Die sächsische CDU hat im ­Umgang mit »Querdenken«-Demonstration in Leipzig politisch versagt

Nie wieder Sachsen

Nach­dem im Zuge der »Querdenken«-Demonstration Anfang November Hunderte Neonazis durch die Leipzi­ger Innenstadt gezogen waren, fahnden die sächsischen Sicherheitsbehörden nun nach Linken.
Der nahe Osten – eine Kolumne über die sächsischen Verhältnisse Von

»Die Extremisten werden entschlossen bekämpft«, verkündete der Präsident des sächsischen Landtags, Matthias Rößler (CDU), am Mittwoch vergangener Woche auf Twitter. Am Wochenende zuvor hatten Zehntausende Coronaleugner, Reichsbürger und Verschwörungsgläubige unter Missachtung sämtlicher Pandemievorschriften und Auflagen in Leipzig demonstriert und für einen Tag die Innenstadt übernommen (Frieden, Freiheit, Faschismus - Jungle World 46/2020). Hunderte Nazis und rechte Hooligans griffen die Polizei an und machten so dem »Querdenken«-Mob den Weg über den Leipziger Innenstadtring frei, der als Demonstrationsroute ausdrücklich untersagt war, da die Coronaschutzverordnung des Landes nur stationäre Kundgebungen erlaubt. Der Grund für Rößlers Empörung waren aber nicht die Ausschreitungen in Sachsens größer Stadt, sondern ein Graffito: Unbekannte hatten an die Mauer des sächsischen Landtags »Nie wieder Sachsen« und »161«, das Zahlenkürzel für »Antifa«, gesprüht.

Damit gesellte sich Rößler zum sächsischen Innenminister Roland Wöller (CDU), der bereits am Tag nach den Ausschreitungen von ­einem »weitgehend friedlichen Verlauf« gesprochen hatte; Gewalt habe es nur später am Abend im Stadtteil Connewitz gegeben. Kurz darauf schaltete sich die Sonderkommission Linksextremismus (Soko LinX) ein, mittlerweile hat sie mehrere Zeugenaufrufe wegen vermeintlich linker Gewalt veröffentlicht. Zu den zahlreich dokumentierten Straftaten von Teilnehmenden der »Querdenken«-Demonstration gab es bislang keine Erklärung des Landeskriminalamts (LKA), auch die Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) äußerte sich bisher nicht.

Dabei hatten sich die anwesenden Nazis alle Mühe gegeben, auch als solche erkennbar zu sein: Die NPD nutzte das Chaos, eine kleine Demonstration auf dem Innenstadtring durchzuführen, Hooligans randalierten in T-Shirts der verbotenen Gruppierung »Blood & Honour«-, auch eine Fahne der internationalen rechtsterroristischen Orga­nisation »Misanthropic Division« wurde präsentiert. Eine ­Woche, nachdem dieses Milieu die Innenstadt von Leipzig für einen Abend unter seine Kontrolle gebracht hatte, fahndet das LKA lieber nach denen, die versuchten, das zu verhindern.

Ähnlich absurd gestaltet sich die Aufarbeitung der aus dem Ruder gelaufenen »Querdenken«-Demonstration auf landespolitischer Ebene. Innenminister Wöller hat zwar mittlerweile eingestanden, der Tag sei nicht perfekt verlaufen und es seien wohl auch ein paar Rechtsradikale an Ort und Stelle gewesen. Er sieht aber weiterhin keinerlei Fehlverhalten bei seiner Polizei oder gar bei sich selbst. Stattdessen schiebt er nun die Schuld dem Oberverwaltungsgericht Bautzen zu, das die Versammlung im Zentrum erlaubt hatte, sowie der Stadt Leipzig. Diese hätte die Versammlung viel früher auflösen müssen. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) reagierte empört: »Pfui, Herr Wöller. Das sagen Sie, nachdem Sie live im Lagezentrum zugeschaut haben, wie Hooligans, Nazis u. a. Polizeikräfte überrennen«, schrieb er auf Facebook.

Ähnlich stellt sich die Debatte im sächsischen Landtag dar. Als sich Wöller im Anschluss an eine sechsstündige Ausschusssitzung weiterhin kritikresistent zeigte und die Stadt Leipzig für das Desaster verantwortlich machte, sagte der SPD-Abgeordnete Albrecht Pallas, er sei »fassungslos« über diese Aussagen des Innenministers und frage sich, ob dieser in derselben Sitzung gewesen sei wie er. Valentin Lippmann, Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, sprach von einer »schweren Vertrauenskrise«. Dabei stellt sich die Frage, wo dieses Vertrauen des Koalitionspartners, das sich nun in einer Krise befinden soll, überhaupt herrühren soll. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass der CDU-Innenminister seine Unfähigkeit demonstriert. Bereits bei den rechten Ausschreitungen in Chemnitz im Sommer 2018, bei denen es zu gewaltsamen Angriffen gegen Journalisten und Gegendemonstranten kam, hatte Wöller als politisch Verantwortlicher grandios versagt. In seine Verantwortung fällt auch das »Fahrradgate« von 2019, als bekannt wurde, dass ein Ring aus sächsischen Polizisten und Polizistinnen illegal über 1 000 geklaute Fahrräder weiterverkauft hatte. Anfang Oktober dieses Jahres konnte in der Landeshauptstadt Dresden ein islamistischer Attentäter einen Mann ermorden, obwohl er unter intensiver Beobachtung der Sicherheitsbehörden stand.

Und nun die temporäre Machtübernahme auf der Straße in Leipzig durch Verschwörungsfreaks und Neonazis. Der Innenminister ist ­offensichtlich nicht in der Lage, für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger seines Freistaates zu sorgen. Sollte Wöller zurücktreten, dann vermutlich deswegen, weil er selbst Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zu peinlich geworden ist. Die Spitzen von SPD und Grünen scheinen trotz zahlreicher Rücktrittsforderungen gegen Wöller auch aus den eigenen Reihen nicht willens zu sein, die schwarz-grün-rote Koali­tion in Frage zu stellen.

Während sich in der sächsischen Landespolitik die Aufarbeitung zu einer politischen Seifenoper entwickelt und ein offener Streit zwischen dem linksliberalen Leipzig und der rechtsautoritären CDU-Landesführung ausgebrochen ist, haben die »Querdenker« für kommenden Samstag bereits die nächste »bundesweite Demonstration« in Leipzig angekündigt. Ob die Verantwortlichen in Sachsen diese nun als die Gefahr für die Demokratie ansehen werden, die sie darstellt, ist fraglich. Über die »antidemokratische« Haltung der Linken, die den Landtag besprühten, weiß man hingegen Bescheid: »Sie sind gegen Sachsen und gegen Deutschland«, sagte Landtagspräsident Rößler. Angesichts der Zustände in Deutschland im All­gemeinen und in Sachsen im Besonderen scheint dies die einzig vertretbare Haltung zu sein.