Friedrich Engels’ »Dialektik der Natur« liest sich sehr aktuell

Die Rache der Natur

Friedrich Engels, der dieses Jahr 200 Jahre alt geworden wäre, hinterließ in seiner »Dialektik der Natur« Anregungen für die gegenwärtige Klima- und Umweltpolitik.
Kommentar Von

Man solle sich nicht zu viel auf die menschlichen Fähigkeiten zur Naturbeherrschung einbilden, schrieb – bis heute überraschend ­aktuell – Friedrich Engels schon in seiner unvollendeten »Dialektik der Natur«, die erst 1925 zum ersten Mal in der heute bekannten Fassung erschien. Zu lang sei die Liste der unerwünschten Nebenwirkungen. Verödete Landschaften, Dürren und Überschwemmungen waren bereits vor 150 Jahren nur die bekanntesten Fälle. Wichtiger waren Engels seinerzeit die sozialen Folgen der Naturbeherrschung. Auch die gefängnisgleiche Disziplin der Fabrik, die Sklaverei und den Alkoholismus sah er allesamt auch als »Rache der Natur«.

In dieser Redewendung erscheint die Natur fast wie eine zornige Gottheit, die die Menschheit straft. Es klingt, als bediene sich Engels der autoritären Geste, sich zum Propheten einer übermenschlichen Macht aufzuspielen. Dies vermutet man schließlich auch gern bei jenen, die heutzutage angesichts schmelzender Polkappen vor der bevorstehenden Katastrophe warnen. Die bildhafte Darstellung einer in Flammen aufgehenden oder unter Fluten versinkenden Welt erinnert tatsächlich an die apokalyptischen Weissagungen biblischer Propheten, die die Menschen mahnten, ihr falsches Tun zu lassen oder andernfalls dem göttlichen Zorn anheimzufallen.

So oder ähnlich wurde auch Greta Thunbergs berühmte »How dare you?«-Rede vom Oktober 2019 beim Klimagipfel der Vereinten Nationen gelegentlich interpretiert. Rechte Kritiker (in der Regel Männer) verspotteten sie regelmäßig als apokalyptische »Prophetin«. Sie unterschlugen, dass die junge Klimaaktivistin ebenso wenig wie der Philosoph und Textilunternehmer Engels je für eine übermenschliche Macht (die Natur) sprach, sondern für ihre eigene Generation, also für Menschen. Wenn man unbedingt die Analogie zu ­einer politischen Theologie ziehen möchte und die Natur als Gottheit verstehen will, dann handelt es sich bei Thunberg und Engels um Anwälte einer rein diesseitigen Sache.

»Listen to the scientists«, sagte Thunberg den Staatsoberhäuptern. Ganz ähnlich vertraute schon Engels nicht auf die Macht der Natur, sondern glaubte, dass die Naturwissenschaften es den Menschen ermöglichen, die zerstörerischen Nebenwirkungen der Naturbeherrschung auf stofflicher Ebene vorauszusehen und sie zu vermeiden. Und auch den sozialen Nebenwirkungen könne nur durch ­rationale Sozialwissenschaften begegnet werden. Um deren Erkenntnisse tatsächlich berücksichtigen zu können, bedürfe es aber einer Umwälzung der bisherigen Produktionsweise und der gesamten gesellschaftlichen Ordnung. Für Engels verband sich mit der Rede von der »Rache der Natur« kein back to nature.

Engels plädierte also nicht für ein Zurück, sondern für ein Vorwärts, und er vertraute dabei auf die Macht und Autorität der Wissenschaft. Rückblickend wirkt dieses Vertrauen etwas voreilig. Denn ganz so brillant lief die Sache mit der Wissenschaft und dem Sozialismus bekanntlich nicht, denn es misslang ihnen, die »Rache der Natur« abzuwenden. Das aber weiter zu versuchen und anzustreben, daran wäre unbedingt festzuhalten.