Das Fußballjahr 2020

Fußball im Stadion, Politik auf der Straße

Im traditionellen Jahresrückblick der »Jungle World« geht es erneut um Entwicklungen im Fußballfanmilieu, diesmal unter den Bedingungen der Pandemie.

Die Pandemie hatte auch immense Auswirkungen auf den Fußball. ­Weniges lief wie gewohnt, aber eines blieb: Millionen verfolgen Woche für Woche im Fernsehen die Partien der professionellen Fußballligen, selbst wenn diese seit März überwiegend vor leeren Rängen stattfinden. Weitgehend unbeachtet bleiben dabei unschöne Begleiterscheinungen in den Fanszenen des Landes – aber auch die positiven Gegenbeispiele.

Die Pandemie und ihre Auswirkungen überstrahlen dabei alles. Viele Fangruppen sprachen sich schnell gegen eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs aus und betonten die soziale Verantwortung des Profi­fußballs (Gegen Fans, Vernunft und Verantwortung). Vielerorts zeigten Fans vor Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Transparente, auf die sie Dankes­bekundungen geschrieben hatten. »Lohn statt Applaus! Eure Arbeit ist Gold wert!« bekundete etwa die Bremer Ultragruppe »Caillera«.

Mit dem Aufkommen von Protesten gegen die Pandemiepolitik mischten aber auch immer mehr rechte Fußballfans mit. Ein Banner mit dem Aufdruck »Coronawahnsinn stoppen!« tauchte zunächst im Gästeblock eines Auswärtsspiels von Energie Cottbus auf, wenige Tage später war es auf der Großdemonst­ration von »Querdenken« am 29. August in Berlin zu sehen. Auch am 7. November, als eine weitere rechte Großdemonstration durch Leipzig zog, war das Banner zugegen, ebenso wie zahlreiche Hooligans verschiedener Vereine, unter anderem von Lok Leipzig und dem Halleschen FC. Der Fanforscher Robert Claus sagte der »Sportschau«, den Hooligans sei es gelungen, gewalttätig für die Durchsetzung der Kundgebung zu sorgen.

»Ob Querdenker oder Qanon, in Mainz gilt nur Q-Block!« Spruchband von Mainz-05-Fans gegen Coronaleugner

In Düsseldorf gab es im Spätherbst wenig erfolgreiche Versuche, die »Hooligans gegen Salafisten« (Hogesa) durch den Protest gegen die Pandemiemaßnahmen wiederzubeleben. Fans von Mainz 05 hatten, wie viele andere auch, eine passende Antwort parat: »Ob Querdenker oder Qanon, in Mainz gilt nur Q-Block!« schrieben sie auf ein Spruchband; im Q-Block des Mainzer Stadions steht die aktive Fanszene. Fans des VfL Bochum teilten per Spruchband mit: »Nazis und Coronaleugner raus aus Bochum!«

Auch andere Fußballanhänger zeigten, dass sich ohne Stadionpräsenz Politik machen lässt. Fans des Rekordmeisters aus München brachten am FC-Bayern-Campus ein Spruchband mit der Aufschrift »#Rotgegenrassismus: Reine Heuchelei« an. Sie kritisierten, dass ihr Verein zwar ­öffentlichkeitswirksame Statements gegen Diskriminierung abgebe, aber bei der Aufklärung rassistischer Vorfälle im eigenen Nachwuchsleistungszentrum, die im August bekannt ­geworden waren, die nötige Konsequenz vermissen lasse. Die Gruppe »Forza HSV« bekundete mit einem Banner am Stadion des Hamburger SV Solidarität mit dem gambischen HSV-Profi Bakery Jatta, der ­infolge einer Kampagne von Sport-Bild im Juli nicht zum ersten Mal in Verdacht geraten war, nach seiner Flucht in Deutschland falsche An­gaben zu seiner Identität gemacht zu haben. Die »Antira Sisters«, Fans von Fortuna Düsseldorf, bemühten sich unter anderem per Spruchband, auf die fatalen Auswirkungen der Pandemie für von Gewalt betroffene Frauen aufmerksam zu machen. Die Sätze »Ein Virus, über das die Welt nicht spricht! Stoppt Gewalt gegen Frauen!« prangten an einer Brücke in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.

Tief ins Fettnäpfchen traten dagegen die »Ultras Nürnberg« im September. Nach Angaben des Blogs »Nürnberg Recherche« sollen Mitglieder der Gruppe gemeinsam mit Angehörigen der rechten Hooligan-Gruppen »Red Devils« und »Commando ­Noris« um einen verstorbenen Nürnberger Anhänger getrauert haben. Zudem maßten sie sich an, im Namen der Fans aus der Nordkurve Nürnberg einen Kranz an dessen Grab zu legen und ein Gedenkspruchband am Stadion zu zeigen. Das Problem: Der Verstorbene war als Neonazi ­bekannt und gehörte zum verbotenen Netzwerk Blood & Honour. Der 1. FC Nürnberg distanzierte sich eindeutig, wurde aber von einigen Fans für seine Untätigkeit in der Vergangenheit kritisiert.

Über üble Verstrickungen des extrem rechten Milieus mit der Fußballfanszene berichtete im Juni auch die antifaschistische Gruppe »Task« aus Kassel: Es fehle beim Regionalligisten Hessen Kassel an eindeutigen Abgrenzungen zwischen jungen ­Ultras, älteren rechten Hooligans und lokalen Neonazis. Vielmehr nehme insbesondere die Nachwuchsgruppe »Drei Vier Eins Hooligans« eine Mittlerfunktion ein, die zudem extrem rechte Kampfsportler zu ­ihren Mitgliedern zähle. Im Kampf­sportmilieu sehr engagiert zeigen sich auch die Angehörigen der Erfurter Hooligan-Truppe »Jungsturm«. Gegen mehrere ihrer Mitglieder läuft ein Strafprozess, unter anderem wird ihnen vorgeworfen, Fans des FC Carl Zeiss Jena organisiert über­fallen zu haben. In einem im November auf dem Rechercheportal »Exif« veröffentlichten Beitrag wird aufgezeigt, dass es sich beim »Jungsturm« um eine der gegenwärtig einflussreichsten neonazistischen Hooligan-Vereinigungen mit zahlreichen Kontakten im In- und Ausland handelt.

Obwohl Fußballfans in diesem Jahr meist vor den Stadiontoren blieben, kam es auch auf den Tribünen zu einigen unschönen Vorfällen. Am 12. Oktober soll es Vereinsangaben zufolge bei einem Heimspiel des Drittligisten Hallescher FC zu antisemitischen Äußerungen eines Zuschauers gekommen sein. Am 14. Februar, als die Ränge noch voll ­waren, wurde Leroy Kwadwo, Spieler der Würzburger Kickers, beim Dritt­ligapunktspiel in Münster gegen den FC Preußen von einem Zuschauer unter anderem mit Affenlauten beleidigt. Der Rest des Stadions quittierte dies mit lauten »Nazis raus«-Rufen. Die selben Worte wählten auch Tausende Fans im Stadion der Frankfurter Eintracht, nachdem beim Spiel gegen Salzburg am 20. Februar Zuschauer aus dem Gästeblock eine Gedenkminute für die Toten des rechtsextremen Attentats in Hanau gestört hatten. Ein symbolische Geste dieser Art blieb aus, als der Hertha-BSC-Spieler Jordan Torunarigha am 4. Februar von Schalker Anhängern rassistisch beleidigt wurde. Ebenfalls Schalker Zuschauer beschimpften wiederum in rassistischer Weise am 18. Oktober den zu diesem Zeitpunkt erst 15jährigen Youssoufa Moukoko von Borussia Dortmund bei einem Nachwuchsspiel.

In Schweinfurt forderte die »Initiative gegen das Vergessen« die Umbenennung des dortigen Willy-Sachs-Stadions. Der Industrielle Sachs ­(Alleininhaber des Schweinfurter Unternehmens Fichtel & Sachs) war ­bereits 1933 in die SS eingetreten, stieg bis zum Obersturmbannführer auf und pflegte gute Kontakte zur nationalsozialistischen Führung. Sowohl der FC Schweinfurt, der im Stadion spielt, als auch der örtliche Stadtrat sprachen sich für eine Um­benennung aus, die noch 2020 erfolgen sollte. Mittlerweile ist das Jahr allerdings um und noch nichts weiter geschehen. Einzig die »Green Boyz«, eine Ultragruppe des Vereins, plädierten für den Erhalt des Stadionnamens. Manche Fans, so könnte man meinen, müssten auch nach der Pandemie nicht unbedingt in die Stadien zurückkehren.