr auf eine deutsche Version all der Welten angewiesen zu sein, in die ich mich hineinbegeben möchte. An das Mitlesen habe ich mich längst gewöhnt, das passiert ganz nebenbei. Nur für die Nanny, da muss ich mir noch etwas überlegen. Doch synchronisiert schauen? Oy, gevalt!

Von Laura Reti

 

Barrieren überwinden

Selbstverständlich sollen Filme synchronisiert werden. Der Grund, ganz kurz gesagt, ist Inklusion. Ich muss dafür gar nicht meinen lieben und klugen Freund C. anführen, der als funktionaler Analphabet keine Untertitel lesen könnte, wegen seiner Lernbehinderung schweigen wir mal von Fremdsprachenkenntnissen. Nein, es genügt die Erinnerung, wie ich schon als Kind verschossen in Louis de Funès war. Das »Nein – doch – oh« ist einfach der Gipfel der Hochphase deutschsprachiger Synchronisationen, Türöffner zu einem cine­astischen Universum. Romy Schneider konnte ich (bis heute kaum in der Lage, in Paris einen Wein in Landessprache zu bestellen) später in ihren besten Rollen bewundern – mit dem großen Bonus, dass sie sich in vielen Filmen selbst synchronisierte. Sissi, my ass.

Was ist das für eine blöde Zwangspädagogik, noch im Konsum von Unterhaltungsmedien einen Lernauftrag integrieren zu wollen?

Dass untertitelte Filme dafür gut ­seien, Fremdsprachen zu lernen, ist Käse. Wegen des Plurals vor allem. Es geht doch letztlich immer nur ums Englische. Da jedoch haben mühevolle eigenhändige Übersetzungen des Œuvres von Depeche Mode bei mir mehr bewirkt als irgendwelche Hollywood-Schinken. Menschen sind Menschen, also warum sollte es sein, dass du und ich so furchtbar miteinander klarkommen? Catch my drift? Und selbst wenn, was ist das denn für eine blöde Zwangspädagogik, noch in den Konsum von Unterhaltungsmedien einen Lernauftrag integrieren zu wollen. Schon klar, mein Koreanisch könnte besser sein, aber ich finde es ganz okay, dass Jung Doo-hongs Actionkracher einfach nur so nebenbei, in mir verständliche Sprachen synchronisiert, durchgerauscht sind.

All dessen ungeachtet werden wir uns sicher schnell einig, dass schlechte Synchronisationen, die verzerrenden oder auch einfach billigen und lieb­losen, eine Schande sind. Miese Nachschlüssel zu nicht immer ganz so ­miesen Filmen und Serien. Aber deshalb die ganze Kunst zu verdammen – und eine gute Synchronisation ist große Kunst –, wäre ungefähr so, als wollte man Steinhäuser generell verbieten, weil es gelegentlich Schimmel in den Nassräumen gibt. Gewiss, in jeder Synchronisation geht etwas verloren, ­Authentizität, Atmosphäre und oft Humor. Der Gewinn an potentiellem ­Publikum jedoch wiegt diesen Verlust um ein Vielfaches auf. Und wie jede im weitesten Sinne künstlerische Betätigung lebt der Film nicht ausschließlich davon, dass er gemacht wird, er will eben gesehen werden.

Der vielleicht größte technische Entwicklungsschritt des Films, die Einführung der Tonspur ab 1927, war einerseits sein großes Glück, andererseits ein Fluch. Nicht ohne Grund wehrte sich Charlie Chaplin noch zehn Jahre, in ­seinen Filmen zu sprechen. Durch den Tonfilm sah er die universelle Filmsprache der Pantomime bedroht. Genau die hatte seinen Tramp zum Welterfolg gemacht. Überall verstanden, brauchte der keine Übersetzung. Auch wenn die Bildsprache von Filmen wie »Goldrausch« oder Buster Keatons »Sherlock, jr.« reichlich Patina angesetzt hat: Die Geschichten und Emotionen überwinden nicht nur jede sprachliche Barriere, sondern auch jene der Zeit. Nur ist genau diese eben nicht mehr die der universell zugänglichen Pan­tomime.

Von Ausnahmen wie »Mr. Bean« ­abgesehen, lebt zumindest der kommer­zielle Film seither ganz wesentlich ­davon, dass gesprochen wird und dass wir das Gesprochene verstehen können. Selbst Chaplins späteres Werk bedient sich virtuos des gesprochenen Wortes. Der Heiratsschwindler »Monsieur Verdoux« und der Hitler-Wiedergänger »Der große Diktator« verführen mit Sprache und werden durch sie überführt. Die in guter Dialogregie und von engagierten Schauspielern vor­getragenen Rollen machen diese Filme selbst in fremder Sprache viel lebendiger, als es Untertitel je könnten.

Wie man generell gegen Synchronisationen sein kann, ist mir ein Rätsel. Sollen die Snobs doch zu siebt in ihrem lokalen Programmkino versauern, während die anderen, ganz wie sie wollen, die Originalfassung, wahlweise mit Untertiteln, oder eben synchro­nisiert streamen. Wenigstens auf diese Auswahl können wir uns doch bestimmt verständigen. Nein? Doch!

Von Daniél Kretschmar