Die indonesische Regierung beschneidet die Arbeitnehmerrechte

Im Eilverfahren

Gegen Massenproteste und Streiks hat die indonesische Regierung umfangreiche Gesetzesänderungen durchgesetzt, die die Rechte der Lohnabhängigen beschneiden und den Umweltschutz erschweren.

Seit mehr als drei Wochen protestieren Studierende und Gewerkschafter in der indonesischen Hauptstadt Jakarta und anderen Großstädten des Landes gegen im Eilverfahren durch das Parlament gebrachte umfangreiche Gesetzesänderungen das am 5. Oktober im Parlament verabschiedet wurde. Mehr als 400 Demonstranten wurden kurzfristig festgenommen, nachdem es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war. Die NGO Kontras erhielt rund 1 500 Beschwerden über Polizeibrutalität.

Anlass der anhaltenden Straßenproteste und Streiks ist ein fast 1 200 Seiten langes regressives Gesetzespaket, bestehend aus 79 Einzelgesetzesände­rungen. Als Ziel nennt die Regierung die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Prä­sident Joko Widodo vor seiner Wiederwahl 2019 versprochen hatte. Dies soll durch den Abbau von »bürokratischen Hürden« und Arbeitnehmerrechten erreicht werden. Die Gesetzesänderungen kommen vor allem ausländischen Investoren entgegen, die nach den Vorstellungen der Regierung die von der Covid-19-Pandemie schwer gebeutelte indonesische Wirtschaft mittels Groß­investitionen fördern sollen.

Allerdings befürchten Kritiker, dass diese Änderungen kaum neue Arbeitsplätze schaffen werden. Stattdessen, so Paramita Supamijoto, Dozentin für internationale Beziehungen an der Bina-Nusantara-Universität in Jakarta, dienten sie dazu, die Macht der Gewerkschaften zu beseitigen. Auch der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) kritisiert die Beschlüsse, da Lohnsenkungen zu erwarten seien und der Kündigungsschutz aufgeweicht werde. Die IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow bemängelt vor allem, dass »die Regierung versucht, das Leben der Menschen weiter zu destabilisieren und ihre Lebensgrundlage zu ruinieren, damit ausländische Unternehmen aus dem Land Reichtum ziehen können«.

Selbst konservative muslimische Massenorganisationen wie Nahdlatul Ulama halten sich mit Kritik nicht zurück. In ungewohnter Manier ließ deren Vorsitzender Said Aqil Siradj verlautbaren, dass von diesem Gesetzespaket »nur Konglomerate, Kapitalisten und Investoren profitieren werden, während die Interessen der Arbeiter, Bauern und kleinen Leute unterdrückt und mit Füßen getreten« würden. Sogar 35 internationale Investmentfirmen wandten sich an den indonesischen Präsidenten, um ihre Bedenken hinsichtlich der Schwächung des Umweltschutzes anzumelden. Unter anderem wurden Regelungen beseitigt, die dem Schutz der indonesischen Tropenwälder dienen.

Die Regierung hat alles getan, um die neuen Regelungen schnell durchzusetzen. Eine Konsultation mit Interessenvertretungen etwa von Arbeitnehmern war nicht vorgesehen, sie wurden sowohl von der Erstellung der Gesetzesvorlage als auch von den Beratungen ausgeschlossen. Das hat im Gesetzgebungsverfahren viel Zeit gespart, allerdings verstößt diese Intransparenz gegen die Verpflichtung, die Beteiligung der Öffentlichkeit zu fördern. Die finale Version wurde zunächst nicht veröffentlicht, während sie auf dem Schreibtisch des Präsidenten dessen Unterschrift erwartete. Auch ohne diese wäre das Gesetz gemäß Artikel 20 (5) der Verfassung 30 Tage nach der Parlamentsentscheidung in Kraft getreten. Widodo unterschrieb am Montag, der Gesetzestext lässt sich nun im Internet einsehen. Zwei Gewerkschaften haben beim Verfassungsgericht Klage erhoben.

Im Konflikt um die Gesetzesoligarchische Dynastien und das Wiedererstarken des Militärs, dessen »Neue Ordnung« 1998 durch ein Mehrparteiensystem ersetzt wurde. grundlegende Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit immer stärker eingeschränkt werden. Selbst die Nationale Menschenrechtskommission Indonesiens (Komnas HAM), die sich gewöhnlich eher ­zurückhält, hat der Regierung Widodos bescheinigt, dass die Gewährleistung der Meinungsfreiheit unzureichend sei.

Das Verleumdungsgesetz etwa dient zur Verfolgung von Antikorruptions­aktivisten, das Gesetz zur Cybersicherheit ermöglicht scharfe Überwachungsmaßnahmen. Illiberale Bewegungen und eine regressive Identitätspolitik machen vor allem religiösen, ethnischen und anderen Minderheiten das Leben schwer. Militante »Bürgerwehren« und erzkonservative Moralapostel tun sich im Kampf gegen Freiheit und Diversität mit opportunistischen Populisten zusammen. Viele Hoffnungen ruhen daher auf der jungen Generation und den Studierenden. Sie könnten ­erneut maßgeblich zu einer Bewegung wie jener beitragen, die einst die »Neue Ordnung« stürzte und grundlegende Reformen ermöglichte.