Kaum in Moskau gelandet, kam Aleksej Nawalnyj sofort ins Gefängnis

Riskante Rückkehr

Der russische Oppositionelle Aleksej Nawalnyj wurden bei seiner Ankunft in Moskau sofort inhaftiert. Die Regierung reagiert auf jede politische Herausforderung nervös.

Mit einer Linienmaschine des Billigfluganbieters Pobeda kehrte Aleksej Nawalnyj am Sonntag zurück nach Russland. Pobeda heißt zwar Sieg, aber für den russischen Oppositionspolitiker wäre es schon ein Erfolg, die kommenden Monate oder Jahre auf freiem Fuß zu verbringen. Sofort nach seiner Ankunft bei der Passkontrolle nahmen ihn Uniformierte fest und brachten ihn auf eine Polizeiwache im Moskauer Vorort Chimki. Dort und nicht im Gericht wurde er am folgenden Tag dem Haftrichter vorgeführt und zunächst für 30 Tage inhaftiert – rechtswidrig. Die im Gerichtsentscheid angeführten Paragraphen der Strafprozessordnung und des Strafvollzugsgesetzes sind bei einer vorläufigen Festnahme nicht anwendbar.

Erst wenige Tage zuvor hatte Nawalnyj angekündigt, dass er Berlin nach einem mehrmonatigen Genesungsaufenthalt verlassen und seine Arbeit in Russland weiterführen wolle. Der Risiken dieser Entscheidung war er sich offenbar bewusst. Im August wäre er während einer Sibirien-Reise beinahe an den Folgen einer Vergiftung mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok gestorben. Dabei handelte es sich mutmaßlich nicht um den ersten Versuch, ihn zu töten. Zudem gab die russische Justizbehörde vor der Ankunft Nawalnyjs bekannt, dass sie Maßnahmen zu seiner Festnahme einleiten würde, sobald er wieder im Land sei. Vorsorglich hatte sie bereits eine eigentlich abgelaufene Bewährungsfrist gegen ihn bis Ende 2020 verlängert. Nawalnyj, der 2014 wegen Betrugs und Geldwäsche zu einer Bewährungsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden war, habe, so die Begründung, gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Am 23. September habe er die Berliner Charité verlassen und hätte demnach im Oktober seiner Meldepflicht in Moskau nachkommen müssen.

Anhänger Nawalnyjs fanden sich am frühen Sonntagabend am Moskauer Flughafen Wnukowo ein, wo die Maschine nach Plan hätte landen müssen. Einige waren sogar aus anderen Städten angereist, andere hatten das zumindest versucht, wurden jedoch vor Abfahrt von der Polizei daran gehindert. Ins Flughafengebäude erhielten nur Personen mit einem Flugticket Zugang, ein Massenaufgebot von Polizei und Nationalgarde stand schon zur Mittagszeit bereit. Einsatzgruppen nahmen über 60 Menschen fest, darunter auch Medienvertreter und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Nawalnyjs Fonds zur Korruptionsbekämpfung.

Doch Nawalnyj kam gar nicht in Wnukowo an, denn der Flughafen meldete termingerecht technische Probleme; die Maschine wurde im Landeanflug nach Süden umgeleitet und ­durfte erst über eine Stunde später auf dem Flughafen Scheremetjewo landen. Von dem Manöver waren auch etliche andere Flugzeuge im Luftraum über Moskau betroffen, deren Ankunft ebenfalls teils erheblich verzögert wurde. Sehr viel Aufwand für einen Blogger, der angeblich niemanden interessiert. So jedenfalls hatte sich die russische Führung in früheren Zeiten über Nawalnyj geäußert, als der Politiker vor allem im Internet durch seine Korruptionsrecherchen von sich reden machte.

Der russischen Regierung wäre es wohl lieber gewesen, wenn Nawalnyj in Berlin geblieben wäre. Nun, da er wieder in Russland ist, gibt es keine elegante Lösung mehr, den Politiker auf Distanz zu halten. Nawalnyjs Bekanntheit ist durch seine Nowitschok-Vergiftung in Russland wesentlich gewachsen und auch das westliche Ausland nimmt nun verstärkt Anteil am Schicksal des russischen Oppositionellen, der derzeit als einziger ernsthafter Herausforderer des Machtapparats gilt. Auf die erhöhte Aufmerksamkeit westlicher Medien und Regierungen reagiert man in Moskauer Regierungskreisen gereizt. Es sei regelrecht zu spüren, mit welcher Freude der Fall Nawalnyj im Westen kommentiert werde, empörte sich der russische Außenminister Sergej Lawrow. Dafür hatte er sogar eine Erklärung parat. Westliche Politiker, so Lawrow, glaubten wohl, auf diese Weise von der tiefen Krise ablenken zu können, in der sich das liberale Entwicklungsmodell befinde.

Dass aber auch das russische Herrschaftssystem kriselt, zeigt sich in der nervösen Reaktion auf jegliche oppositionelle Aktivität. So wurde am Montag der 27jährige Antifaschist Asat Miftachow (Die Folterer brauchen keine Fälscher) zu sechs Jahren Haft verurteilt – angeblich hatte er eine Scheibe eines Büros der Regierungspartei Einiges Russland eingeworfen. Auch der Umgang mit Nawalnyj, der derzeit keine Chancen hat, bei Wahlen anzutreten, geschweige denn auf einen Systemwechsel hinzuarbeiten, wirkt alles andere als souverän. Manche dürften sich schwertun, dessen Bereitschaft nachzuvollziehen, sich freiwillig in die Hände der Strafjustiz zu begeben. Aber er handelt konsequent. Wäre er in Deutschland geblieben, hätte er früher oder später seinen gesamten politischen Einfluss eingebüßt. Nawalnyjs Frau Julia, die mit ihm geflogen war, sagte bei der Ankunft, Aleksej habe keine Angst. »Und ich rufe euch alle dazu auf, keine Angst zu haben.«