Homestory #46

Was war die passende Musik zum Wahlspektakel in den USA? Ray Charles’ »Georgia on My Mind« schien zeitweise passend. Auch Nevada hätte eine wahlentscheidende Bedeutung zukommen können. In weiten Gebieten dieses Bundesstaats ist so wenig los, dass man früher dort Atombomben getestet hat. Aber es gibt in Nevada auch eine Stadt, wo man zumindest in den Casinos niemals schläft. Also vielleicht »Viva Las Vegas«? Und eher von den Dead Kennedys als von Elvis Presley? Immerhin kann eine Textzeile als Motto für die nicht enden wollende Stimmenauszählung gelten: »All you need’s a strong heart and a nerve of steel.« Den Ausschlag gab dann Pennsylvania, aber das können Sie auf den folgenden Seiten genauer nachlesen, und in puncto Musik ist dieser Bundesstaat nicht so ergiebig.

Auch wir haben das Rennen natürlich verfolgt. Manch einer konnte in der Wahlnacht erst halbwegs beruhigt zu Bett gehen, als Joe Biden einen Vorsprung bei den Stimmen für das electoral college hatte – das war so gegen 3.15 Uhr –, um am nächsten Morgen von ungünstigen Prognosen verschreckt zu werden. Die Telefonkonferenz am Mittwochvormittag hat aber niemand verschlafen. Es ging dann ja noch eine Weile weiter. »Bis ich das Telefon aus der Hand legen konnte, hat es ein paar Tage gedauert«, bekennt eine Redakteurin. Eine Layouterin fühlte sich zu künstlerischem Schaffen inspiriert. Solche Tage der Spannung haben ja auch Vorzüge. So wenig hat man lange nicht mehr an Covid-19 gedacht. Wenn auch nur dafür: Danke, Donald! Oder gebührt der Dank doch eher CNN? Es herrscht weitgehend Einigkeit, dass dieser Sender mit seiner magic wall, die mit den wohl besten Daten gefüttert wurde und zutreffende Voraussagen ermöglichte, in der Berichterstattung die Nase vorn hatte. Immer wieder war es zudem amüsant zu beobachten, wie professionell die CNN-Journalisten ihre Sympathien überspielten, wenn etwa auf ein begeistertes »And this is good news … « nach zwei Sekunden die Einschränkung » … for the Biden camp« folgte.

Als die Entscheidung dann endlich gefallen war, holte uns die Pandemie schnell wieder ein. »Samstagabend erst mal zwei Flaschen Weißwein mit der Nachbarin geleert«, war schon die wildeste Party. Nachdem die USA mit der trotz einiger Längen spannungsreichen Inszenierung des an sich ja ausgesprochen öden Vorgangs einer Stimmenauszählung bewiesen haben, dass sie zumindest in Sachen Entertainment noch weltweit führend sind, kehrt der düstere Alltag ins Bewusstsein zurück: Jihadisten, sächsische Polizisten, sogenannte Querdenker und anderes Unerfreuliches mehr. Aber im Jahr 2020 muss man ja schon froh sein, wenn es überhaupt mal einen Grund gibt, erleichtert zu sein.