Die Zahl rechtsextremer Vorfälle bei der Polizei war 2020 hoch

Beamte unter Verdacht

Die Zahl rechtsextremer Verdachtsfälle in deutschen Polizeibehörden war im vergangenen Jahr hoch. Schnelle Ermittlungserfolge sind nicht zu erwarten.

Mindestens 443 rechtsextreme Verdachtsfälle gab es im vergangenen Jahr in den Polizeibehörden der Bundesländer. Auf diese Zahl kam eine vergangene Woche veröffentlichte Recherche des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND), die sich auf Antworten der zuständigen Ministerien stützt. Die Behörden in Brandenburg und Rheinland-Pfalz machten dem RND zufolge keine Angaben. Mit über 200 bekannten Fällen hat das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen die höchste Zahl zu verzeichnen.

Mitte Januar äußerte sich der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) in einer Sitzung des Innenausschusses im Landtag zum Stand der laufenden Ermittlungen in seinem Bundesland. Im November war bekannt geworden, dass Beamtinnen und Beamte aus Essen in einer Whatsapp-Gruppe, in der sie sich regelmäßig zum Kegeln verabredeten, auch rechtsextreme Inhalte ausgetauscht hatten. Darunter sollen Bilder von Hakenkreuzen sowie ein Foto mit Bezug zu dem rechtsterroristischen Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch im Jahr 2019 gewesen sein, bei dem ein Angreifer 51 Menschen ermordet hatte; das Foto soll mit dem Kommentar »Zu viele Fehlschüsse« versehen worden sein. Gegen elf der 15 Mitglieder der Chatgruppe wurden Reul zufolge Ermittlungen eingeleitet. Das Ruhegehalt zweier bereits pensionierter Mitglieder werde teilweise einbehalten, zwölf der noch bei der Polizei tätigen Mitglieder der Gruppe habe das Innenministerium vom Dienst suspendiert. Ein Beamter sei in ein anderes Bundesland versetzt worden, so Reul.

Bei der Berliner Polizei ist mit der Kriminaloberrätin Svea Knöpnadel seit kurzer Zeit eine Person aus den eigenen Reihen als Beauftragte für Extremismus in der Polizei tätig.

Zugleich laufen Ermittlungen gegen 15 von 31 Mitgliedern einer Chatgruppe von Polizistinnen und Polizisten aus dem nordrhein-westfälischen Mülheim an der Ruhr. Wegen rechtsextremer Inhalte, darunter Fotos von Adolf Hitler und eine Bildmontage, die einen Geflüchteten in der Gaskammer eines Konzentrationslagers zeigt, aber auch wegen Körperverletzung im Amt und Sexualdelikten drohen ihnen strafrechtliche Konsequenzen. Bei den übrigen Mitgliedern der Chatgruppe wurden die vorläufigen Suspendierungen bereits im Dezember aufgehoben, weil die Ermittler bei ihnen keine strafrechtlich relevanten Inhalte gefunden hatten oder weil die Vorfälle bereits verjährt waren. Besonders lange liegen sie allerdings nicht zurück. Wie aus einem Bericht des Spiegel hervorgeht, dürften die Vorfälle im Zeitraum zwischen 2013 und 2015 stattgefunden haben.

Jan Richter von der Kampagne »Entnazifizierung jetzt«, die über rechtsextreme Vorfälle in Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Justiz aufklären will, bezeichnete es im Gespräch mit der Jungle World als enttäuschend, dass trotz der hohen Zahl an Verdachtsfällen nur gegen wenige Beamte tatsächlich Ermittlungen eingeleitet worden seien. »Deswegen glauben wir nicht, dass die bisherigen Konsequenzen wirkliche Erfolge sind«, so Richter. Überhaupt ist Geduld nötig: Bei der Innenausschusssitzung im Landtag betonte Reul, dass die derzeit laufenden Ermittlungen noch Jahre andauern könnten.

Im Oktober wurden in Nordrhein-Westfalen außerdem Fälle von Rechtsextremismus beim Landesverfassungsschutz bekannt. Insgesamt vier Beamte sollen einem Bericht des Westdeutschen Rundfunks (WDR) zufolge in Chats ­antimuslimische und rassistische Inhalte verschickt haben, einer von ihnen soll zudem Kontakt zu Personen aus dem rechtsextremen Milieu gehabt haben. Nach Angaben des Innenministe­riums waren drei der Beamten als Mitglieder einer Observationsgruppe auch für den Bereich Rechtsextremismus zuständig. Etwa zwei Wochen nach Bekanntwerden der Fälle ernannte Reul Uwe Reichel-­Offermann, der bis dahin den Landesverfassungsschutz stellvertretend geleitet hatte, zum Sonderbeauftragten für Rechtsextremismus in der Polizei.

Bei der Berliner Polizei ist mit der Kriminaloberrätin Svea Knöpnadel seit kurzer Zeit eine Person aus den eigenen Reihen als Beauftragte für Extremismus in der Polizei tätig. Innensenator Andreas Geisel (SPD), der Knöpnadel im Oktober ernannte, bezeichnete es damals als vorteilhaft, dass diese »direkt bei der Polizei angebunden ist«. 2020 gab es 24 Strafverfahren gegen Beamtinnen und Beamte der Berliner Polizei wegen rechtsextremer Vorfälle, derzeit laufen noch 47 Disziplinarverfahren wegen des Verdachts rechtsextremer oder rassistischer Äußerungen. Recherchen des ARD-Magazins »Monitor« zufolge sollen Polizisten in einer Chatgruppe unter anderem Muslime als Mitglieder einer »fanatischen Primatenkultur« und Neonazis als mögliche »Verbündete« bei linken Demonstrationen bezeichnet haben.

Nach Richters Ansicht ist die Ernennung von Ermittlern, die selbst aus den Behörden kommen, in denen es Verdachtsfälle gibt, keine Lösung für die Probleme. Zudem fehle es bei den Ermittlungen insgesamt an Transparenz: »Nach welchen Kriterien wird da eigentlich untersucht? Gilt es zum Beispiel als Grund für Disziplinarmaßnahmen, wenn jemand nur mitliest in einer Chatgruppe?«

Richter verwies im Gespräch mit der Jungle World auch darauf, dass es weiterhin einer unabhängigen Studie bedürfe, um herauszufinden, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen in der Polizei tatsächlich seien. Bundes­innenminister Horst Seehofer (CSU) gab im Dezember lediglich eine Studie zum Polizeialltag in Auftrag, bei der es auch um den »Grundsatz der Nulltoleranz gegenüber Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus« gehen soll, so das Innenministerium.

Sachsen-Anhalts Innenminister Michael Richter (CDU) sagte Mitte Januar, sein Bundesland werde sich – anders als noch im Oktober angekündigt – doch nicht an einer Studie des Landes Niedersachsen zu Rassismus in der Polizei beteiligen. Die Ankündigung im vergangenen Jahr war eine Reaktion auf die Antisemitismusvorwürfe gegen Beamte der Magdeburger Bereitschaftspolizei, die einen Kantinenbetreiber jahrelang abwertend als »Juden« bezeichnet haben sollen. Die Beteiligung an der Studie abzusagen, sei nun »aber keine Schlagzeile mehr, sondern es wird darauf gehofft, dass die Öffentlichkeit den Skandal vergisst«, sagte Jan Richter von »Entnazifizierung jetzt«.