»Stay Alive« von Laura Jane Grace

Grace bricht nicht

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Gute Gründe, am Leben bleiben zu wollen, liefert die entzauberte Moderne längst nicht mehr frei Haus. Man muss sie suchen, manchmal geradewegs erfinden. Im März des vergangenen Jahres wollte Laura Jane Grace mit ihrer Begleitband The Devouring Mothers auf Tour gehen, neue Songs präsentieren. Dann folgte eine wohlbekannte Pandemie, die bis heute nicht nachgelassen hat.

Grace tat das, was sie schon zu tun pflegte, als sie noch Tom Gabel hieß und primär als Sängerin der US-Punkrockband Against Me! bekannt war: Sie sperrte sich ein, zog sich zurück und suchte. Dann rief sie den ebenfalls wohlbekannten Produzenten Steve Albini an, um 14 Songs aufzu­nehmen, in denen sie präsentiert, was sie gefunden hat.

Entstanden ist das Soloalbum »Stay Alive«, meist akustisch, manchmal mit Unterstützung eines Drumcomputers und – ganz nach Albinis Art – so roh klingend wie möglich. Nachdem die vorangegangenen beiden Alben von Against Me!, »Transgender Dysphoria Blues« und »Shape Shift with Me« vor allem Graces Geschlechtsangleichung zum Thema hatten, widmet sich »Stay Alive« mehr den Grunddisziplinen des US-amerikanischen Punkrock, wie etwa der Verachtung für den weißen, christlichen Gesellschaftsteil (»Hanging Tree«) oder dem hasserfüllten Nachruf auf eine vergangene Liebschaft (»So Long, Farewell, Auf Wiedersehen, Fuck Off«).

Immer werden die Kompositionen getrieben von Graces androgyner Ausnahmestimme, die auch in ruhigen Arrangements die Spannung halten kann, weil sie allzeit zu brechen droht. Aber Grace bricht nicht, brach nie, nicht als drogenabhängiger Teenager, nicht als erwachsene Frau.

Unter den 14 Songs befindet sich keine musikalische Offenbarung, aber die eine oder andere bemerkenswerte Ode, nicht an das Leben, sondern an das Am-Leben-Bleiben. »I may be life­less, but I value my hollow«, stellt Grace fest und muss eine Einsicht teilen, die schon so manchen ereilt hat, der sein Herz auch in dunklen Stunden noch schlagen hörte: Es gibt vor allem viele schlechte Gründe, um am Leben zu bleiben – und derentwegen lohnt es sich besonders.

Laura Jane Grace: Stay Alive (Polyvinyl Records)