Der Zwischenbericht einer Studie widmet sich dem Rassismus bei der Polizei

Rassismusstudie als Einzelfall

Die Untersuchungen des Kriminologen Tobias Singelnstein schaffen erste Grundlagen für eine Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus in den Sicherheitsbehörden. Eine umfassende, repräsentative Studie können sie jedoch nicht ersetzen.

Tobias Singelnstein ist für deutsche Polizeigewerkschafter so etwas wie die Nemesis. Als der Rechtswissenschaftler und Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum Mitte November den zweiten Zwischenbericht seiner Studie mit dem Titel »Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung« vorstellte, waren seitens der Polizei ähnliche Reaktionen zu vernehmen wie bereits nach der Veröffentlichung des ersten Berichts im vergangenen Jahr. So nannte Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), die Studie eine »schlimme Kampagne« gegen die Polizei. Erich Rettinghaus, der Landesvorsitzende der DPolG in Nordrhein-Westfalen, glaubte nicht an brauchbare Ergebnisse, da die Befragung in der Studie schließlich anonym sei.

Dass Untersuchungen anonymisiert werden, ist allerdings kein Zeichen einer polizeifeindlichen Verschwörung, sondern sozialwissenschaftlicher Standard. Den am nächsten liegenden Schwachpunkt der Studie nennen die Kritiker hingegen selten: Die Stichprobe, auf der Singelnsteins Untersuchungen basieren, ist nicht repräsentativ.

Ein befragter Polizist berichtete der Studie zufolge, seine Kollegen hätten vor einer Streifenfahrt gesagt: »Heute gehen wir Türken jagen.«

Dies räumt der Kriminologe auch selbst ein. Die Studie biete dennoch »gute Anhaltspunkte«, sagte er bei einer Pressekonferenz Mitte November. Insgesamt sei der Forschungsstand zu diesem Thema nach wie vor »dürftig und unzureichend«. Er hätte sich eine größere und repräsentative Datenbasis gewünscht. »Aber das wäre zu aufwendig und hätte uns wohl auch niemand finanziert«, so Singelnstein.

Die wesentlichen Ergebnisse des Zwischenberichts lassen sich daher nicht verallgemeinern. Für die Stichprobe zeigen die Auswertungen qualitativer Befragungen allerdings, dass Menschen, die keine weiße Hautfarbe haben, vergleichsweise häufiger von der Polizei kontrolliert werden. Auch eskalierten diese Kontrollsituationen häufiger – und zwar vor allem dann, wenn Betroffene sich über rassistische Maßnahmen beschweren. Einige Befragte berichteten in der Studie zudem von konkreten rassistischen Aussagen Polizeibeamter.

Auch ein befragter Polizist berichtete, dass Kollegen sich während der Arbeit rassistisch äußerten und beispielsweise vor einer Streifenfahrt gesagt haben sollen: »Heute gehen wir Türken jagen.« Viele der Beamten würden gezielt »auf die Suche« gehen. »Und auch wegen Kleinigkeiten: Blinker vergessen, dann werden Situationen aufgebauscht, Handeln provoziert«, zitiert der Zwischenbericht den Befragten.

Auch leiden people of color der Studie zufolge unter stärkeren psychischen Folgen von Polizeigewalt. Bei Betroffenen lösten Erfahrungen mit rassistischem polizeilichem Handeln ein Erleben »maximaler Ohnmacht« aus. Die Bereitschaft, Polizisten anzuzeigen, sei sowohl bei people of color als auch bei weißen Personen, die Erfahrungen mit Polizeigewalt gemacht haben, gering. Beamtinnen und Beamten lehnten Singelnsteins Zwischenbericht zufolge Anzeigeaufnahmen allerdings vergleichsweise häufiger ab, wenn der oder die Geschädigte nicht weiß ist.

Welche Rolle Rassismus bei der Ausübung unrechtmäßiger Polizeigewalt spielt, lasse sich der Studie leider nicht entnehmen, so Singelnstein. Auch die Frage nach rechtsextremen Strukturen in der Polizei sei auf dieser Datenbasis nicht zu beurteilen. Rassismus und Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden hingen zwar zusammen, müssten wissenschaftlich allerdings einzeln betrachtet werden.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die sich vor einem Jahr, als Singelnstein das erste Mal Zwischenergebnisse seiner Studie vorstellte, noch ähnlich wie der DPolG-Bundesvorsitzende Wendt äußerte, zeigt sich inzwischen ein wenig empfänglicher für die Forschungsergebnisse. »Unser erster Eindruck ist, dass dieser Zwischenbericht ein Stück weit differenzierter ist als der erste. Wir werden uns auf jeden Fall kritisch und konstruktiv damit auseinandersetzen«, sagte Michael Mertens, der Landesvorsitzende der GdP in Nordrhein-Westfalen, der Jungle World.

Mertens räumte ein, dass man Beamtinnen und Beamte für das Thema Rassismus sensibilisieren müsse. 2019 hatte es seitens der GdP noch geheißen, die Anzeigebereitschaft gegen Polizisten sei gestiegen, weil inzwischen mehr Menschen eine Rechtsschutzversicherung hätten. Eine externe Untersuchung von Rassismus in der Polizei lehnt die GdP jedoch nach wie vor ab. »Ich halte das für einen politischen Reflex«, so Mertens.

Anders sieht das Oliver von Dobrowolski, der Bundesvorsitzende der Berufsvereinigung Polizeigrün. Die Einrichtung »wirklich unabhängiger Beschwerdeinstanzen« sei eine wichtige Etappe, sagte von Dobrowolski der Jungle World.

Singelnstein sieht den strukturellen Rassismus in der Polizei nicht in der Ausbildung begründet. Diese sei zwar ausbaufähig, was Themen wie Antirassismus angehe, aber grundsätzlich »solide«. Problematisch sei dagegen der »Praxisschock«, der eintrete, wenn junge Beamtinnen und Beamte auf der Wache eingearbeitet werden.

Von Dobrowolski kann das bestätigen. Häufig würden junge Kolleginnen und Kollegen gleich an ihrem ersten Tag aufgefordert, »alles zu vergessen«, was sie an der Akademie gelernt haben. Diesem Umstand könne man entgegenwirken, indem man die Betreuung junger Beamter in die Hände »geschulter und aufrechter Polizeikräfte« lege. Auch regelmäßige Schulungen zu Kommunikation und Diversitätsverständnis seien essentiell. »Warum müssen Polizeimitarbeitende ihre Fertigkeiten an der Waffe oder im Dienstfahrzeug regelmäßig nachweispflichtig trainieren, nicht aber solch andere wichtige Befähigungen?« fragte der Polizeibeamte, der auch Mitglied bei der Partei Bündnis 90/Die Grünen ist.

Dass eine unsaubere Rechts- und Vorschriftenauslegung in der Praxis häufig Erfolg habe und geduldet werde, liege auch daran, dass Betroffene unrechtmäßigen polizeilichen Handelns häufig marginalisierten Gruppen angehörten und von ihnen häufig keine juristischen Widersprüche zu erwarten seien, so von Dobrowolski. Insbesondere bei diesen Menschen verspiele die Polizei durch ihr Verhalten Vertrauen. Dieses müsse sie Schritt für Schritt zurückgewinnen. Das könne am besten durch einen modernen und aufrichtigen Umgang der Behörde mit Fehlern gelingen.

Michael Mertens sagte der Jungle World, man müsse in einen Dialog treten und »Verständnis füreinander entwickeln«. Ob damit gemeint ist, dass auch people of color Verständnis für polizeiliches Fehlverhalten entwickeln sollten, blieb offen. Immerhin: Die grundsätzliche Abwehr der Polizeifunktionäre gegen Singelnsteins Untersuchung hat zumindest ein wenig nachgelassen.

Wie verbreitet die rassistischen Einstellungen und Verhaltensweisen, die der Kriminologe in seiner Studie dokumentiert, unter Polizisten sind, lässt sich anhand seiner Forschungsergebnisse nicht zeigen. Eine bundesweite repräsentative Studie, die Rassismus bei der Polizei systematisch untersucht, lehnt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) weiterhin ab. Nachdem es im Oktober kurzzeitig geheißen hatte, Seehofer habe sich mit dem Koa­litionspartner SPD geeinigt und seinen Widerstand gegen eine solche Studie aufgegeben, stellte das Innenministerium kurz darauf klar: Eine Rassismusstudie werde es weiterhin nicht geben (Ein Einzelfall nach dem anderen). Stattdessen sollen Untersuchungen über Alltagsrassismus in der Gesellschaft und über Gewalt gegen Polizeibeamte in Auftrag gegeben werden. Bereits im Juli hatte Singelnstein in einem Interview mit der Zeit gesagt: »Was Herrn Seehofer treibt, ist mir, ehrlich gesagt, nicht klar.«