Frankreichs Regierung will Journalisten in ihrer Arbeit einschränken

Mehr Sicherheit für die Polizei

Ein von der Regierung geplantes »Gesetz zur umfassenden Sicherheit« sorgt für Proteste in Frankreich. Es könnte Journalisten in ihrer Arbeit einschränken.

Gibt es in Frankreich so viele Journalisten? Aurore Bergé befürchtet, dass Franzosen allzu häufig dieser Berufsgruppe zugerechnet werden. Am Montag sagte die Parlamentsabgeordnete von La république en marche (LREM), der wirtschaftsliberalen Regierungspartei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem Wochenmagazin L’Express: »Nicht jeder Franzose kann sich als Journalist bezeichnen.« Damit äußerte Bergé nicht etwa den Wunsch nach besseren Bedingungen für ausgebildete Journalisten, sondern tat vielmehr den politischen Willen kund, nicht zu vielen Menschen einen eventuellen Schutz vor Strafverfolgung zu gewähren.

Anlass für Bergés Äußerung war der Entwurf für ein »Gesetz zur umfassenden Sicherheit« (Loi de sécurité globale), der sich in Frankreich derzeit in der parlamentarischen Debatte befindet. Am Montag nahm die EU-Kommission Stellung zu dem Entwurf. Journalisten müssten »frei und in Sicherheit« arbeiten können, sagte Christian Wigand, ein Sprecher der Kommission, am Montagmittag der Nachrichtenagentur AFP.

Anfang dieser Woche räumte die Polizei in Paris ein von Migranten errichtetes Camp. Journalisten berichteten, Polizisten hätten sie angegriffen.

Am Vormittag desselben Tags hatte Marlène Schiappa (LREM), Staatssekretärin im Innenministerium und gewissermaßen eine repressiv gewendete einstige Vorzeigelinksliberale, auf dem privaten Fernsehsender BFM TV im Gespräch mit dem prominenten Radio- und Fernsehjournalisten Jean-Jacques Bourdin gesagt, es werde Ermittlungen und gegebenenfalls Strafverfahren gegen Journalisten geben, falls diese unerwünschte Aufnahmen der Polizei zeigten: »Jeder kann auf der Grundlage der Gesetze Anzeige erstatten, die Richter entscheiden dann.« Bourdin hatte zuvor explizit gefragt, was passiere, wenn Aufnahmen veröffentlicht würden, »die ein Fehlverhalten eines Polizisten zeigen«.

Es geht um die Möglichkeit, Handlungen und eventuell auch Übergriffe oder Gewalttaten von Ordnungskräften filmisch oder fotografisch zu dokumentieren. Werden Aufnahmen veröffentlicht, auf denen einzelne Polizisten anhand ihres Gesichts oder anderer Merkmale identifizierbar sind, droht nach Artikel 24 des Gesetzentwurfs eine Geldstrafe oder bis zu ein Jahr Haft – sofern mit der Veröffentlichung beabsichtigt wird, einzelne Staatsbedienstete einer Bedrohung auszusetzen.

Zur Rechtfertigung führte Innenminister Gérald Darmanin (LREM) vergangene Woche im Parlament ein Extrembeispiel an: Im Juni 2016 sei in Magnanville in der Nähe von Versailles ein Polizistenpaar ermordet worden, weil der Täter es erkannt habe. Diesem jihadistischen Doppelmord war jedoch keinerlei Medienveröffentlichung über die beiden Opfer vorausgegangen; der Täter hatte seine Opfer zuvor beschattet. Zudem sind die Aufforderung zu und die Vorbereitung von Straftaten, etwa durch die Weitergabe personenbezogener Adressen oder Aufnahmen, längst strafbar.

Auf Grundlage von Artikel 24 des Gesetzentwurfs könnten Polizei- und Gendarmeriebeamte künftig bereits das Anfertigen von Foto- oder Filmaufnahmen, zum Beispiel bei Demonstrationen, zur Vorbereitungshandlung einer Straftat erklären und dagegen einschreiten. Das dürfte ein weiterer Zweck des Artikels sein, womit Forderungen der größeren Polizeigewerkschaften wie Alliance erfüllt wären. Wenigstens aber nähme der Gesetzgeber damit billigend in Kauf, dass polizeiliche Gewalttaten verschleiert oder nicht öffentlich dokumentiert werden könnten.

Als Kompromissangebot machte Darmanin in der Nationalversammlung den Vorschlag, Medien könnten ihre Journalisten vor einem Einsatz bei den Ordnungskräften akkreditieren, die Medienvertreter würden dann von Sanktionen verschont. Viele Medien lehnen das jedoch ab. Mehrere Dutzend Redaktionen, von der Nachrichtenagentur AFP bis zur Satirezeitung Charlie Hebdo, von der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt France Télévisions bis zur Boulevardzeitung Paris Match und zahlreichen Regionalzeitungen veröffentlichten am Samstag eine Stellungnahme unter dem Titel: »Wir werden unsere Journalisten nicht für die Berichterstattung über Demonstrationen akkreditieren!« Am Montagabend empfing Darmanin eine Gruppe von Anwälten und Journalisten, um mit diesen über den Gesetzentwurf zu diskutieren. Die Gruppe entschied jedoch, die Gespräche mit Darmanin abzubrechen, nachdem der sich zu keinerlei Änderung bereit gezeigt und sich darauf beschränkt hatte, den Gesetzentwurf zu erläutern.

Am Samstag protestierten in Paris und anderen französischen Städten Tausende gegen den Entwurf, bereits am Dienstag zuvor hatte es Proteste gegeben. Am späten Samstagnachmittag kesselten Polizisten rund 70 Journalisten und Fotografen in der Pariser Innenstadt für längere Zeit ein – offenbar als Machtdemonstration. In der Nacht von Montag auf Dienstag räumte die Polizei ein Camp, das Migranten auf der Pariser Place de la République errichtet hatten, um die Schaffung von Unterkünften in der Coronakrise zu fordern. Pressevertreter berichteten, Polizisten hätten sie währenddessen angegriffen.

Der Gesetzentwurf soll in diesem Herbst einen, wie der französische Präsident Emmanuel Macron (LREM) es nennt, moment régalien (ungefähr: eine der Staatsgewalt gewidmete Phase) in Politik und Gesetzgebung einleiten. Das ist seit spätestens Anfang September geplant, also noch vor den jihadistischen Anschlägen in Nizza und im Raum Paris (Jungle World 40, 43 und 45), und soll vermutlich dazu dienen, Macron für die Präsidentschaftswahl 2022 bei rechten Wählern beliebter zu machen.

Die konservative Oppositionspartei Les Républicains und der rechtsextreme Rassemblement National stimmten am Freitag voriger Woche in erster Lesung für den Gesetzentwurf, teilten jedoch mit, dieser gehe noch nicht weit genug. Einige Abgeordnete von LREM sowie deren Koalitionspartner, der kleineren zentristischen Partei Mouvement démocrate, stimmten dagegen. Die LREM-Abgeordnete Nathalie Sarles sagte am Montag in einem Interview mit dem Radiosender France bleu: »Ich bin gegen einen Großteil dieses Entwurfs. Wir gehen langsam auf einen autoritären Staat zu.« Jean-Luc Mélenchon, der Vorsitzende der linkspopulistischen Partei La France insoumise, kündigte an, er werde das Gesetz abschaffen, falls er 2022 die Präsidentschaftswahl gewinnen sollte; dafür spricht allerdings nichts.

Der Gesetzentwurf sieht auch die Drohnenüberwachung bei Demonstrationen, eine erweiterte Videoüberwachung des öffentlichen Raums und die Ausstattung von Einheiten der Kommunalpolizei mit scharfen Waffen vor – gerade davon träumen manche Bürgermeister bereits seit längerem.