Die preisgekrönte Reportage: Der EU-Migrationspakt

Der Onkel mit dem Sturmtrupp

Der EU-Migrationspakt sieht den Einsatz von Abschiebepaten vor.
Kolumne Von

»Es war ein zähes Ringen, aber letztlich hat sich die Vernunft durchgesetzt«, sagt Martin St-Barbe. Der Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit in der Europäischen Kommission kann auf bewegte Tage zurückblicken. Der EU-Migrationspakt ist endlich ausformuliert – in einer Form, auf die sich alle in der Union einigen konnten.

»Uns war wichtig, alle in der EU ins Boot zu holen, egal ob Liberale, Konservative oder faschistische Diktatoren.« Herausgekommen ist eine Vereinbarung, mit der zweifellos nicht alle glücklich werden, wenn sie nicht Viktor Orbán heißen. »Umso wichtiger ist es, eine Sprache zu finden, in der man miteinander sprechen kann.«

St-Barbe war federführend bei der Entwicklung vieler prominenter Formulierungen in dem Papier. Wer ein rechtsstaatliches Asylverfahren bekommt und wer nicht, steht jetzt zum guten Teil im Ermessen der einzelnen Mitgliedsländer. »Das ist natürlich Selektion und Willkür, aber beide Begriffe klingen so belastet! Wir ­haben uns auf ›Vorüberprüfung‹ geeinigt.« Auch die beschleunigten Abschiebungen haben ein rhetorisches Makeover erhalten: »Wir reden jetzt nicht mehr von ›brutalen Folterknechten‹, sondern von ›Rückführungs­koordinatoren‹. Das erinnert ein bisschen an ›Reiseleitung‹, meint aber das Gleiche wie früher.«

Besonders stolz ist man auf die Erfindung der »Abschiebepaten«: »Das klingt nach dem netten Patenonkel, der zur Firmung eine Playstation schenkt. Nur dass es sich bei der Playstation um ein Dutzend Sturmtruppentypen handelt, die um fünf Uhr morgens schreiende Familien auseinanderreißen.« Glücklich ist St-Barbe mit dem Namen immer noch nicht ganz. »Es steht immer noch ›Abschiebung‹ drin. Aber es gibt nun mal Länder, die unbedingt abschieben wollen, egal wie sinnlos, gefährlich und teuer das inmitten einer Pandemie ist. Da müssen wir auf sich demokratisierende Länder wie Ungarn oder Deutschland Rücksicht nehmen.«

Abschiebepate kann werden, wer keine Flüchtlinge aufnehmen, sie aber trotzdem abschieben will. »Das nennen wir wiederum ›verpflichtende Solidarität‹: Alle Mitgliedsländer dürfen machen, was sie ohnehin vorhatten; wir stellen es aber als Ergebnis einer gemeinsamen Vereinbarung dar! Wenn das die Souveränität der EU nicht stärkt, dann weiß ich auch nicht weiter.«