Die Erbin von Donna Summer: Jessie Ware

Vergangenheit als Zukunft

Auf ihrem neuen Album »What’s Your Pleasure?« knüpft Jessie Ware da an, wo Donna Summer einst aufhörte.

Ein Album über die Vergangenheit wies 1977 den Weg in die Zukunft der Tanzmusik. Auf »I Remember Yesterday« verband Donna Summer zusammen mit den Produzenten Giorgio Moroder und Pete Bellotte den populären Sound der Gegenwart, nämlich Disco, mit Klängen vergangener Popmusik wie denen der show tunes eines George Gershwin oder Cole Porter in der Zeit vor dem Rock ’n’ Roll oder dem Motown der Girl Groups der sechziger Jahre. Der abschließende Song des Albums, der auch als Single ausgekoppelt wurde, hatte jedoch einen besonderen Dreh: Das mit Ausnahme von Summers Gesang und der Bassdrum komplett elektronisch produzierte »I Feel Love« sollte mit der Vergangenheit abschließen und in die Zukunft weisen – was gelang, weil der Track die Entwicklung der Tanzmusik ­entscheidend beeinflussen sollte.

Das bereits Ende Juni erschienene neue Album der britischen Sängerin Jessie Ware hat diesen Ursprüngen viel zu verdanken. »What’s Your Pleasure?« gleicht einem berauschten Ritt durch das Nachtleben: Elek­tronische Disco-Grooves ziehen sich durch die komplette Platte und die Tracks gehen nahtlos ineinander über – wie auf Summers Alben auch –, weil es keine Pausen braucht, wenn es einem gutgeht. Schon der Albumtitel stellt die entscheidende Frage: Was weckt die Lebenslust? Es ist die Frage, die auch der Türsteher des ebenso fiktiven wie idealen Clubs stellt, den Ware mit ihrer Musik vor dem geistigen Auge entstehen lässt; darum geht es und nicht darum, Leute kritisch zu mustern oder eine elitäre Türpolitik durchzusetzen. Klar, Türsteher können in der Clubszene eine wichtige Funktion einnehmen, deren Grundgedanke sich bis in die siebziger Jahre zurück­verfolgen lässt, als Schwarze und Schwule die Disco-Szene, die sich stets Anfeindungen anderer Subkulturen ausgesetzt sah, als einen safe haven entdeckten. Und irgendjemand muss die Störenfriede ja davon abhalten, die Sicherheit in dieser Oase zu bedrohen. Ware aber möchte zu einer Nacht einladen, in der es des Schutzes gar nicht erst bedarf.

Die Freiheit, die Disco einforderte, war eine individuelle – auch »What’s Your Pleasure?« macht daraus keinen Hehl. Doch im Kontext des derzeitigen Pop ist Wares Ansatz bemerkenswert. In den vergangenen fünf Jahren gab es einen Wandel hin zu vermeintlich persönlicherem Songwriting, das Zugeständnisse an klassische Rock-Ideale macht: Musik soll persönliche Gefühle authentisch ausdrücken. »What’s Your Pleasure?« hingegen zeigt das Individuum in seiner sexuellen Intimität, die das Album zelebriert. Persönliches wird nicht über die Persona der Künstlerin kommuniziert, sondern über die Zwischenmenschlichkeit, die auf der Tanzfläche entsteht.

Wie Donna Summer 1977 blickt auch Jessie Ware zurück. Doch die Vergangenheit, die aufblitzt, ist gleichzeitig die Zukunft des Genres, dessen Erbe sie fortführt. Disco ist der große gemeinsame Nenner, doch Electropop, House und Techno spielen ebenso eine Rolle wie die bereits in Disco eingegangenen Genres Soul und Funk. In Verbindung mit James Fords moderner Produktion erinnert dieses dekadenübergreifende Potpourri aus Spielarten populärer Tanzmusik nicht selten an das Spätwerk der Pet Shop Boys (allerdings mit weniger Soul- und Funk-Anleihen). Mit denen hat Ware neben ihrer Vorliebe für Clubs und ihre Szenen noch etwas gemeinsam: den Anspruch, Popmusik zu machen, die sich nicht bei der Rockkultur anbiedern muss, um Geltung zu erlangen, und die, anders als diese, Authentizität nicht zum Fetisch erhebt. Schon zu Zeiten Donna Summers war der Eskapismus von Disco als oberflächlich verschrien. Doch das menschliche Verlangen nach Selbstverwirklichung wirkt unter dem Schutz dieser Oberfläche. Und es ist lange her, dass sie dabei so elegant geglitzert hat.

Jessie Ware: What’s Your Pleasure? (PMR/ Friends Keep Secrets/Interscope/Virgin EMI)