Die Hintergründe der Proteste in Thailand

Im Zeichen der Gummiente

Thailands neue Demokratiebewegung unterscheidet sich von früheren durch ihren transnationalen Charakter.

Am 17. November lehnte Thailands Parlament die Vorschläge der Protestbewegung zur Reform der vom Militärregime diktierten Verfassung von 2017 ab. Diese beinhaltet unter anderem einen nichtgewählten und von der Junta bestimmten Senat und die Möglichkeit, gewählte Parteien nach einer Gesinnungsprüfung zu verbieten. Zudem gaben später von König Maha Vajiralongkorn veranlasste Verfassungsänderungen diesem mehr Macht und überschrieben ihm das Milliardenvermögen des bisher öffentlich kontrollierten Crown Property Bureau, das für die Vermögensverwaltung der thailändischen Krone verantwortlich ist. Eine grundlegende Verfassungsreform ist eine zentrale Forderung der derzeitigen Demokratiebewegung (Protestieren und Tee trinken).

Vor dem Parlament demonstrierten Zehntausende vorwiegend junge Menschen. Um die Proteste aufzulösen, setzte die Polizei Wasserwerfer ein, die mit Farbe und Reizchemikalien angereichertes Wasser verwendeten. Die Farbe diente dazu, Demonstrierende nach dem Einsatz zu identifizieren. Mindestens 55 Menschen wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt, sechs wiesen nach Angaben einer Bangkoker Klinik Schusswunden auf.

Das Vorgehen der Polizei radikalisierte die Proteste nur. In der folgenden Nacht übergossen Protestierende das bombastische Tor des Polizeihauptquartiers in Bangkok mit Farbe. Die Protestbewegung wappnete sich nun besser: Die Beteiligten trugen Helme und nutzen Regenschirme, um sich gegen die Wasserwerfer zu schützen. Sie organisierten Sanitätseinheiten und versorgten sich mit Wasser oder Milch, um die Wirkung des Tränengases zu mindern. Sie schleuderten Tränengaspatronen zurück auf die Polizei oder bewarfen diese mit Tüten voller Farbe.

Die jungen Thais kopierten Protestformen und -symbole aus Hongkong. Das jüngste Beispiel ist die gelbe Gummiente, die in wenigen Tagen größte Prominenz auf den Straßen und in den sozialen Medien erlangte. Nachdem der holländische Künstler Florentijn Hofman eine Skulptur einer riesigen gelben Gummiente im Hafen Hongkongs installiert hatte, montierte ein User von Weibo, einer chinesischen Internetplattform mit mehr als 40 Millionen Benutzern, Bilder der Skulptur in das berühmteste Bild der Tiananmen-Proteste von 1989. Auf diesem stellt sich ein einsamer Mann drei Panzern des chinesischen Militärs in den Weg – statt der Panzer sieht man auf dem neuen Bild drei gelbe Badeenten.

Die Montage verbreitete sich rasch in den sozialen Medien, bis Weibo jeglichen Verweis auf eine »große gelbe Ente« auf seinen Seiten verbot. In Hongkong bewarfen daraufhin Demonstrierende die Polizei regelmäßig mit kleinen Gummienten, um sie als Handlager der chinesischen Staatsmacht zu kennzeichnen. In Thailand kamen vorige Woche deutlich größere aufblasbare gelbe Riesengummienten zum Einsatz. Die Protestierenden schützten sich damit vor Wasserwerfern und Polizeieinheiten (siehe Milchtee mit Nachgeschmack).

Die Proteste trägt eine Generation, die sich in den sozialen Medien zu Hause fühlt. Anders als frühere Protestbewegungen bezieht sich diese nicht auf eine Vorstellung von Thainess, ihre Symbole sind transnational. Die Politisierung der Jugend resultiert aus den Spannungen in der thailändischen Gesellschaft, die sich in den vergangenen 15 Jahren verschärft haben. Seit 2005 gab es eine ganze Serie von Protesten gegen ein System von Missständen im Land: Das Militär schützt die Interessen einer kleinen, reichen Oberschicht, Monarchie und Justiz sind keine neutralen Institutionen, die Presse ist nicht unabhängig, es herrscht enorme soziale Ungleichheit, der Staatsapparat ist zutiefst undemokratisch und vieles mehr.

Die jungen Menschen erhalten ihre politische Bildung Tag für Tag auf der Straße. Aber eine Lektion steht noch aus: Eine Bewegung, die nur auf der Straße stattfindet, kann auch auf der Straße niedergeschlagen werden. So erging es etwa der sogenannten Rothemdenbewegung gegen die vom thailändischen Militär eingesetzte Regierung 2010 in Bangkok. Das ist auch die Lektion, die die chinesische Staats- und Parteiführung 1989 am Pekinger Tiananmen-Platz blutig erteilte – was sich in Hongkong zu wiederholen droht. Dort zogen viele Beteiligte die Schlussfolgerung, sich in den Betrieben zu organisieren. Im Januar berichtete die Nachrichtenagentur Reuters von mehr als 40 neu gegründeten, unabhängigen und prodemokratischen Gewerkschaften. Viele davon entstanden 2019, während in Hongkong die Proteste anschwollen.