Nach dem islamistischen ­Messerangriff in Dresden ist die Debatte über Konsequenzen entbrannt

Jihad in Dresden

Ein 20jähriger Islamist verletzte Anfang Oktober in Dresden zwei Menschen schwer, einer von ihnen starb später im Krankenhaus. Die Gefahr des Islamismus in Europa wird nun wieder einmal als Frage der Flüchtlingspolitik debattiert.

Anfang Oktober wurden abends in der Dresdner Altstadt zwei Touristen aus Nordrhein-Westfalen, beide Mitte 50, unvermittelt angegriffen und mit einem Küchenmesser schwer verletzt. Einer der beiden Männer, Thomas L. aus Krefeld, erlag kurz darauf im Krankenhaus seinen Verletzungen. Zwei Wochen lang tappten die Ermittler im Dunkeln, es gab nur wenige Zeugen der Attacke, auch der Überlebende konnte keine Hinweise auf den Täter geben.

Am Mittwoch vergangener Woche gab die Polizei bekannt, dass es sich offenbar um eine jihadistische Gewalttat handelte. Als Tatverdächtigen nahm sie einen polizeibekannten 20jährigen syrischen Islamisten fest, dessen DNA am Tatmesser gefunden worden war. Er war erst fünf Tage vor dem tödlichen Angriff aus einer Jugendstrafanstalt bei Leipzig entlassen worden, wo er unter anderem wegen islamistischer terroristischer Aktivitäten über drei Jahre eingesessen hatte. Einem Bericht des Spiegel zufolge prüfen die Ermittler, ob der Täter die beiden Männer aus religiös motiviertem Schwulenhass als Opfer ausgesucht hatte.

Nach der Dresdner Messerattacke sieht der Präsident des sächsischen Landeskriminalamts die Schuld nicht im Versagen seiner Behörde, sondern im geltenden Asylrecht.

Das Attentat offenbart nicht nur die anhaltende Bedrohung durch Jihadisten in Europa, sondern auch das Versagen der Behörden, dieser Gefahr wirksam zu begegnen. Der Tatverdächtige, Abdullah al-H., war 2015 nach Deutschland gekommen. Bereits seit August 2017 führten sächsische Sicherheitsbehörden ihn als Gefährder. Ende 2018 verurteilte ihn ein Gericht zu einer Jugendstrafe, da er für die jihadistische Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) geworben und im Internet nach Anleitungen für den Bau von Sprengstoffgürteln und Handbüchern für Selbstmordattentäter gesucht hatte. In einem Chat habe er sich selbst als »schlafende Zelle« bezeichnet. Er soll bereits konkrete Anschlagziele im Blick gehabt haben: das Festgelände an der Dresdner Marienbrücke sowie die »Filmnächte am Elbufer«, ein Freiluftkino-Festival mit Tausenden Besuchern.

Seine Jugendstrafe musste Abdullah al-H. bis zum Ende absitzen. Da es keine Anzeichen gab, dass er sich in der Haft vom Islamismus abgewandt hätte, stand er anschließend weiter unter Beobachtung. In den Tagen nach seiner Entlassung wurde er zeitweise observiert – so offenbar auch am Tag der Tat. Wie die Zeit berichtete, sollen ihn sowohl Beamte des LKA als auch des Landesamts für Verfassungsschutz beobachtet haben. Der Flüchtlingsstatus war al-H. bereits 2019 wegen seiner Vergehen aberkannt worden, wegen des Abschiebestopps nach Syrien besaß er aber eine Duldung.

Nach dem Mord in Frankreich an dem Geschichtslehrer Samuel Paty vor zwei Wochen und dem Bekanntwerden des Hintergrunds der Tat in Dresden wird wieder über die Gefahr islamistischer Gewalt debattiert. Politiker und Medien behandeln den Islamismus in Europa jedoch ein weiteres Mal vor allem als eine Frage der Flüchtlingspolitik, die – so die Schlussfolgerung – restriktiverer werden müsse. Der potentielle CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz fragte am Tag der Festnahme des Tatverdächtigen auf Twitter, warum der Syrer nicht in Sicherungsverwahrung genommen oder abgeschoben worden sei. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) forderte, unterstützt von mehreren CDU-Landesinnenministern, den generellen Abschiebestopp ins Bürgerkriegsland Syrien zu lockern. Auch der Präsident des sächsischen Landeskriminalamts, Petric Kleine, sieht die Schuld nicht im Versagen seiner Behörde, sondern im geltenden Asylrecht: »Die Tat wäre zu verhindern gewesen, wenn die Ausweisung aus Deutschland vollzogen worden wäre«, sagte Kleine vergangene Woche bei einer Pressekonferenz.

Die Forderungen lassen den Islamismus als ein der westlichen Welt äußerliches Phänomen erscheinen, das man zusammen mit den Trägern dieser Ideologie – die in dieser Debatte nur als Migranten erscheinen – einfach ausweisen könne. Dabei haben sich nach Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren mehr als 1 000 Islamisten aus Deutschland, davon über die Hälfte mit deutscher Staatsbürgerschaft, dem IS in Syrien und dem Irak angeschlossen. Der 18jährige, der Samuel Paty ermordet hat, stammte aus einer tschetschenischen Einwandererfamilie, hatte aber seit seinem sechsten Lebensjahr in Frankreich gelebt, wo er sozialisiert wurde und sich dem Islamismus zugewandt hatte.

Dass politisch und polizeilich Verantwortliche den Islamismus statt als globales politisches in erster Linie als ethnisch-kulturelles Phänomen wahrnehmen und zu bekämpfen versuchen, vergrößert die Bedrohung und lässt die Betroffenen des Terrors im Stich. Deutlich wird das derzeit im Umgang mit Tausenden europäischen IS-Mitgliedern, die in kurdischen Gefängnislagern festsitzen und für die deren Herkunftsstaaten keine Verantwortung übernehmen wollen. Die Forderung, potentielle islamistische Terroristen auszuweisen, die sich am Wochenende in der Welt am Sonntag auch der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, zu eigen machte, legt darüber hinaus die Schlussfolgerung nahe, dass diese in anderen Regionen der Welt ruhig ihre Anschläge verüben oder Menschen terrorisieren sollen – nur eben bitte nicht in Deutschland. Diese nationalistische Sichtweise zeigt sich auch nach dem Mordanschlag in Dresden. Die Sächsische Zeitung berichtete, dass Abdullah al-H. Ende 2017 – da saß er bereits als potentieller Attentäter in Untersuchungshaft – zu seiner Schwester in die Türkei ausreisen wollte. Die deutschen Behörden wollten ihm dabei helfen, sein Status als islamistischer Gefährder sollte den türkischen Behörden jedoch erst nach seiner Ausreise mitgeteilt werden. Der Plan scheiterte letztlich an fehlenden Unterlagen für ein Visum.

Auch in der politischen Linken wird seit der tödlichen Attacke in Dresden wieder vermehrt über die islamistische Gefahr diskutiert. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hatte ihr »unangenehm auffälliges Schweigen« vorgeworfen, der Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo kritisierte die »fehlende Bereitschaft allzu vieler deutscher Linker, Islamismus als die faschistoide Bedrohung der liberalen Demokratie zu betrachten, die er ist«. Diese Kritik trifft durchaus zu, auch wenn bereits seit Anfang der nuller Jahre antifaschistische Gruppen Kritik am Islamismus formulieren. Vor allem aber gibt es viele (post)migrantische Stimmen, die den Islamismus ebenso wie die oftmals fehlende linke Auseinandersetzung damit schon lange thematisieren.

Die Autorin Ronya Othmann hatte erst im August dieses Jahres in der Taz betont: »Der Kampf gegen den Islamismus ist Teil des antifaschistischen Kampfes.« Ungeachtet dessen führen Rechte die innerlinke Kritik nun als Beweis dafür an, dass die Linke – weil sie eine rassistische Deutung des Phänomens ablehnt – den Islamismus verharmlose, wenn nicht gar unterstütze. Wenn nun der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Dietmar Bartsch, im Spiegel von der Linken fordert, die »falsche Scham« abzulegen, ist zu befürchten, dass dies bloß in die Unterstützung repressiver Flüchtlingspolitik mündet.

Aber der Islamismus gehört zu Deutschland. Diese Erkenntnis ist nicht affirmativ zu verstehen, sondern die Voraussetzung, jene letztendlich extrem rechte Ideologie auch hier wirksam bekämpfen zu können, die in ihrem Antiuniversalismus mit dem völkischen Milieu in Deutschland mehr gemeinsam hat, als selbsternannte »Abendlandsverteidiger« wahrhaben wollen.